Interview: Werner Herzog
»Werner Herzog – Radical Dreamer« (2022). © 3B Produktion
In einem Alter, in dem die Lebensenergien der meistens Menschen nachlassen, wirkt die von Werner Herzog noch ungebrochen. Getrieben von unstillbarer Neugier und einer im Alter wachsenden Leichtigkeit (auch wenn er behauptet, den Humor habe er schon immer gehabt) hat er allein in diesem Jahr zwei Filme, »The Fire within« über die beiden Vulkanforscher Katia und Maurice Krafft und »Theatre of Thought«, der sich auf sehr kurzweilige Weise mit neurowissenschaftlichen Themen befasst, veröffentlicht. Außerdem hat er zwei Bücher veröffentlicht, die Erinnerungen »Jeder für sich und Gott gegen alle« und das Romandebüt »Das Dämmern der Welt«, über den japanischen Soldaten Hiroo Onoda, der noch Jahrzehnte nach Ende des Zweiten Weltkrieges im Alleingang eine kleine, unbedeutende Insel im Pazifik verteidigt. Ende Oktober kommt ein Film über ihn ins Kino, »Werner Herzog – Radical Dreamer« von Thomas von Steinaecker. Und das Filmmuseum Berlin hat ihm eine Ausstellung gewidmet. Anke Sterneborg hat in Berlin in der Kinemathek mit ihm gesprochen
Wie viele deutsche Regisseur*innen sind auch Sie in Ihrer deutschen Heimat oft kritisiert und angefeindet worden, während Sie in Ihrer Wahlheimat Amerika sehr viel offener und herzlicher empfangen wurden. Ist es für Sie jetzt auch eine Art Genugtuung, mit einer Ausstellung und als Ehrengast bei Filmvorführungen gefeiert zu werden?
Werner Herzog: Ich glaube, Sie dürfen da nicht einen Gegensatz herstellen zwischen den USA und hier, wenn Sie beispielsweise nach Argentinien oder Indien oder wohin auch immer gehen, da geht es ja noch viel wilder zu. Und das spielt auch gar keine Rolle, dass die Deutschen nie richtig wussten, was sie mit mir anfangen sollen. Das fing ja schon mit den ganz frühen Filmen an, »Aguirre – Der Zorn Gottes« hat von der Filmbewertungsstelle kein Prädikat bekommen, so schlecht fanden sie ihn. Aber das passiert halt, und darüber verbringe ich keine schlaflosen Nächte.
Ich meinte weniger den Gegensatz Deutschland – Amerika, sondern eher diese spezifisch deutsche Art, mit den eigenen Helden umzugehen.
Ja, das ist so eine deutsche Eigenschaft. Man hat das wunderbar gesehen beim ZDF-Interview mit Toni Kroos, als Real Madrid die Champions League gewonnen hat. »Was ist da schiefgegangen?« »Eure Abwehr hat ja nur gewackelt und nur ein Pfostenschuss hat euch gerettet. Aber Toni Kroos war, glaube ich, schon sechs Mal Deutscher Meister mit Bayern München, viermal spanischer Meister, als einziger seit den 50er Jahren hat er vier Mal die Champions League gewonnen. Das Stadion jubelt, er wird mit Konfetti überschüttet, aber deutsche Journalisten stellen ihm solche Fragen. So sind die Deutschen einfach.
Gerade darum die Frage: Freuen Sie sich nicht umso mehr, dass Sie jetzt auch hier so gefeiert werden?
Sicher, das beeindruckt mich, wie das gemacht wurde, wie sehr es in die Tiefe geht. Das ist nicht irgendeine dümmliche Aneinanderreihung von Dingen, und da gibt es auch Ausstellungsstücke, die nur am Rande mit Filmen von mir zu tun haben, die Wunderkammer eines Ausstatters oder naive Gemälde von Bruno Schleinstein, der bei mir den Kaspar Hauser gespielt hat und Stroszek. Das ist alles sehr schön gemacht und hat mich beeindruckt. Ich habe das gerade vor einer Stunde zum ersten Mal gesehen und frage mich natürlich auch »War ich das wirklich?« »Hat das vielleicht jemand anderes gemacht?« »Waren das meine Brüder?« »Rede ich mir das nur so ein?« Also damit muss ich mich abfinden.
