Kritik zu Cloudy Mountain
Der Berg ist aktiv! Ein Bahnprojekt ist gefährdet, eine Stadt droht zu versinken. Und die Chinesen beweisen nicht nur ihre infrastrukturelle Effizienz, sondern auch: dass man ein Desaster Movie mit einem Minimum an Verlusten drehen kann
Es gibt mal wieder Probleme mit der Plattentektonik, kennen wir. Aber während in Roland Emmerichs »2012« massive Kontinentalbewegungen die komplette Erdoberfläche zerbröselten, fokussiert sich »Cloudy Mountain« auf einen überschaubaren Bezirk in der chinesischen Provinz Guizhou. Und es geht nicht um Milliarden Tote, sondern »nur« um die 160.000 Bewohner der Region. »Cloudy Mountain« ist zweifellos ein Katastrophenfilm. Der Schauwert liegt hier jedoch nicht in der enthemmten Vernichtung von Menschen und Material, der Visualisierung des Untergangs. Dies ist ein Film, der sich nach Rettung sehnt.
Das ahnt man schon bei den ersten Totalen, die liebevoll die Grandezza des Schauplatzes, einer dramatischen Karstlandschaft mit tiefen Schluchten, ausstellen. Hier wühlen sich seit zehn Jahren die Arbeiter eines Bahnprojekts durch den Fels. Der Tunnel, der eine neue Hochgeschwindigkeitsstrecke komplettiert – einer dieser infrastrukturellen Kraftakte, die aus einem bitterarmen Entwicklungsland die zweitgrößte Industrienation gemacht haben –, ist so gut wie fertig. Doch nach einem überraschenden Wassereinbruch wird dem jungen Geologen Hong Yizhou (Yilong Zhu) klar: Der Berg ist aktiv. Während Yizhou zu einer klärenden Expedition aufbricht, fährt seine Freundin und Kollegin in die nahe Stadt, um einen Besucher abzuholen – Yizhous Vater (Zhizhong Huang). Der ist ein Eisenbahner alten Schlags, einer der railway soldiers, die in der Volksrepublik als Nationalhelden verehrt werden .
Eins kommt zum andern. Ein Vor-Beben reißt in der Stadt Gräben auf und treibt die Hauptfiguren ins Höhlensystem der Berge. Vater und Sohn geraten mitten im Überlebenskampf in einen Kompetenzstreit – hier Erfahrung und Intuition, dort modernste Messtechnik. Schließlich bleiben nur zwei Stunden, um die Bewohner der Gegend zu retten – dafür müssten Arbeiter und Bahnmanagement allerdings ihren schönen Tunnel in die Luft jagen. Spätestens hier gibt sich »Cloudy Mountain« als Kampfansage in der Systemkonkurrenz zu erkennen: Die Volksrepublik, so die Botschaft, lässt ihre Leute nicht im Stich. Und die Projektleiterin (Shu Chen) meint, wenn es um Katastrophen geht, habe der Westen nur die Legende von Noahs Arche, während die chinesischen Mythen davon erzählen, wie der Vogel Jingwei die See auffüllt und der sture Greis Yugong in mühevollster Arbeit Berge bewegt. Ob sie »2012« gesehen hat, weiß man nicht.
Einerseits passt das alles zum propagandistischen Zug in der chinesischen Blockbuster-Produktion, die in den ersten beiden Pandemiejahren mit Kriegsepen wie »The 800« und »The Battle at Lake Changjin« nur übers heimische Einspiel die internationalen Box-Office-Listen aufgerollt hat. Andererseits könnte am Claim »keiner wird zurückgelassen« auch etwas dran sein, wenn man sich die chinesischen Corona-Zahlen ansieht. In jedem Fall liefert der Film des in China sehr erfolgreichen Jun Li eine hübsche Mischung aus luftigem Genre-Irrsinn und Erdwärme, pathetischen Massenszenen und melodramatischen schauspielerischen Einzelleistungen. Heißt: Man kann Disaster Movie haben, ohne gleich einem Artensterben beizuwohnen.
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