Produktplatzierung

Die Leitung der Berlinale stellte in dieser Woche noch einmal den Zeitplan der diesjährigen Ausgabe vor. Man darf sich ihren Ablauf wie die Zündung einer mehrstufigen Rakete vorstellen, nur ohne Spannung. Zuerst wird der European Film Market veranstaltet, dann laufen Teile des Programms digital, bis im Sommer hoffentlich das Publikum sein Festival erleben darf.

Die Sieger werden dann bereits seit einigen Monaten bekannt sein - gerade so wie bei den ersten Oscars 1929, die nur eine Viertelstunde dauerte. Wenn die Bären auf einer Gala vergeben werden sollten, werden mithin keine enttäuschten Gesichter oder spontanen Dankesreden zu erwarten sein, sondern allenfalls gut abgehangene Bekundungen. Eine Lehre, die man schon jetzt aus dem Ganzen ziehen könnte, lautet: Der Markt kann nicht warten, das Publikum schon.

Geht es hierbei um jenes Momentum, von dem Steven Soderbergh anlässlich der Entscheidung von Warners, ihr Portfolio hybrid zu starten (siehe Eintrag „Eine Entfremdung“ vom 19. 12. letzten Jahres) sprach? Er meinte damit keine thematische oder künstlerische Dringlichkeit, sondern die Mechanik der Marketingstrategien, die mit geschürten Erwartungen und einem Verfallsdatum der Erinnerungen operieren. Blockbuster und Franchises bewegen sich auf einer anderen Zeitschiene als das übrige Kino. Sie dürfen nicht flexibel sein. Nicht von ungefähr konstruieren sie ja längst eigene Universen, die immun sind gegen gesellschaftliche Entwicklungen oder ein ungewisses Tagesgeschehen. Wenn beispielsweise im Frühjahr »Godzilla vs. Kong« herauskommt, wird seine Botschaft voraussichtlich keine größere Aktualität besitzen als zu einem späteren Starttermin. Zumal niemand mit Bestimmtheit sagen kann, zu welchem Film er nun eigentlich das Sequel ist.

Besonders laut tickt die Uhr momentan wieder für »Keine Zeit zu sterben«, der erneut verschoben wurde. Jetzt muss er digital nachgebessert und müssen einige Szenen wohl sogar nachgedreht werden. Dabei hatte Cary Fukunaga im letzten Jahr noch stolz versichert, niemand habe die im Lockdown verstreichende Zeit nutzen wollen, um irgendetwas zu verändern. Aber gewisse Elemente, die der Bond-Saga innewohnen, vertragen offenbar keine Stundung: Die Sponsoren des Films, die traditionell einen zweistelligen Millionenbetrag zum Budget beitragen, sorgen sich um die Effektivität ihres Product Placement. Ich hatte keine Ahnung, dass die Entwicklung von Luxusgütern so rasch voranschreitet. Als ungenügendem Konsumenten ist es mir auch ein bisschen egal, ob Daniel Craig nun das neueste Modell einer bestimmten Uhrenmarke trägt und ich halte Jahrgangschampagner ohnehin für eine Fiktion. Die Aussicht, der neue Bond könnte bei seinem Start bereits nostalgisch wirkt, trübt meine Vorfreude nicht. Das Veralten von Weltantlitz und Ideologie macht im Gegenteil einen großen Reiz der Saga aus. Es lohnt sich, da etwas Archäologie zu betreiben. Schauen Sie sich nur einmal »Man lebt nur zweimal«, mit dem der ganze Gadget-Zauber 1967 so richtig Fahrt aufnahm. Da werden Produkte von Sony vielerorts platziert. Kein Wunder, denkt man, spielt ja in Japan. Aber wie prophetisch diese Drapierung war: Später gehörte das Studio, das die Bond-Filme lange Zeit mitproduzierte, dem Konzern.

Die Serie hat mich also Langmut gelehrt. Weshalb mich auch der blasierte Ton der Glosse mächtig verdrossen hat, die Adam White gerade im "Independent" veröffentlichte. (https://www.independent.co.uk/arts-entertainment/films/features/no-time-to-die-release-delay-b1793513.html). Eines jener launigen britischen Stücke, die Mäkelei mit Journalismus verwechseln. Was enerviert White mehr: die Vergeblichkeit des Marketings vor einem Jahr oder sein Eindruck, seither hundertmal vom Trailer belästigt worden zu sein? Ist die Häme der sozialen Medien ein Argument gegen einen Film, den noch niemand gesehen hat? Gewiss, die Pandemie macht uns alle mürbe. Aber wenn »Keine Zeit zu sterben« startet, wird dergleichen vergessen sein. Wir werden uns einfach freuen, dass das Warten vorüber ist. Wir werden entdecken, dass die Trailer uns nur einen Bruchteil verraten hat. Wir werden Billie Eilish' Song lange nicht mehr gehört haben, und er wird ganz frisch klingen. Und, gleichviel, wie der Film ist, wird uns Nostalgie beschleichen, denn die Daniel-Craig-Ära war ein Wunder der Erneuerung.

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