Vermutlich gefällt es Ihnen, dass die Ausstellung keine reine Hommage ist, dass sie viel Raum auch für die Widersprüche lässt, oder? Beispielsweise wenn der peruanische Regisseur Diego Sarmiento sich dafür bedankt, dass Sie die ersten Bilder aus seiner Heimat gefilmt haben, und zugleich fordert, jetzt müssten die einheimischen Filmemacher übernehmen…
Der soll übernehmen, der ist jung, der muss seinen eigenen Film machen! Schön, solche kleinen Anfechtungen gegen mich gab es immer. Und die Jahrzehnte, die inzwischen vergangen sind, haben diese ganzen Sachen ad acta gelegt, zu Recht.
In Ihren eigenen Filmen sind Sie schon häufig auch vor der Kamera gestanden. Aber wie war es jetzt für Sie, Gegenstand eines anderen Filmemachers zu sein? Wollten Sie da gelegentlich reinreden, korrigieren?
Nein, man muss anerkennen, da gibt es jemand anderen, der den Film macht. Die einzige Vorgabe war: Weil Filme über Regisseure oft Peinlichkeiten werden, Egotrips und Eitelkeiten verbreiten, habe ich gesagt, das ist das Einzige, was nicht passieren darf. Und der Film ist gut und schön geworden und gibt eigentlich einen guten Einblick über meine Herkunft und über meine Arbeiten.
Sie sind nicht nur Drehbuchautor und Regisseur von Dokumentar- und Spielfilmen, sondern auch Schriftsteller, Autor von Romanen, von Memoiren, Lehrer in Ihrer selbst gegründeten Rogue Film School, der Schurken-Filmschule, wie Sie sie nennen: Ein Beruf, ein Leben reicht Ihnen nicht, oder?
Ja, da gab es immer eine Bandbreite, ich mache eigentlich alles, was in mir ist und was mir Freude macht. Auch alles, was mit Kino zu tun hat. Drehbuch schreiben, Regie führen, Schnitt, Produktion, auch Schauspieler sein. Alles, was mit Kino zu tun hat, steckt irgendwie in mir und macht mir Freude, und Sie sehen ja auch, das ist lebenssatt.
Das heißt, auch der Memoirenschreiber ist im Grunde noch ein Geschichtenerzähler? Das Dokumentarische und das Fiktive gingen bei Ihnen ja nicht nur fließend ineinander über, im Grunde greifen sie sich gegenseitig an, stellen sich in Frage, oder?
Ja, das hat viele Leute verwundert, dass ich so fließend in Spielfilmen und auch in Dokumentationen bin. Viele meiner Dokumentationen sind gar keine Dokumentarfilme, das sind Spielfilme in Verkleidung. Und ich benutze auch Methoden wie Casting und Inszenierung in Dokumentationen, was normalerweise nicht gemacht wird. Ich mache das aber, um einer tieferen Wahrheit auf die Spur zu kommen.
Schlöndorff sagt in dem Film »Radical Dreamer«, dass Sie quasi ein Event inszenieren und das dann wie eine Reportage filmen. Stimmen Sie dem zu?
Sehen Sie, ich habe etwa 70 Filme gedreht, unter ganz unterschiedliche Bedingungen, an unterschiedlichen Schauplätzen, mit unterschiedlichen Schauspielern. Es gab Szenen, wie Flöße durch Stromschnellen, die konnte man nur einmal drehen. Die spanischen Eroberer mit Helmen, Brustpanzern, Schwertern und Kanonen, das geht nur einmal und das dreht man eben. Ja, darauf trifft es zu. Aber ansonsten bin ich eigentlich sehr methodisch in meiner Vorgangsweise, stelle Schauplätze und Situationen her, die nur fürs Drehen da sind.
Sie haben bereits zwei Vulkanfilme gedreht, 1977 »La Souffrière – Warten auf eine unausweichliche Katastrophe« und 2016 »In den Tiefen des Infernos«. In ihrem neuesten Film »The Fire Within« drehen sie nicht selber, sondern arbeiten mit fremden Bildern. Gibt es da eine Wehmut, dass Sie diese Bilder nicht selber drehen konnten?
Auch bei »Grizzly Man« hat das Material des Protagonisten eine große Rolle gespielt, ein Mann, der Bären beschützen wollte, unglaubliche Filmaufnahmen gemacht hat von Bären, und von einem Bären aufgefressen wurde, und ich war derjenige, der das in einen Film zusammengeschmolzen hat. Insofern war ich in gewisser Weise auch notwendig. Die beiden Vulkanologen, die bei einer Explosion in Japan ums Leben kamen, haben ein Archiv mit unglaublichen Bildern hinterlassen. Ich wurde gebeten, daraus eine Biografie zu machen, doch Biografie sollte das nicht werden. Die Bilder sind so unglaublich großartig, dass ich sie in einer Art von Requiem feiern möchte. Ich wollte ein Musical, darum nennt es sich im Untertitel auch »Requiem für Katja und Maurice Kraft«.
Sie haben Ihr ganzes Leben der Suche nach noch nie gesehenen Bildern gewidmet, schmerzt es da nicht ein bisschen, dass Sie diese Aufnahmen im Angesicht der Vulkane nicht selber drehen konnten?
Nein, nein, nein, nein, nein. Man sieht vom ersten Moment an meine Begeisterung für diese Bilder. Ich will, dass es wie eine Feier von Kino selbst ist. Die beiden haben so großartige Bilder erschaffen, und sie schauen unglaublich großartig aus, in meinem Film, und das feiere ich! Ich feiere diese Bilder und ich feiere das Kino. Selbst neidisch zu sein, das wäre das Allerletzte, was mir in den Sinn käme. Es ist wunderbares Material, und ich habe einen richtig guten Film daraus gemacht.
An dieser Stelle müsste die Frage kommen, ob ihm denn niemals Zweifel oder Bedenken gekommen seien, doch die hat Werner Herzog schon eine halbe Stunde zuvor bei der Pressekonferenz beantwortet:
Da gab es immer so etwas, was man im Katholizismus kennt: Heilsgewissheit. Und deswegen können Sie auch singend in die Gladiatorenarena einziehen und ihre Heilsgewissheit lässt sie aufrecht da durch gehen. Klar, es hat dann auch immer wieder Rückschläge gegeben, z.B. bei »Fitzcarraldo«, das Schiff war nicht bewegbar, es war einfach zu schwer, unsere Stahltrossen, 5cm im Durchmesser, zu wenig robust, Umlaufrollen sind zerplatzt. Solche Stahltrossen, wenn die aufs Extreme gespannt sind, dann reißen sie letztlich und innendrin ist der Druck so hoch gewesen, dass die rotweiß glühend erhitzt sind. Wenn Sie das mal gesehen haben, dass eine Stahltrosse zerreißt und zischend dann vor Ihnen im Schlamm liegt, dann war natürlich die Frage, ist das machbar, und ohne diese Gewissheit wäre dieses Projekt innerhalb von fünf Minuten auseinandergeflogen. Ich wusste natürlich, im Prinzip ist das machbar, aber wir müssen einen Schritt zurückgehen, wir müssen andere Stahltrossen und andere Umlaufrollen haben. Aber Zweifel über meine Fähigkeiten hatte ich eigentlich nie. Auch diese Frage, dieses Selbstbewusstsein, das ich den Teilnehmern der Workshops vermittle, das hatte ich von Anfang an und zwar in völlig ungesunder Weise auch, meine Brüder haben mich da auch verspottet. Zum Beispiel das Drehbuch »Lebenszeichen«, ich hab gesagt, da ist ein Wettbewerb und ich weiß nicht, 480 Einsendungen, übrigens Schlöndorff war damals mit drin und alle aus der Filmriege der Fünfzigerjahre, und ich hab gesagt, ich gewinne das, weil es sicher das beste ist. Da gibt's kein Anderes. Und ich hab dann natürlich gebührend Spott über mich ergehen lassen. Aber das Witzige dabei war, dass das Drehbuch den Preis gewonnen hat. Aber diese Gewissheit hatte natürlich auch etwas Halsbrecherisches. Ich sage das manchmal in einer Metapher: Es ist als würde ich über ein Hochseil gehen, ohne zu wissen, dass ich auf einem Hochseil gehe. Ich geh geradeaus, weil ich einer Vision folge und deswegen falle ich nicht links, und ich falle nicht rechts.
Woher kommt bei Ihnen diese Sehnsucht nach Extremerfahrungen im Dschungel, in der Wüste, in der Antarktis, bei Vulkanen und Meteoriten? Hat das auch damit zu tun, sich spüren zu wollen?
