Buch-Tipp: Betty Schiel & Maxa Zoller – Was wir filmten
Als im Oktober 2020 dreißig Jahre deutsche Wiedervereinigung gefeiert wurden, setzte das Internationale Frauenfilmfestival Dortmund+Köln eigene Akzente. Ein Programm des pandemiebedingt auf September verschobenen Festivals präsentierte Dokumentar- und Experimentalfilme von Filmemacherinnen, die sich mit ihren Wurzeln in der ehemaligen DDR, der komplizierten Nachwende-Situation und dem Machtgefälle im noch immer als geteilt empfundenen Deutschland auseinandersetzen.
Knapp zwanzig Filme aus den Jahren 1990 bis 2019 regten das Team um Festivalleiterin Maxa Zoller und Kuratorin Betty Schiel zu dem Essayband »Was wir filmten« an. Über den Festivalkatalog hinaus will es das Filmschaffen ostdeutscher Regisseurinnen mit Blick auf ihre persönlichen Erfahrungen und eigenständigen ästhetischen Ansätze reflektieren. Die Herausgeberinnen verstehen die »Erinnerungsbilder und Sprechakte« des Buches als Bausteine einer gegenläufigen feministischen Filmgeschichtsschreibung, die aus subjektiver Perspektive die als fremdbestimmt kritisierten gängigen Narrative über den historischen Umbruch zurückweist.
Hilde Hoffmann untersucht die genaue Beobachtungskunst in Petra Tschörtners Film »Berlin Prenzlauer Berg«. Mit viel Kontext beschreibt sie, wie die Ostberliner Regisseurin den Schwebezustand ihres lebensprallen und geschichtsträchtigen Kiezes zwischen dem klassischen Arbeiterkampftag 1. Mai und der auf kapitalistische Übernahme zulaufenden Währungsunion am 1. Juli 1990 festhielt. Madeleine Bernstorff erinnert an das im selben Sommer entstandene Kollektivprojekt »Berlin, Bahnhof Friedrichstraße«, ein Zeitzeugnis, in dem fünf Filmarbeiterinnen mit west- und ostdeutschen Wurzeln den Um- und Abbau des als DDR-Transitraum vermauerten Bahnhofs in Berlin-Mitte filmten. Cornelia Klauß würdigt die Super-8-Filmerinnen der DDR, die sich jenseits der staatlich kontrollierten Bildproduktion ein Medium dissidentischer Formsprachen und Körperpolitiken eroberten, das mit der misslungenen Revolution unterging.
Angelika Nguyen und Ines Johnson-Spain beschreiben die Entstehung, Formfindung und Rezeptionsgeschichte ihrer autobiografisch geprägten Filme »Bruderland ist abgebrannt« (1992) und »Becoming Black« (2019). Nguyen erzählt von vietnamesischen Vertragsarbeiter*innen, ihrer Ausgrenzung in der DDR und der Nötigung zum Heimflug nach 1989, beides vor dem Hintergrund der alarmierenden rassistischen Anschläge Anfang der 1990er. Ines Johnson-Spain geht den Tabus nach, die sie als dunkelhäutiges Kind einer ostdeutschen Wissenschaftlerfamilie erlebte, sowie ihre späte Spurensuche nach der afrikanischen Familie ihres leiblichen Vaters, der während eines Arbeitsaufenthalts der Deutschen in Togo eine von DDR-Seite verbotene Affäre mit Ines’ Mutter eingegangen war. Zusammen mit Sorge 87, einem sehenswerten Onlineprojekt von Than
Nguyen Phuong (www.sorge87.de/) über das Leben vietnamesischer Arbeiter*innen in ihrem sächsischen Heimatort Sorge bietet der interkulturelle Fokus des Buches auch aktuell brisante Perspektiven.
Leider weist »Was wir filmten« nicht auf weitere Filme und ergänzende Literatur zur filmischen Nachwende-Reflexion von Regisseurinnen hin. Es fehlt auch an Lektüretipps zum Forschungsstand über die tatsächlich komplexen Hintergründe der Transformationsprozesse nach 1989, insbesondere im Ost-West-Vergleich. In einem Gespräch der Filmfrauen wird der Fixierung des öffentlichen Diskurses auf die Themen Stasi und Unterdrückungsstaat heftig widersprochen. Im Zentrum der Identitätssuche, die die im Buch versammelten Texte dominiert, steht vielmehr das Trauma der Massenentlassungen infolge des Wildwestkapitalismus (und des Zusammenbruchs angestammter Märkte in Osteuropa, wäre zu ergänzen). Therese Koppes Essay über die zu Unrecht vergessenen Spielfilme »Herzsprung« und »Engelchen« von Helke Misselwitz führt ihre eigene gesellschaftskritische Selbstverortung als Nachgeborene leider eng mit ihrer Filmanalyse zusammen, so dass die zeitlos gültige minimalistische Formsprache dieser Parabeln (»Romantik pur«, sagt Helke Misselwitz über ihre Filme) zu kurz kommt. Die Frage, wie an verlorene Utopien einer besseren Gesellschaftsordnung anzuknüpfen wäre und wie diese Suche in Filmen sichtbar werden könnte, bleibt ein Kernthema.
Betty Schiel & Maxa Zoller (Hg.): Was wir filmten – Filme von ostdeutschen Regisseurinnen nach 1990. Bertz + Fischer, Berlin 2021. 208 S., 16 €.
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