Sky: »Euphoria«
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»Es wird Eltern geben, die total durchdrehen«, sagte der Serienmacher Sam Levinson, als 2019 die erste Staffel von »Euphoria« startete. Das klingt reißerisch, nach einer medienwirksamen Provokation. Nun, »Euphoria« war (und ist) tatsächlich provozierend. Und schockierend. Aber reißerisch ist die Serie nicht, dazu nimmt sie ihre Figuren viel zu ernst. Dennoch behielt Levinson recht, denn amerikanische Elternorganisationen äußerten sich entsetzt über das Jugendbild der Serie. Das ist nachvollziehbar – mit dem Heile-Welt-Selbstbild des konservativen Provinzamerika räumte »Euphoria« von der ersten Minute an auf. So viel vorab: Die nun in Deutschland gestartete 2. Staffel wird nicht milder, im Gegenteil.
»Euphoria« spielt in einer südkalifornischen Vorstadt und erzählt von einer Gruppe Jugendlicher, fast alle aus gutbürgerlichen Familien, die mit schwerwiegenden Problemen zu kämpfen haben. Drogen, seelische Verwundungen, sexuelle Manipulation und Gewalt spielen dabei zentrale Rollen. Im Mittelpunkt steht die 17-jährige Rue, die in bester amerikanischer Manier schon als Dreijährige zur Therapeutin geschleppt wurde und Pillen schlucken musste, weil man ihre Hochbegabung für eine Psychose hielt. Im Teenageralter entwickelte sich daraus eine handfeste Drogensucht.
Dass ausgerechnet der einstige Disney-Kinderstar Zendaya dieses kaputte All-American-Girl spielt, ist ein cleverer Coup, der manchen Eltern besonders bitter aufgestoßen sein dürfte. Die zweite Hauptfigur ist die sanfte Jules, ein in Transition befindliches Transgendermädchen. Auch sie hat eine von psychiatrischen Übergriffen geprägte Kindheit hinter sich. Die beiden werden beste Freundinnen, vielleicht auch mehr.
Zum knappen Dutzend weiterer Figuren gehören ein leicht pummeliges Mauerblümchen, das als maskiertes Webcamgirl notgeile Männer zur Kasse bittet, und ein soziopathischer Schulquarterback, dessen ultrastrenger Vater seine verdrängte Homosexualität kompensiert, indem er junge Online-Dates quasi vergewaltigt – darunter Jules. Das alles bildet nur die Spitze des Eisbergs, aber, nun ja, man bekommt einen Eindruck, in welche Richtung es geht.
Manche Kritiker nannten die Serie »unrealistisch«, was natürlich lächerlich ist, denn filmischer »Realismus« ist bekanntlich kein Maßstab dafür, wie gut eine Geschichte bestimmte Realitäten widerspiegelt. Bei »Euphoria« ist gerade das Schnelle, Grelle und Schillernde der Inszenierung eine intelligente Entsprechung zur jugendlichen Weltwahrnehmung, wo jedem Erlebnis etwas Überlebensgroßes anhaftet. Von Dick Pics bis TikTok geht es um medial geprägte Lebenswelten, was sich auch in den klug gesetzten Popsongs und den vielen filmhistorischen Verweisen zeigt. In den besten Momenten wirkt »Euphoria«, als habe Bret Easton Ellis eine Serie über die Generation Z geschrieben: ein finsterer, dabei niemals zynischer Gegenpol zu Teenage-Klassikern wie »90210« und »Gossip Girl«. Mit Hunter Schafer als Jules gehört dabei ganz selbstverständlich eine Transperson zum Hauptensemble, ohne dass ihre Identität je problematisiert wird. Dies ist umso bemerkenswerter, da Levinson ansonsten Repression und Bigotterie als Ursache der meisten Übel ausmacht.
All das scheint auch für die zweite Staffel zu gelten. Zunächst wirkt es, als würde Sam Levinson (der Sohn von Barry) in tarantinoeske Unarten abrutschen, mit kauzigen Gangstern und schrillen Gewaltszenen. Doch die Erzählung fängt sich schnell, findet neue Facetten an vermeintlich vertrauten Figuren, unterläuft Erwartungen, fängt mit Zuspitzungen und Stilisierungen ein jugendliches Lebensgefühl zwischen Einsamkeit und Euphorie ein. Als Teenager nimmt man alles intensiver wahr, und in »Euphoria« sind all die Drogen und der Sex letztlich nur ein verzweifelter Ersatz für jenes Gefühl, dass man in diesem Alter so intensiv empfindet wie nie wieder in seinem Leben: die Liebe.
OV-Trailer
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