Ich selbst spiele mit meinem Erfahrungshorizont keine Rolle, es ist völlig gleichgültig, was ich erlebe. Das Einzige, was zählt, ist, was Sie auf der Leinwand sehen. Wenn Sie Wissenschaftler sind und eine unbekannte Materie vor sich haben, dann erkennen sie ihr Wesen, ihre Struktur am besten, wenn sie unter extreme Hitze, extreme Bestrahlung, extremen Druck gestellt wird. Dann bekommen Sie die wahre Natur der Materie zu Gesicht. Und ähnlich ist es auch bei den Filmen. Ich würde gar nicht von Extremsituationen sprechen, was ich herstelle, macht die Menschen ganz tief innen sichtbarer, als es anders möglich wäre.
Sie haben sich schon sehr früh der Suche nach noch nie gesehenen Bildern verschrieben: Gab es dafür irgendwann mal Art Initialzündung?
Ich glaube, jeder Mensch nimmt die Übersättigung an Bildern, an verbrauchten Bildern wahr, vor allem heute, wenn Sie sich sehr viel auf YouTube herumtreiben oder im Internet, dort ist es noch viel überwältigender. Auf diese Erfahrung stößt jeder, und die Frage ist, können wir im Kino neue, unverbrauchte Bilder zeigen, die unserem Zivilisationsstand tatsächlich gerecht werden?
Sie haben oft gesagt, dass Ihre Schriften ihre Filme überdauern werden: Warum glauben Sie das?
Meine Prosa meine ich da, oder meine Gedichte, ich verfasse ja keine heilige Schrift, das klingt so übertrieben. Ich glaube, das wird jedem nach zwei, drei Seiten klar, der das Buch »Vom Gehen im Eis« liest, oder »Die Eroberung des Nutzlosen«. Da hat eine Substanz und Kraft drin, die wahrscheinlich die Filme überdauern wird. Das ist evident. Weiter erkläre ich das nicht.
Sie sagen, dass Sie den Film im Kopf haben und das Drehbuch dann nur noch protokollieren müssen…
…weil ich das Drehbuch erst schreibe, wenn ich einen Film direkt vor mir sehe. So wie wenn Sie vor der Leinwand sitzen und nur noch abschreiben müssen: Was reden die da? Wo sind die? Was tun die da? Hier muss die Musik sein. Deswegen kann ich Drehbücher auch so schnell schreiben.
Nicole Kidman war als »Königin der Wüste« die erste Frau unter diesen vielen Helden, die besessen den unterschiedlichsten Widerständen trotzen: Hat diese Frau unter den vielen Männern in Ihrem Werk Sie in irgendeiner Form selbst überrascht?
Das war eine Kette von Zufällen, die dann zu dem Film geführt haben, natürlich auch die Kenntnis von Gertrude Bell und ihren Schriften, besonders ihre Übersetzung des persischen Dichters Hafis, die unter 50 Übersetzungen ins Englische mit Sicherheit die beste ist. Das hat mich sehr fasziniert, im Film selbst spielt es kaum eine Rolle. Überrascht hat mich das nicht, weil ich es immer mit wunderbaren, begabten und großartigen Frauen zu tun hatte. Auch die Frauen, mit denen ich gelebt habe, waren alle großartig, wie ein Geschenk Gottes. Ich stelle mir manchmal vor, was würde passieren, wenn wir in einer Welt leben würden, in der es nur Männer gibt? Es wäre untragbar, es wäre entsetzlich.
Wie viel von diesen widerständigen, besessenen Helden von denen Sie erzählen, liegt auch in Ihnen selbst?
Eine direkte Verbindung zwischen mir als Person und den von mir erfundenen Personen herzustellen, ist sicher ein Fehler. Der ist oft gemacht worden und führt zu gar nichts. Es bringt weder etwas in der Sicht auf mich als Person, noch bringt es den Filmen etwas in der Sicht auf die Filme.
Aber ist es nicht immer so, dass in den Kunstwerken Anteile des Künstlers stecken?
Bestimmte Charakterzüge vielleicht ja, und Interessen ja, aber den Versuch eine Verbindung zwischen, zum Beispiel Aguirre und mir herzustellen, ist vollkommen falsch. Aber das passiert in den Medien oft. Und damit kann ich mich auch abfinden. Das ist nicht mein Problem. Das ist Ihr Problem.
Sie haben vorhin bei der Pressekonferenz auch über die Sprache geredet, über den kleinen bayerischen Jungen, der in der schwäbischen Schule wegen seines Dialekts gehänselt wurde. Im Laufe der Jahre haben Sie Ihre Sprache in besonderer Weise zum Charakteristikum ihrer Arbeit gemacht. Hat sich das ergeben oder haben Sie diese eigentümliche Sprache bewusst geformt?
