Kritik zu Mitgefühl
Zuwendung als Therapie: Ein kleines Heim in Dänemark praktiziert ein ungewöhnliches Pflegekonzept für Demenzkranke
Kühl und grau sei das Haus gewesen, alles habe nach Urin gerochen, die Stimmung negativ, die Mitarbeiter unglücklich und die Bewohner weitgehend allein gelassen. So beschreibt May Bjerre Eiby das Pflegeheim für Demenzkranke, in dem ihr Vater starb. Letztlich, so Eiby, sei er aufgrund von Vernachlässigung gestorben. Diese Erfahrung motivierte die Enddreißigerin, die selbst als 17-Jährige in den Pflegeberuf eintrat und später ein Studium der Krankenpflege absolvierte, ein eigenes Heim zu gründen, das den Bewohner:innen einen würdevollen letzten Lebensabschnitt ermöglichen soll.
Nach Jahren der Vorbereitung und finanziellen Planung wurde das Heim in einer umgebauten alten Werkstatt eingerichtet und 2016 eröffnet. Obwohl es nur Platz für zwölf Personen bietet, handelt es sich nicht um ein Haus für reiche Insass:innen, die Bewohner:innen seien allesamt normale Rentner:innen, Finanzierung und Personalausstattung entsprechen der von anderen Häusern. »Mitgefühl als Behandlungsmethode« nennt Eiby das Konzept, das das Haus Dagmarsminde in Græsted, einer Kleinstadt 50 Kilometer nördlich von Kopenhagen, von anderen Einrichtungen unterscheidet. Im Vordergrund dieses in Dänemark einzigartigen Projekts steht der Gedanke, die Pflegebedürftigen im Rahmen der jeweils individuellen Möglichkeiten in die Wohn- und Lebensgemeinschaft zu integrieren. Die Zimmer der Bewohner:innen sind eher klein, der gemeinsam genutzte Raum, wo sie die meiste Zeit verbringen, ist dagegen groß. Sitzecken bieten Gelegenheit, sich in verschiedenen Konstellationen allein oder mit anderen zu beschäftigen. Ein Garten sowie ein Hund und eine Katze gehören zum Pflegekonzept, das May Bjerre Eiby mit dem Begriff der Umsorgung beschreibt: Zuwendung als eine Therapie, die auch zum Ziel hat, die Medikamenteneinnahme bei den Patient:innen zu reduzieren.
Der dänischen Dokumentaristin Louise Detlefsen geht es um einen »warmherzigen wie inspirierenden Blick in den Alltag von Menschen mit Demenz«. Dabei sieht sich Detlefsens Film mit ähnlichen Problemen konfrontiert wie Stefan Sicks Dokumentation »Das innere Leuchten« über ein Stuttgarter Pflegeheim für Demenzkranke. Beide Filme sind Versuche, sich kommentarlos, mit rein visuellen Mitteln der Wahrnehmungsperspektive der kranken Menschen anzunähern. Ob sich ein Film bei der Darstellung dieser hermetischen Innenwelt zu viel vornimmt, sei dahingestellt. Problematisch wird es, wenn Kamera und Mikrofon dabei die Mimik und die Gespräche von Menschen einfangen, die sich der Tatsache des Beobachtetwerdens nicht oder kaum bewusst sind, besonders dann, wenn der Film Bilder vom Sterbeprozess einer alten Frau zeigt.
Wie »Das innere Leuchten« ist auch »Mitgefühl« ein »Plädoyer für ein würdevolles und glückliches Lebensende« (Detlefsen) – ein wichtiges Anliegen bei weiter ansteigender Lebenserwartung. Doch auch wenn sich die Filmemacherin dabei immer wieder des Einverständnisses der Kranken sowie der Angehörigen versichert hat – ein Unbehagen bleibt.
Kommentare
Werbung für Umgang der die Würde erhält.
Auch wenn es bedenklich erscheint, nahe Aufnahmen von Gesprächen mitzuschneiden, ist der Film jedoch geprägt von Beispielen, wie wertschätzender Umgang, die Würde von Menschen mit Demnz erhält. Er zeigt vor allem das "Wie" - dies gelingen kann.
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