Kritik zu Eine Dame in Paris

© Arsenal Filmdistribution

2012
Original-Titel: 
Une Estonienne à Paris
Filmstart in Deutschland: 
18.04.2013
L: 
94 Min
FSK: 
keine Beschränkung

Fernweh sowie die Mühsal der Nähe und des Alterns sind die Themen, um die das Spielfilmdebüt des estnischen Regisseurs Ilmar Raag kreist. Auf seine Darsteller kann es sich dabei mehr verlassen als auf das zaghafte Drehbuch

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In Um Mitternacht, Bertrand Taverniers Film über schwarze Jazzvirtuosen im französischen Exil, hält einmal einer der Musiker einem Kameraden vor, er würde tagein, tagaus nichts anderes tun, als in seinem Hotelzimmer zu kochen. »Ja«, erwidert dieser triumphierend, »aber ich tue es in Paris!« Die Estin Anna (Laine Mägi) würde die Weisheit dieser Antwort zweifellos sofort erfassen: Seit ihrer Jugend ist die Stadt für sie ein Sehnsuchtsort. Nach dem Tod ihrer Mutter, die sie aufopferungsvoll gepflegt hat, bekommt sie unverhofft das Angebot, dort eine Stelle anzutreten. In Paris soll sie das Gleiche tun wie daheim: die gute Seele im Leben einer anderen sein. Sie zögert nicht lange, legt eine Cassette mit Joe Dassins »Les Champs-Élysées« in ihren alten Recorder ein – und ist nach einem beherzten Schnitt bereits in Roissy gelandet. Gibt Paris nicht immer das Versprechen aus, das Leben könne dort eine klügere Wendung nehmen?

Zunächst sieht es nicht danach aus. Frida (Jeanne Moreau), die greise Landsmännin, um die sie sich kümmern soll, erweist sich als launische Tyrannin. Der Bistrobesitzer Stéphane (Patrick Pineau), der Anna engagiert hat, beschwört sie, dennoch zu bleiben. Zunächst glaubt sie, er sei Fridas Sohn. Bald stellt sich jedoch heraus, dass er ein früherer Liebhaber ist. Was beide noch immer miteinander verbindet, gibt Anna Rätsel auf. Sie bleibt, pariert die Boshaftigkeiten der alten Dame mit freundlicher Geduld. Aus den tagtäglichen Zwistigkeiten wird allmählich ein unausgesprochener Pakt geschmiedet. Die gebrechliche Frida ist auf die junge Frau angewiesen; auch als Gesprächspartnerin. Die reiche Witwe hat die Koketterie in den Jahrzehnten ihres Pariser Exils zu einer schönen Kunst erhoben. Ihre Erzählungen werden für die zaghafte Anna zu einer Ermutigung, aufzublühen. Auch für den Regiedebütanten Ilmar Raag ist die Stadt ein Sehnsuchtsort. Er hat dort kurz an der Sorbonne studiert, bevor er in Estland beim Fernsehen anfing.

Leider tut auch er in Paris das Gleiche, was er daheim tat. Selten nur verlässt seine Inszenierung den ästhetischen Radius eines wohlmeinenden Fernsehspiels. Raag streift all das, was man anständigerweise in einem Film über das Altern erzählt: die Wehmut und den Zorn, wenn der Zugriff auf das Leben entgleitet; das Begehren, das noch nicht verstummen will. Das Drehbuch ist ratlos, welche Beziehungen es anbahnen will. Könnte aus dem Vertrauen, das zwischen Anna und Stéphane entsteht, eine Liebe werden? Gegen Ende von Eine Dame in Paris gibt es einen schönen Moment der Irritation, als sie sich von ihm verabschieden will und eine Totale die beiden ganz nah aneinander rückt, der Umschnitt auf die Halbnahe jedoch auf einem diskreten Abstand zwischen ihnen beharrt. Der Mangel an dramaturgischer Entschlossenheit ist mitunter verdrießlich, verdient der Darsteller wegen jedoch einige Nachsicht. Vielleicht hätte Raag sein Erzähltemperament nicht ins Schlepptau seiner schüchternen Heldin geben sollen, sondern in das ihrer widerspenstigen Komplizin. Frida ist immerhin der einzige wagemutige Moment des Films zu verdanken, als ihre Hand einmal schlaftrunken über das Geschlecht Stéphanes streicht: der Erinnerung halber.

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