Ausstellung: Werner Herzog
»Into the Inferno« (2016). © Clive Oppenheimer
Wer ist Werner Herzog? Gibt es zwei Werner Herzogs? Den einen, der Teil des Neuen Deutschen Films der siebziger Jahre ist, mit Werken wie »Aguirre, der Zorn Gottes«, »Jeder für sich und Gott gegen alle« und »Stroszek«? Den anderen, der als kein Risiko scheuender Dokumentarfilmer in seinen eigenen Filmen zu sehen und zu hören ist, der aber auch als (Selbst-) Darsteller in den Filmen anderer überzeugt, wo er allein mit der Modulation seiner Stimme Präsenz zeigt, wie in »Jack Reacher« oder in zahlreichen Auftritten in Animationsserien wie den »Simpsons«?
Dazwischen klafft eine Lücke. Der 2002 in Großbritannien erschienene Band »Herzog on Herzog« von Paul Cronin, 2014 zum 542-Seiten-Wälzer »Werner Herzog. A Guide for the Perplexed« angewachsen und das essenzielle Buch über Herzog, ist nicht in deutscher Übersetzung erschienen, so wie auch der Film »Grizzly Man« (2005), der am Anfang seines großen Erfolges in den USA steht, hierzulande über einzelne Festival- und Kinoaufführungen nie hinausgekommen ist, weder im Fernsehen gezeigt noch als Video/DVD veröffentlicht wurde. Der 2011 erschienene Sammelband »Lektionen in Herzog«, der sich vor allem mit den jüngeren Arbeiten Herzogs auseinandersetzte, nannte ihn im Untertitel nicht zu Unrecht »Deutschlands verlorenen Filmautor«.
Das Wechselspiel zwischen Nähe und Distanz prägt die Berliner Ausstellung. Im ersten Raum ermöglicht eine Wandtapete aus Urwaldmotiven, vor allem aber eine Dreifachprojektion von spektakulären Naturereignissen aus Herzog-Filmen ein Eintauchen in seine Welt, zugleich werden die damit verbundenen Strapazen sichtbar gemacht, etwa wenn es im Drehplan zu »Julianes Sturz in den Dschungel« heißt: »kurzer Fußmarsch (ca. 1 h) nach Panguana (teilweise durch Wasser, kurze Hose)«. Im Audioguide gibt es in zusätzlichen Statements von Herzog und einigen seiner Mitarbeiter weiterführende Details zu Dreharbeiten, man sieht ein Foto von Herzog mit Tattoo am rechten Oberarm (1982), während eine »Wunderkammer« Objekte versammelt, die bei den Filmen »für die Schauspieler eine möglichst glaubwürdige Atmosphäre« schaffen sollten – einige der Objekte wurden allerdings eigens zu diesem Zweck von dem Szenenbildner Henning von Gierke geschaffen.
Was gleich die Frage nach dem Faktischen und dem Umgang mit der Wahrheit aufwirft. »Man muss sie (die Fakten, F.A.) ernst nehmen, weil sie normative Kraft haben, aber rein faktenorientierte Filme zu machen, das hat mich nie interessiert. Die Wahrheit muss mit den Fakten nicht übereinstimmen«, schreibt Werner Herzog in seinen Erinnerungen. »Erst die Poesie, erst die Erfindung der Dichter, kann eine tiefere Schicht, eine Art von Wahrheit sichtbar machen.« Daran knüpft Teil zwei der Ausstellung, zwei Stockwerke höher, an. Er beginnt mit kurzen Videostatements von neun Fachleuten, anschließend werden die Kontroversen, die schon Herzogs frühe Filme begleiteten, anhand von fünf Fragestellungen thematisiert.
»Fake oder ›ekstatische Wahrheit‹« beschäftigt sich mit Nachinszenierungen bei »Höllenfahrten: Flucht aus Laos« und mit Zeigen/Nichtzeigen bei »Grizzly Man«; »Ausnutzung oder sensible Darstellung von Menschen mit Behinderung?« wird anhand von »Auch Zwerge haben klein angefangen« und »Behinderte Zukunft« dokumentiert; »Trauerarbeit oder Ästhetik des Schreckens?« verweist auf Lektionen in »Finsternis«, der die Bilder brennender Ölquellen in Kuwait mit Wagner-Musik unterlegte, und die Tatortbilder in »On Death Row«; »Neugier auf das Fremde oder (post-)kolonialer Blick?« rückt »Fitzcarraldo« und – als positives Gegenbeispiel – »Wo die Grünen Ameisen träumen« in den Mittelpunkt; »Kollaboration Kinski« verweist auf die Tobsuchtsanfälle des Schauspielers, Kinskis Bedrohen von Regisseur, Statisten und Mitarbeitern.
