Kritik zu Frühling in Paris

OmeU © TIFF / MFA+ Filmdistribution

2020
Original-Titel: 
Seize Printemps
Filmstart in Deutschland: 
17.06.2021
L: 
74 Min
FSK: 
keine Beschränkung

Kein Schulmädchenreport: In ihrem Debütfilm, in dem sich eine 16-Jährige und ein 35-jähriger Mann verlieben, unterläuft die junge Hauptdarstellerin und Regisseurin Suzanne Lindon nonchalant die Erwartungen

Bewertung: 4
Leserbewertung
5
5 (Stimmen: 1)

Die 16-jährige Suzanne ist eine Grüblerin, die mit ihren Klassenkameraden nicht viel anfangen kann. Ihr Versuch, im Strom mitzuschwimmen, auf einer Fete so ausgelassen wie die anderen zu tanzen, bereitet ihr Unbehagen. Doch da ist dieser gut aussehende, melancholische Typ, den sie auf ihrem Schulweg morgens im Café sieht. Suzanne beginnt ihn zu stalken, richtet ihr erwachendes Begehren auf ihn. Und es klappt: Einem langen Blick und der klassischen Flirteröffnung mit der Frage nach Feuer folgen kleine Rendezvous. Zu Anfang will Raphaël, ein Theaterschauspieler, wissen, wie alt Suzanne ist; er selbst zählt 35 Jahre. Was soll man davon halten?

Die 21-jährige Regisseurin Suzanne Lindon, die auch die Hauptrolle spielt und mit 15 Jahren mit dem Schreiben des Drehbuchs begann, ist die Tochter der Schauspieler Sandrine Kiberlain und Vincent Lindon. Vielleicht ist es auch diesem Promi-Hintergrund geschuldet, dass ihr Erstlingsfilm so souverän wirkt. Das großbürgerliche Milieu, in dem Suzanne eingebettet ist, vermittelt auf unprätentiöse Weise eine Stabilität, die es dem Mädchen erlaubt, sich ungehindert der Entdeckung seiner Gefühle zu widmen. Da ist niemand, der sie piesackt, auch kein Drang zur Rebellion. Die Eltern – der Vater wird vom Star der Serie »In Therapie«, Frédéric Pierrot, gespielt – sind angesichts Suzannes Verhalten leicht irritiert, bleiben aber gelassen.

So wird in einem idealtypischen Paris eine Spielwiese zwischen Lycée und Altbauwohnung, Cafés und dem kleinen Theater, in dem Raphaël ein Stück probt, abgesteckt. Auf dieser urbanen Bühne strecken die beiden, die sich in ihrem Fremdeln mit der Welt wiedererkennen, behutsam die Fühler aus. Der Akt des Verliebens wird mit Szenen, in denen sie sich zur Barockmusik von Vivaldis »Stabat Mater« in einem synchronen Pas de deux bewegen, auf einer theaterhaften Meta-Ebene weitergesponnen.

Das ausgeruhte Geplänkel erinnert auch an die Filme von Éric Rohmer. Und Suzanne, die meist eine Uniform aus Jeans und weißer Bluse trägt, ist mit ihrem herben Liebreiz, ihrer Schlaksigkeit und der Mischung aus katzenhafter Scheu und Selbstbestimmtheit fast eine Wiedergängerin der jungen Charlotte Gainsbourg.

Keiner käme auf die Idee, Lindons jüngeres Alter Ego als »Teenie« zu bezeichnen. Nonchalant ignoriert Lindon weitere zeitgenössische Diskurse; die Handlung ist auf fast provokative Weise brav. Dies ist ein Liebesfilm ohne Smartphone und ohne Sex. Assoziationen an »Lolita« und Missbrauch werden schnell im Keim erstickt, nicht nur weil Suzanne die Kontrolle behält und Raphaël im Grunde als Übungsmaterial benutzt: Handküsse und Küsse auf den Hals haben eine höfische, zeremonielle Anmutung. Nun ist dieser Märchenprinz mehr pubertäre Wunschfantasie als ein Wesen aus Fleisch und Blut und Testosteron. Doch die Stilsicherheit, mit der Lindon das amouröse Frühlingserwachen inszeniert, wie es ihr gelingt, der potenziell anrüchigen Liebelei einen märchenhaften Zauber zu verleihen, ist erstaunlich – und vielversprechend.

Meinung zum Thema

Kommentare

Habe es genossen, diesen anrührenden Film, der zwar französisch - trotzdem nicht so typisch französisch - war, zu schauen.
Er hat berührt, war nicht laut, nicht aufdringlich, die Rollen von den Schauspielen glaubhaft dargestellt. Die Tanz-Szenen waren eine interessante, zum Teil zarte, anmutige und schöne Darbietung.
Kurzum: mal ein ganz besonderer Film

Zählt sicher seit heut Abend zu den bezauberndsten Filmen, die ich je gesehen habe ....ganz wundervoll...sanft, natürlich, unprätentiös und überraschend
Da hofft man auf noch mehr wunderbare Filme dieser jungen Regisseurin und Schauspielerin!

Sehr poetisch, sehr schön.
Keine Langeweile. Der Film hat mich berührt.
Danke!

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