Kritik zu Mr. May und das Flüstern der Ewigkeit
Uberto Pasolini produzierte vor Jahren die kämpferische Feel-good-Komödie Ganz oder gar nicht. Auf sein Regiedebüt von 2008, die Underdog-Komödie Spiel der Träume über die Handballmannschaft Sri Lankas, folgt nun ein verhalten kämpferischer Film über Tod und Einsamkeit
Eine Welt in Grau, ein Leben, aus dem anscheinend irgendwann alle Farben entschwunden sind. Geblieben sind der graue Himmel und die Straßen im Londoner Süden, das graue Büro in der Bezirksverwaltung und die nicht weniger graue Wohnung in einem dieser tristen englischen Wohnblöcke. Aber all das berührt den Beamten John May nicht weiter. Er geht ganz und gar in seiner Arbeit auf. Ein eigenes Leben hat der von Eddie Marsan gespielte Beamte nicht. Fast scheint es, als läge ihm daran auch gar nichts.
Mr. May lebt für andere. Alles, was er macht, steht im Dienst jener, die sein Mitgefühl und seine Beharrlichkeit wirklich brauchen und doch nie etwas von ihm und seinen Bemühungen erfahren werden. Wenn er in das Leben eines Fremden tritt, dann hat der längst schon alles verloren. John Mays Aufgabe ist es, im Namen der Londoner Behörden die Angelegenheiten all der Menschen zu regeln, die alleine gestorben sind. Er sucht nach Angehörigen, arbeitet sich durch die Hinterlassenschaften, organisiert das Begräbnis und schreibt zudem noch die Grabrede für den Priester, der er in der Regel als einziger Trauergast lauscht.
»God’s lonely man«, »Gottes einsamer Mann«, so hat sich einst Travis Bickle in Martin Scorseses Taxi Driver beschrieben. Die ihm unerträgliche Einsamkeit musste eine höhere, eine göttliche Dimension bekommen. Derartige Konstrukte sind Mr. May in Uberto Pasolinis wundervoll gelassener Tragikomödie völlig fremd. Dabei verbindet ihn durchaus etwas mit den großen Einsamen des Kinos, mit Männern wie Travis Bickle oder Jean-Pierre Melvilles »eiskaltem Engel«. Aber anders als sie empfindet er sein Alleinsein nicht als ein Schicksal, gegen das er sich auflehnen muss.
Mr. Mays Einsamkeit gebiert keine Gewalt. Aus ihr erwächst vielmehr ein tiefes Verständnis für die Vergessenen unserer Tage, die Deklassierten und an den Rand Gedrängten. Er kämpft um deren Würde und will ihnen damit das im Tod zurückgeben, was ihnen zuvor im Leben genommen wurde. Nur passt seine Sorgfalt nicht mehr in eine Zeit, in der sich alles um Effektivität dreht. Also wird John May entlassen. Einen letzten Fall darf er noch bearbeiten. Für Billy Stoke, dessen Leiche in einer Wohnung direkt in Mr. Mays Nachbarschaft gefunden wurde, begibt er sich auf eine kleine Odyssee, die auch eine Reise durch die jüngere Zeitgeschichte ist.
Nur die Umstände, unter denen Mr. May entlassen wird, verweisen unmissverständlich auf die gesellschaftlichen Verhältnisse im heutigen England. Ansonsten verzichtet Uberto Pasolini auf jeden zu offensichtlichen Kommentar. Doch die ruhigen Einstellungen, in denen er und sein Kameramann Stefano Falivene das Leben in der Londoner Peripherie und in einem der aus der Mode gekommenen Badeorte porträtieren, erzählen auch so alles über die Verwüstungen, die zunächst Margaret Thatcher und später dann New Labour hinterlassen haben. Pasolinis Blick auf die Verlierer der vergangenen 40 Jahre hat genauso wie Mr. Mays Haltung nichts Nostalgisches oder Verklärendes. Keiner von ihnen ist blind für die Schwächen und Fehler von Männern wie Billy Stoke, der sich im Lauf der Zeit auch selbst zerstört hat.
Uberto Pasolini begehrt nicht gegen die Verhältnisse auf. Er klagt sie aber an, leise, ruhig und insistierend. Darin ähnelt Mr. May und das Flüstern der Ewigkeit seinem Protagonisten. Eddie Marsan nimmt sich in der Rolle des unangepassten Beamten, der sich nur seinem Kodex und nicht den wechselnden Normen der Gesellschaft verpflichtet fühlt, ganz zurück. Mit seinen unauffälligen dunklen Anzügen und seiner immer etwas gebückten Haltung wirkt es fast so, als wolle dieser Mr. May möglichst wenig auffallen. Aber gerade dieser Habitus des nahezu Unsichtbaren hat etwas Widerständiges. In einer Gesellschaft, die sich in Äußerlichkeiten und im Materiellen verliert, stehen der extrem konzentriert spielende Eddie Marsan und der unauffällige Mr. May für ein anderes Ethos. Sie erinnern einen daran, was wirklich wichtig ist.
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