Hätten die hier aufgeworfenen Fragen ausführlicher debattiert werden sollen und können? Ich denke Ja. In seinen Erinnerungen schreibt Herzog zu den Inzestvorwürfen, die Pola Kinski gegen ihren Vater erhob: »Ich habe absolut keinen Zweifel an ihrer Darstellung. Aber sollte ich dem folgend meine ästhetische Position zu Kinski überdenken und die Filme aus dem Verkehr ziehen? … Sollen wir die Gemälde Caravaggios aus den Kirchen und Museen entfernen, weil er ein Mörder war?« Auch was er an anderer Stelle über die seinerzeit in Zusammenhang mit den Dreharbeiten von »Fitzcarraldo« erhobenen Vorwürfe schreibt, klingt plausibel.
Der letzte Raum der Ausstellung zeigt dann noch einmal einen anderen Herzog: zum einen als Menschen, mit einer großen Fotowand im Kreis von Mitarbeitern sowie in Statements der DarstellerInnen Eva Mattes, Nicole Kidman, Christian Bale und Robert Pattinson – allesamt aus dem Dokumentarfilm »Radical Dreamer« von Thomas von Steinaecker; zum anderen als Person: Auf drei Tablets kann man Herzog als Sprecher erleben, etwa in Episodenrollen von Zeichentrickserien wie »Die Simpsons« und »Rick and Morty«, darüber hinaus ist er in einem Kurzfilm von Rahmin Barani sowie in zahlreichen Parodien (»Cooking with Werner«), aber auch Selbstparodien (»Incident at Loch Ness«) sehen. Zu den ausgestellten Objekten gehören eine Figur und eine Sammelkarte, die seiner Rolle als »The Client« im »Star Wars«-Ableger »The Mandalorian« Tribut zollen. »Jon Favreau (der Regisseur und Creator der Serie, F.A.) ist ein großer Fan meiner Filme«, schreibt Herzog dazu in seinen Erinnerungen, wo er auch betont: »Für keine einzige Rolle habe ich mich je von mir aus beworben.« Comicartige Zeichnungen von Reinhard Kleist an der Wand am Ende des Raums verdichten und überhöhen Herzog-Momente, etwa wenn er allein das Schiff in »Fitzcarraldo« über einen Berg zieht – der Regisseur als Titan, ironisch gebrochen. »Werner Herzog ist Kult«, der erste Satz, der einem unvermittelt entgegenprallt, wenn man die Ausstellung betritt, gewinnt da tatsächlich so etwas wie Wahrhaftigkeit.
Leicht übersehen könnte man dabei, ganz in der Nähe der »Mandalorian«-Artefakte, Herzogs (offenbar unveröffentlichten) Nachruf auf die früh verstorbene russische Regisseurin Larissa Schepitko, die Herzog beim Filmfestival in Telluride kennengelernt hatte – ein sehr berührender Text, eine Begegnung, die in Herzogs Erinnerungen nicht vorkommt, dafür berichtet Herzog dort, ähnlich berührend, vom Tod Bruce Chatwins.
Weitgehend chronologisch angelegt, aber immer wieder mit assoziativen Verknüpfungen durchsetzt, erfahren wir viel über seine »archaische« Kindheit, über seine Brüder Tilbert und Lucki (ohne deren Hilfe er »Aguirre« nicht hätte zu Ende drehen können), über seine ausgedehnten Reisen schon als junger Mensch, darüber, wie er mehrfach nur knapp dem Tod entkam, bei Ski- oder Autounfällen und beim Bergsteigen. Trotzdem beharrt er darauf, er sei »nicht obsessiv« – »was nicht machbar war, machte ich auch nicht.« Gleichzeitig bekennt er aber auch: »Ich will nichts einfach als gegeben hinnehmen.« Imposant die Liste der Filmprojekte, die er noch verwirklichen will. Dafür wünscht man ihm viel Glück, das Beharrungsvermögen hat er ja.
Der viersprachige Ausstellungskatalog (deutsch/englisch/französisch/holländisch) enthält eine Fülle von Fotos und Dokumenten, bei den Texten haben mir besonders das Gespräch der Herausgeber mit Herzog und seiner Frau sowie das »Herzog-ABC« gefallen. Vom 18. bis 20. Oktober ist Werner Herzog persönlich in Berlin zu Gast, für eine Autogrammstunde sowie die Berliner Kinopremieren von drei Filmen. Neben dem Dokumentarfilm »Radical Dreamer – Werner Herzog« von Thomas von Steinaecker (Kinostart: 27.10.) laufen seine beiden 2022 fertiggestellten Filme »Theatre of Thought« und »The Fire Within«.
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