Diese eigene Sprache, die in den Filmen zu hören ist, hat sich Stück für Stück ergeben. Die eigene Sprache zu finden, zum Beispiel in Kommentaren, Texten, aber auch als Schauspieler, zum Beispiel in »The Mandalorian« oder »Jack Reacher« oder in Gastrollen bei den »Simpsons«, das hat sich ergeben und ich fühle mich darin auch ganz sicher und weiß, dass die Zuschauer das mögen, sie hören dann viel aufmerksamer zu. Und die Filme werden auch viel authentischer dadurch, dass ich den Text nicht nur schreibe, sondern auch selbst spreche.
Umso überraschender, dass das ZDF das damals explizit nicht wollte, bei »Little Dieter needs to fly«, Ihrer Dokumentation über Dieter Dengler, der als Soldat im Vietnamkrieg, in Laos in Gefangenschaft geriet und als Einziger überlebte.
Nein, das war ein Prozess. Vor 30 Jahren fanden sie das im ZDF ganz schrecklich und wollten es abwürgen. Vor allem wollten sie, dass die wirkliche Hauptperson, die die ganze Gefangenschaft erlebt hat und fast tot gerettet wurde, im Film nicht vorkommt, sie wollten, dass Schauspieler Reenactments machen. Das ist ein Wahnsinn und gegen den habe ich mich damals mit Mühe durchgesetzt. Damals war das Fernsehen wie vom Wahnsinn geritten, und ich habe gesagt, da mache ich nicht mit, da könnt ihr die Wände hochgehen und ihr könnt Saltos vorwärts oder rückwärts machen. Das bleibt so, und wenn es nicht so bleibt, kaufe ich das ZDF. Achtung! Und ihr werdet alle entlassen. Richtig! Ich hätte sie alle entlassen.
Was muss denn passieren, dass Sie Lust haben, eine Rolle wie in »The Mandalorian« oder »Jack Reacher« zu übernehmen?
Das war nicht eine Lust, sondern ich bin in alle diese Rollen hineingeschleift worden, an den Haaren und mit meinen Füßen strampelnd. Ich habe sofort gesagt, zeigt mir das Drehbuch. Ich mache das nur, wenn das Drehbuch Hand und Fuß hat, wenn es eine interessante Geschichte ist. Ich hatte mindestens ein Dutzend Angebote für solche Filme und habe alle abgelehnt, weil sie alle Schrott sind. Und da mache ich nicht mit. Und ich habe mich nie beworben, nie ein Casting gemacht. In »Mandalorian« bin ich nur drin, weil der Regisseur wusste, ich bin auf der Leinwand glaubwürdig als Bösewicht oder als Figur, der man nicht über den Weg trauen kann. Und bei »Jack Reacher« haben Tom Cruise und der Regisseur gesagt, »Wir wollen dich, weil wir wissen, dass du auf der Leinwand Schrecken verbreiten kannst.« Und ich sagte »Ja, das kann ich.« Das ist eine Performance. Eigentlich bin ich ja eher ein freundlicher Mensch, aber ich kann das und konnte das auch ansatzlos, und ich bin gut und bin dafür auch ordentlich bezahlt worden. Zurecht.
Es gibt ja auch eine Fülle an Persiflagen von ihnen, etwa bei den Simpsons. Gibt es da irgendeine, die Sie besonders amüsant finden?
Ich kenne sie fast alle nicht, weil ich wenig im Internet zu Gange bin. Ich besitze zum Beispiel kein Handy und habe keine Applications, aber ich weiß, dass es mindestens drei Dutzend Doppelgänger im Internet gibt, die so tun, als wären sie ich, die versuchen, meine Sprache zu imitieren und sie erteilen Ratschläge fürs Leben, lesen Kinderbücher vor und was nicht alles. Sie veröffentlichen einen fürchterlichen Brief, den ich angeblich an meine Putzfrau geschickt habe, in dem ich sie niedermache. Das sind alles Erfindungen. Das irritiert mich nicht, das ist die heutige Zeit. Lass sie mal ruhig, diese Doppelgänger sind alle meine unbezahlten Bodyguards, meine Leibwächter.
In »Radical Dreamer« sagen Sie, dass all Ihre Filme aus Schmerzen entstanden sind. Was genau meinen Sie damit?
Das übergehe ich. Das ist Unsinn.
Haben Sie aber gesagt.
