Eine furchtlose Mutmaßung
Vor ein paar Tagen geriet ich beim Zappen in die ersten "Alien"-Filme hinein und blieb bei ihnen hängen. Die Werbeunterbrechungen nutzte ich, um mit flinker Wikipedia-Lektüre mein Hintergrundwissen etwas aufzufrischen. Dabei stieß ich auf die unerhörte Behauptung, Ellen Ripley sei der erste weibliche Action-Held der Filmgeschichte. Sie ist zwar nicht kompletter Unfug, aber historisch natürlich unhaltbar.
Sie lässt sich bereits mit einem Blick auf die Anfänge des Mediums widerlegen. Die Stummfilmserials mit der unerschrockenen Pearl White wären ein schlagendes Gegenargument, ebenso wie Louis Feuillades französischen Fortsetzungsthriller; zumal »Les Vampires« mit Musidora als ruchloser Meisterschurkin Irma Vep, mit der wahrlich nicht gut Kirschenessen war. Auch hier zu Lande würde man auf der Suche nach weiblicher Tatkraft offenbar rasch fündig. Das Berliner Arsenal zeigt ab heute Abend die Reihe »Ellen Richter – Weimar Cinema's Action Queen«. Im Programmtext wird sie als große Unbekannte vorgestellt, aber ist wohl eher eine große Vergessene. In den 1920ern war sie ungeheuer populär. Ihr Leinwandimage spielte dem Weimarer Faible für Exotik und Mobilität zu. Filmtitel wie »Die Dame mit dem Tigerfell«, „Schatten der Weltstadt“ (nein, nicht Berlin, sondern Paris) oder »Die Fürstin Worozonoff« bürgen dafür. Den Sprung zum Tonfilm absolvierte sie angemessen akrobatisch, bis die Machtergreifung der Nazis ihrer Karriere ein Ende setzte.
Wie es scheint, hatte diese Heroine mit Ripley nicht nur die Initialen gemeinsam. Tatsächlich hieß sie Käthe Weiß und stammte aus Wien – wie so viele, die zur Größe des Weimarer Kinos beitrugen. Ansonsten bin ich freilich auf die Einschätzung anderer angewiesen, denn ich kenne noch keinen ihrer Filme. Gleichviel, ich finde die bis in den November hinein preschende Filmreihe ein so erfreuliches Vorhaben, dass ich Sie unbedingt darauf hinweisen will. Die Fama, die ihr vorauseilt, ist schillernd: ein Versprechen auf Abenteuerlust, Ironie und Charme, auf moderne Weiblichkeit und Eigensinn. Es gibt zahlreiche Einfühungen und die Stummfilme werden von namhaften Musikern begleitet.
Dass es für ein Programm mit zehn Titeln gleich dreier KuratorInnen bedurfte, mag auf den ersten Blick hochtrabend wirken, erklärt sich aber wohl hinreichend aus der Forschungsarbeit, die hier geleistet werden musste.(Im Stummfilm-Magazin ist ein aufschlussreiches Interview hierzu erschienen:https://www.stummfilm-magazin.de/features/2606-ellen-richter-retrospektive-in-berlin-interview-mit-philipp-stiasny-ueber-die-lange-unbeachtete-filmdiva.html:In 70 Filmen trat Richter ab 1913 auf; die Überlieferungslage ist, wie leider insgesamt beim Stummfilmerbe, beklagenswert. Man darf neugierig sein, was die Recherchen des Dreigestirns an ungekannten Schätzen hervorgebracht haben. So oder so wird sie ein Musterbeispiel weiblicher Ermächtigung im Filmgeschäft gewesen sein. Zusammen mit ihrem Ehemann und Regisseur Willi Wolff gründete sie 1920 eine Produktionsfirma, mit der sie sich die Kontrolle über ihr Leinwandimage sicherte und zu einer eigenen Marke wurde. Dieses Rollenbild war freilich offen, mithin vielgestaltig. Auch Lola Montez gehörte zu ihrem Portfolio. In dem schönen Artikel, den Fabian Tietke heute im "Tagesspiegel" veröffentlicht hat, stellt er Ellen Richter als Komödiantin vor. In »Moral«, dem heutigen Eröffnungsfilm, zieht sie laut Fabian gekonnt das Register der Sittensatire. Die kühne Entlarvung kleinbürgerlicher Doppelmoral scheint also auch zu ihrem Repertoire zu gehören. Ich denke, das Publikum darf furchtlos sein.
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns