Buch-Tipp: Geschichte des italienischen Films

Geschichte des italienischen Films. © Schüren Verlag

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Italiens ganze Fülle

Es ist schon erstaunlich, dass über eine der reichhaltigsten und aufregendsten Kinematografien Europas, nämlich die italienische, in Deutschland so wenig publiziert wurde, sieht man von sehr spezialisierten Veröffentlichungen wie solchen zum giallo (dem eigentümlichen Thriller-Genre aus Cinecittà) oder zur filmischen Auseinandersetzung mit dem Faschismus oder aber von Monografien zu den Giganten Fellini, Visconti, Antonioni und Pasolini ab. Irmbert Schenk, der zusammen mit Thomas Koebner schon einen Sammelband zum »Goldenen Zeitalter des italienischen Films. Die 1960er Jahre« herausgegeben hat und selbst »Film und Kino in Italien – Studien zur italienischen Filmgeschichte« verfasste, hat hier Abhilfe geschaffen und eines der Bücher vorgelegt, die in einer Cineasten-Bibliothek eigentlich nicht fehlen dürfen. 

Ein Standardwerk also. Das ist die gute Nachricht. Die nicht ganz so gute Nachricht ist, dass, wie der Autor schon im Vorwort fairerweise bemerkt, die Anforderungen der New Film History mit der Einbeziehung der »Makroebene« nur bedingt übernommen sind. Zwar wird vor jedem Kapitel ein kursorischer Überblick über die soziale und politische Lage Italiens zur entsprechenden Zeit gegeben, aber es folgt eine doch eher klassische Verbindung von Karrierebericht, Filminhalt und Formanmerkung nebst filmkritischer Einsprengsel. Über Paolo Sorrentinos Loro heißt es dann beispielsweise: »Es gelingt ihm nicht, die Faszination Berlusconis für die Italiener zu zeigen, was doch als ursprüngliche Absicht zu vermuten ist. Es fehlt ihm dafür sowohl das scharfe analytische wie das böse satirische Element.« Ich wage nicht zu beurteilen, wie treffend diese Einschätzung ist, aber es führt eben nicht zu einer New-Film-History-mäßigen Überlegung zur Beziehung von Berlusconi und Berlusconismus im Film und auch nicht dazu, Sorrentinos nur auf den ersten Blick so »sanfte« Methode zu betrachten, die Visualität dieser Beziehung filmisch zu dekonstruieren. Oder zu einer Beziehung zwischen Film und Wirklichkeit, die über das Diktum »gelungen« oder »missglückt« hinausgeht. Es kommt, mit anderen Worten, auch in der Geschichtsschreibung des Films der strukturelle Widerspruch zwischen Bewerten und Verstehen zum Vorschein.

Ein richtiger Kritikpunkt ist das natürlich nicht, denn wie sonst als durch eine bewusste Beschränkung und eine filmkritische Einordnung sollte man auf 316 Seiten eine solche Fülle von Namen und Werken verarbeiten. Es ist stattdessen ein Hinweis darauf, wohin man den Blick nach dem Erwerb des Basiswissens noch lenken könnte. Und vielleicht auf die Grenzen der klassischen Filmgeschichtsschreibung. 

Es ist jedenfalls eine recht traditionelle, sehr informative und sehr nützliche Arbeit entstanden, die für einen ersten Überblick wahrlich gute Dienste leistet. Bei einer solchen Übersicht kann man natürlich nicht allen Verzweigungen und Unterströmungen gleich gerecht werden. Sieben Kapitel strukturieren das Buch: 1. Der Stummfilm von 1895 bis in die 1910er-Jahre. 2. Film und Kino nach dem Ersten Weltkrieg und im Faschismus. 3. Neorealismus. 4. Die 1950er-Jahre. 5. Der Aufbruch des italienischen Kinos um 1960. 6. Krise und Neuanfang des italienischen Kinos (1980–2000). 7. Das Kino der Gegenwart (2000–2020). Das »Traditionelle« dieser Filmgeschichtsschreibung liegt in dem Vorgehen, die Filmgeschichte weitgehend anhand der Regisseure und Regisseurinnen und ihrer Filme zu entwickeln. Der Vorteil dieser Methode ist, dass man ein solches Buch auch hervorragend als kleines Nachschlagewerk verwenden kann, wenn man etwas zu einem bestimmten Film oder seinen Autoren wissen will. Ein Nachteil, liegt darin, dass wir uns mehr oder weniger ausschließlich auf kanonisiertem und gesichertem Gelände bewegen. Neue Perspektiven oder überraschende Entdeckungen wird man hier schwerlich finden, stattdessen mit einer Fülle von Informationen versorgt.

Das Problem unserer Zunft (der »Film-Beschreiber:innen«) liegt darin, dass das vorhandene Faktenwissen mittlerweile ins Quasi-Unermessliche gewachsen ist. Selbst streng definierte Abschnitte der Filmgeschichte sind in einer linearen und auktorialen Schreibweise kaum noch zu bewältigen. Deshalb ist ein solches Buch nicht genug zu preisen, das den Mut hat, einen roten Faden zu liefern, und sich dabei naturgemäß an eine Hauptlinie der Entwicklung hält und Ausfransungen und Untergründe vernachlässigen muss. Schön ist auch, dass Irmbert Schenk dem gegenwärtigen italienischen Kino eine Ehrenrettung angedeihen lässt. Sein Hinweis, die Filme dieser Kinematografie nicht auf ewig an den großen Zeiten zu messen, soll nicht auf taube Ohren stoßen.

 

Irmbert Schenk: Geschichte des italienischen Films. Cinema Paradiso? Schüren Verlag, Marburg 2021. 334 S., 34 €.

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