Irgendwann mal vor 65 Jahren, 1973 vielleicht. Auf diesem lahmen Gaul reiten Sie bitte nicht herum.
Eine definitiv jüngere Aussage ist, dass Sie ein guter Soldat des Kinos seien…
Ein guter Soldat des Kinos? Ja, natürlich. Ich sehe da bestimmte Eigenschaften, im Sinne von: einen Außenposten halten, der von allen schon aufgegeben ist. Also die Qualität von Storytelling zum Beispiel, Loyalität und Pflichtbewusstsein und solche Dinge, die eine Rolle spielen. Und diese Eigenschaften waren eigentlich immer in mir und haben mich eigentlich immer durch alle Arbeit geprägt.
Wenn Sie sagen, man würde einen Herzog-Film schon nach 60 Sekunden erkennen, ist das schon ein kleines bisschen kokett, oder?
Dass man einen Film von mir nach 60 Sekunden erkennt, ist nicht kokett. Ich stelle dagegen: Sie wissen es nach 30 Sekunden, auch ohne meine Stimme. Und wenn Sie es nach 30 Sekunden nicht wissen, sind Sie halb blind. Wenn Sie Aguirre auf der Leinwand sehen, da ist nicht meine Stimme, das ist Klaus Kinski in irgendeiner Situation. Oder »Bad Lieutenant«. Da ist Nicolas Cage, der eine alte Frau im Altersheim bedroht. In 30 Sekunden wissen Sie es, genauso, wie Sie einen Film von Ingmar Bergman in 30 Sekunden identifizieren können. Oder einen Film von Bunuel. Oder einen Film von Kurosawa. Und im Übrigen, wenn Sie durchs Fernsehen zappen, weniger als eine halbe Sekunde für jede Station, dann wissen Sie, aha: Fußballspiel. Aha: Werbung. Aha: Fernsehserie. Aha: Spielfilm. Und Sie wissen, alles ist schlecht. Gleich weiter zappen. Bis Sie auf etwas Gutes stoßen, das wissen Sie in fünf Zehntelsekunden. Einen Film von Bergman können Sie in 15 Sekunden zuordnen.
Stimmt es, dass Sie mit nur einer Zahnbürste in der Tasche nach Amerika gegangen sind?
Ich habe eine wunderbare Frau getroffen und wusste, mit der will ich leben, brachte mein Haus in Deutschland, in Österreich in Ordnung, habe alles weggegeben, Geld, Auto, Besitz, Bücher, Kleider und kam praktisch nur mit einer Zahnbürste zurück zu ihr. Weil ich nur ich selbst sein wollte. Es gibt nicht irgendwie eine Bibliothek, die ich mit mir schleppe, keinen Ruf, der mir vorausgeht oder hinter mir hergeht. Nur ich selber. Und dafür brauche ich eigentlich nur eine Zahnbürste als Besitz. Das hat mir Probleme gebracht beim Zoll, weil die glaubten, ich habe meinen Koffer auf dem Förderband zurückgelassen. Und da ist natürlich die Gefahr, dass man eine Bombe dabeihat. Das hat mir sechs Stunden Verhöre eingetragen und Hintergrundchecks.
Sie haben sich nicht mal irgendwelche Bücher nachschicken lassen?
Nichts aus dem vorherigen Leben. Ich bin mit einer Zahnbürste gekommen und habe gesagt »So, hier bin ich. Kann ich bei dir einziehen?« Und es gibt nur mich. Nichts anderes. Und ich glaube, Frauen verstehen das. Dass ein Mann daherkommt, der will es wissen. Es gibt nichts, was ihn weiter auszeichnet als er selbst. Nur der Mensch. Ich kam auch nicht daher mit einem Hubschrauber, der dann 10.000 Rosen abgeworfen hat wie Gunter Sachs über der Villa von Brigitte Bardot. Das war anders.
Zuletzt noch zur von Ihnen gegründeten Rogue Film School: Da geht es ja eigentlich nicht um Technik, sondern eher um eine Herangehensweise ans Leben, oder?
Technik kann man auf der Filmschule lernen. Ich gebe vorher bekannt, was da zu erwarten ist, das ist in zwei, drei kurzen Absätzen beschrieben. Sie bewerben sich nicht bei der Schurken-Filmschule, wenn Sie glauben, dass das auch nur eine Filmschule ist wie andere. Bei mir lernen Sie nicht einen bestimmten Stoff, sondern eine Mundart. Wie man an Filme herangeht und wie man ans Leben herangeht.
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