Kritik zu Ein bisschen bleiben wir noch
Ein Geschwisterpaar, das mit der Mutter aus Tschetschenien nach Österreich geflohen ist, wird getrennt bei Pflegeeltern untergebracht. Die Erfahrungen, die Oskar und Lilli dabei machen, sind sehr unterschiedlich
»Oskar & Lilli« ist ein Roman der Österreicherin Monika Helfer, deren Texte immer wieder um Familien in prekären Situationen kreisen. Arash T. Riahi hat die Geschichte der beiden Geschwister nun verfilmt, um dadurch einmal mehr den Blick auf Flüchtlingskinder wie Oskar und Lilli zu lenken.
Sie sind mit ihrer Mutter von Tschetschenien nach Österreich geflohen, haben hier aber kein Bleiberecht. Die Familie lebt in einem winzigen Appartement, die Mutter geht putzen und die Kinder sind mittlerweile gut integriert. Als die Polizei vor der Tür steht, um die Familie mitzunehmen, unternimmt die Mutter einen Suizidversuch. Während sie in der Psychiatrie ist, werden die Kinder auf verschiedene Familien aufgeteilt. Ihre Sehnsucht zueinander ist ihre Hauptmotivation, sich der neuen Situation zu stellen.
Obwohl es untersagt ist, treffen Bruder und Schwester sich trotzdem und finden dazu kreative Lösungen. Weil Oskar mit seinen neun Jahren die Problematik noch nicht so übersehen kann wie seine 13-jährige Schwester, ist er es, der die Entwicklung vorantreibt. Lilli hat sich in ihr Schicksal ergeben und würde sogar gern bei ihrer Pflegemutter bleiben. Oskar durchschaut dagegen sehr schnell die verlogene Lehrerfamilie, bei der er gelandet ist.
Die Kamera visualisiert die Orientierungslosigkeit der Kinder, indem sie Bilder auch einmal auf den Kopf stellt oder elliptisch den beiden im Treppenhaus folgt, so dass man nicht mehr genau weiß, wo oben und unten ist. Das wirkt nicht aufgesetzt oder artifiziell, sondern ist eine angemessene bildliche Übersetzung, um die inneren Konflikte der beiden Kinder nach außen zu kehren. In manchen Szenen können wir nicht genau zwischen imaginierter Überhöhung oder Realität unterscheiden. Zerstört Oskar in seinem Zimmer tatsächlich mit einer Gabel systematisch die Tapete? Dafür wird er jedoch von seiner überforderten Pflegemutter nicht bestraft, oder findet das lediglich in seiner Fantasie statt?
Der Regisseur hat auch seine eigene Geschichte verarbeitet, er kam als Kind vom Iran nach Österreich und kann die emotionalen Verletzungen und bürokratischen Hürden aus eigener Anschauung erzählen.
»Ein bisschen bleiben wir noch« ist nach »Ein Augenblick Freiheit« (2008) der zweite Teil einer Trilogie, die Riahi zum Thema Flucht und Vertreibung verwirklicht. Er hat Helfers Roman aus dem Jahr 1994 in die aktuelle Situation übertragen und vor allem für ihre poetischen Schilderungen märchenhafte Bilder gefunden.
Die Kinder schicken sich immer wieder Alltagssituationen per Handy, damit es etwas zum Lächeln gibt, wie zum Beispiel die Badarmaturen, die einem Gesicht ähneln. Das sind Überlebensstrategien, die sie finden, um nicht völlig zu verzweifeln. Damit mahnt Regisseur Arash T. Riahi, der kindlichen Psyche mehr Aufmerksamkeit zu widmen, denn die aktuelle Flüchtlingspolitik fordert Kindern Unmenschliches ab. Auch wenn sie nach außen hin »funktionieren«, herrscht in ihrem Innern große Trauer und Leere. Ein starkes Statement für mehr Humanität im Miteinander.
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