Kritik zu Gemma Bovery

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Gemma Arterton tritt bereits zum zweiten Mal (nach »Immer Drama um Tamara«) in der Verfilmung eines grafischen Romans von Posy Simmonds auf. Der Star von »Gemma Bovery« ist jedoch jemand anderes

Bewertung: 3
Leserbewertung
3
3 (Stimmen: 2)

Der große Ehrgeiz des Schauspielers Fabrice Luchini, das weiß man schon von seinen zahlreichen Auftritten bei Eric Rohmer, zielt darauf, das Sprechen zu einer filmischen Attraktion höchsten Grades zu machen. In »In ihrem Haus« und »Molière auf dem Fahrrad« ging der begabte Plauderer letzthin noch einen Schritt weiter und führte vor, welch spannendes Ereignis das Lesen sein kann. Auch in seinem neuen Film wird er als Leser zum Mitgestalter der Fiktion. Was wäre dem Kino nur verloren gegangen, wenn er den Beruf seines Vaters ergriffen hätte und Gemüsehändler geworden wäre!

In »Gemma Bovery« vollführt seine Figur jedoch einen ähnlichen Schritt: Der ehemalige Journalist Martin ist vor sieben Jahren aus Paris in die Normandie zurückgekehrt und hat die Bäckerei seines Vaters übernommen. Davon versprach er sich ein Leben in Ruhe und Ausgeglichenheit. Der Anblick seiner neuen Nachbarin Gemma Bovery (Gemma Arterton) katapultiert ihn jedoch stracks zurück in die Welt des Begehrens. Sie ist mit ihrem Mann Charlie (Jason Flemyng) aus London in den beschaulichen Flecken umgezogen und schätzt Martins Backwaren. Dem intellektuellen Bäcker fällt sofort die Namensverwandtschaft mit Gustave Flauberts berühmter Heldin auf und er fürchtet, dass sie ein ähnliches Schicksal ereilen könnte.

Zu Beginn des Films findet er nach Gemmas plötzlichem Tod deren Tagebuch und stiehlt es heimlich dem Witwer. Er ist überzeugt, zumindest eine Mitschuld an ihrem Tod zu tragen. Die Prämisse von Posy Simmonds’ grafischem Roman nimmt eine bemerkenswerte Verschiebung vor: Es ist ein wenig so, als habe Flaubert den dünkelhaften Apotheker Homais zum Erzähler seines Romans erkoren. Die Vorlage ist widerstandsfähig, hat schon diverse Adaptionen heil überstanden (die schönste spielt während des irischen Bürgerkriegs: »Ryans Tochter« von David Lean) und durchläuft im Drehbuch von Anne Fontaine und Pascal Bonitzer einen weiteren Filter. Bei Simmonds gibt es eine aufreibende Vorgeschichte in London, in der Gemma eine unglückliche Liebesgeschichte mit einem Kollegen durchlebt und sich mit Charlies Exfrau und Kindern abplagen muss. Der Film spart sie aus  und holt ihr Drama zurück in die Normandie, die Christoph Beaucairne mit sommerlich schwelgendem, aber untouristischen Blick filmt.

Von Flauberts Emma bleibt bei dieser geografischen Rückeroberung nicht viel übrig; muss es auch nicht. Fontaine zelebriert gern die Mechanismen der Verzauberung und erotischen Fantasien; ihr Blick auf Charaktere ist, wie in »Nathalie...« und »Tage am Strand«, ungeniert fetischisierend. Gemmas Sexappeal interessiert sie mehr als die Vergeblichkeit von Emmas mondänen Träumen. Gemma Arterton verteidigt ihre Rolle nach Kräften, verleiht ihr Elan und Melancholie. Gemma Bovery muss nicht an dumpfer Provinzialität scheitern, ihr Ende darf tragikomisch sein. In der Normandie würden zwar mehr Antideppressiva genommen als anderswo, klärt Martin sie auf, aber es gäbe als Alternative ja immer noch den Calvados.

Meinung zum Thema

Kommentare

Dass eine Graphic Novel die Vorlage für diese Film sein soll, merkt man ihm nicht an. Zu geistreich und zu amüsant kommt der Plot daher und der Gipfel ist das wunderbare Ende, das den Genießer geistreicher Pointen mit der Zunge schnalzen lässt und dazu noch ein hoch erfreutes, zufriedenes Schmunzeln hervorruft.
Regisseurin Anne Fontaine lässt das Ensemble subtil agieren. Allen voran die Titelfigur Gemma Arterton. (Vorname Zufall?). Aber auch der verliebte Bäcker Martin (Fabrice Luchini), ein Künstler seines Fachs, trägt viel zum Gelingen des Films bei.
Die Grundidee ist die Frage: kann Literatur ein Abbild bzw. Vorbild der Realität sein?
Martin kennt den Roman von Flaubert und das Ende von Madame Bovary. Er tut alles, um das zu verhindern. Es wird schwer, wenn man bedenkt, dass die Schöne außer dem Bäcker, der sie als Nachbar anhimmelt noch drei weitere Liebhaber hat: ihren Ehemann Charlie (Jason Flemyng) und den adeligen Hervé (Niels Schneider), den Martin durch einen Fake Brief außer Gefecht setzt und ihren Ex Patrick (Mel Raido).
Das Geniale ist aber Gemmas Ende, an dem alle drei irgendwie beteiligt sind, ohne dass ihnen ein schuldhaftes Verhalten zur Last gelegt werden kann. Das ist großartig eingefädelt. Martin, Charlie und Patrick stehen an Gemmas Grab: schuldlos schuldig. Flaubert Kenner haben sich schon über die Schreibweise des Namens von Madame gewundert: e statt a ? Und dann erklärt das Martins Sohn, wenn er die neuen Nachbarn einführt. Die heißen Karinina! Hier grinsen Tolstoi Kenner erneut. Hieß die Anna K., die sich aus Liebeskummer vor den Zug geworfen hatte nicht Karenina? Auch Martin ist verblüfft, dass die Neuen so akzentfrei Französisch sprechen…
Nicht nur nett, sondern auch genial und Gemma macht wieder ganz schön Drama, wie damals um Tamara.

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