Kritik zu Kinder der Hoffnung
Die israelische Filmemacherin Yael Reuveny besucht ihre ehemaligen Klassenkameraden und Klassenkameradinnen. Die Gespräche ergeben ein Generationenporträt mit zwiespältigem Ausblick
Im Jahr 2005 verließ Yael Reuveny ihr Heimatland Israel, um nach Berlin zu ziehen. 2014 realisierte die Enkelin von Shoah-Überlebenden mit »Schnee von gestern« einen komplexen Dokumentarfilm über die deutsch-israelischen Familiengeheimnisse ihrer Herkunftsfamilie. Nun kehrte sie für einen weiteren Film nach Petach Tikwa zurück, um dort in Begegnungen mit ehemaligen Klassenkameradinnen und -kameraden Träumen und Lebensrealitäten ihrer Generation nachzuforschen. Dabei steht der fast empirischen Methode der Befragung ein höchst persönlicher Kommentar gegenüber.
»Der Mensch ist nichts als die Form der Landschaft seiner Heimat«, stand als ebenso gewichtiges wie unverständliches Motto am Eingang der Schule, in die Reuveny 1988 mit einunddreißig anderen Kindern feierlich eingeschult wurde. Auf alten Home Movies ist das mit dem Akkordeon begleitete Singen patriotischer Lieder zu sehen und zu hören. Der Kommentar erzählt von dem den Kindern aufgedrückten Versprechen, tatkräftig beim Aufbau des Landes und seinem Weiterkommen zu helfen.
Petach Tikwa heißt Tor der Hoffnung. In den 1980ern bedeutete das in der vom Mittelstand geprägten Nachbarschaft die Hoffnung auf eine bessere materielle Zukunft und Frieden mit den arabischen Nachbarn. Heute ist Erstere bei den meisten im Film gesichert, vom Wunsch nach Versöhnung aber sind nur Trümmer und Ängste geblieben. Für Reuveny, die aktiv an der Friedensbewegung der 1990er Jahre beteiligt war, endete das Hoffen spätestens mit der Ermordung von Ministerpräsident Yitzhak Rabin am 4. November 1995. »Wir sind die erste Generation, die die Hoffnung erlebte, und die erste, die sie verlor«, sagt sie.
Besonders die Frauen berichten von starkem Konformitätsdruck durch Familien und Gesellschaft. Karriere, Heiraten und Kinderreichtum sind Pflicht, eine Frau ohne Kinder wertlos. Auch die Regisseurin selbst bemüht sich – bis zum Drehschluss vergeblich – um Nachwuchs und spricht ihre damit verbundenen Schuldgefühle an: »Israel zu verlassen und keine Kinder gezeugt zu haben, fühlt sich an wie Verrat«, sagt sie. Ihr Film ist ihre Auseinandersetzung mit der Widersprüchlichkeit dieser Gefühle – und der Versuch, der Last der »Hoffnungen und Träume vergangener Generationen« eine eigene Stimme entgegenzusetzen.
Zwischenszenen zeigen historisches Archivmaterial, Bauarbeiten in der an modernen Hochhäusern reichen Stadt, eine Wohnungsbesichtigung und eine Schulstunde zum 70. Geburtstag Israels 2018, wo wir lernen, dass es auch in der Nationalhymne um den Begriff der Hoffnung geht. Einer der ehemaligen Mitschüler lebt nicht mehr. Moishale kam 2002 als Offizier bei einem Einsatz ums Leben. An seiner Stelle sprechen seine Eltern im Film. »Wir haben den höchsten Preis gezahlt«, sagt der Vater, »aber bereuen wir es? Nicht für eine Sekunde.« Doch wenn eines ihrer Kinder im Exil leben würde, würden sie dies als eigenes Versagen erleben. Da ist noch einmal laut und deutlich die Stimme der Generation, an der sich Reuveny abarbeitet.
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