Kritik zu Land of Plenty
Wim Wenders erkundet die Schattenseiten des amerikanischen Traums
»Es spottet jeder Beschreibung, wie da Gott angerufen und gleichzeitig auf mieseste Art Schindluder getrieben wird mit den Nöten der Menschen ... wie da die schmutzigsten Schmierenkomödianten Moral und Sauberkeit predigen ... wie unverschämt da noch Amerika beschworen wird als Retter der Welt.« Über die amerikanischen Fernsehprediger hat Wim Wenders das geschrieben, 1984, in einem »Der Amerikanische Traum« betitelten Text, der vom unterhaltungsindustriellen Ausverkauf und überhaupt vom Ende des amerikanischen Traums handelt. Nach Wenders' erstem längerem USA-Aufenthalt entstanden, schrieb er sich damals etwas von der Seele: Liebeserklärung an Amerika und zornige Anklage, Pamphlet und Poem, so direkt und explizit auf die politischen, religiösen, kulturellen Erscheinungen der USA bezogen, wie er das in seinen Filmen nie tat. Bis jetzt.
»Land of Plenty« evoziert im Titel noch einmal den amerikanischen Traum, um in dessen albtraumhafte Schattenzonen einzutauchen: Armut, politische Paranoia. Wenders filmt sich hier das Erschrecken über eine aktuelle Stimmung im Lande, über »religiösen Fundamentalismus und Hurra-Patriotismus« von der Seele. Eingepackt in eine Geschichte, die er – für seine Verhältnisse – erstaunlich geradlinig erzählt. Aber freilich ist Wenders' Erzählgestus wie immer einer, der das Geschehen weniger dramatisch zuspitzt, als dass er es in Bildern meditiert.
Die junge hübsche Lana (Michelle Williams), als Tochter eines Missionars in Afrika und im Nahen Osten aufgewachsen, kehrt nach langer Zeit zurück in ihre Heimatstadt L.A., wo sie das College besuchen will, aber erst mal in einer Obdachlosen-Mission aushilft. Zu Beginn sieht man sie im Flugzeug, über den Wolken: sie ist das unschuldig-engelsgleiche Wesen, das mit Staunen und Erschrecken die Armut in den Straßen von L.A. und die zynische Kreuzzugsmentalität der aktuellen USA-Politik wahrnimmt. Sie sucht Kontakt zu ihrem Onkel Paul (John Diehl): ein traumatisierter Vietnamkriegs-Veteran, der seinen rostigen Camper zur Überwachungsstation ausgebaut und sich selbst zum Vaterlandsretter ernannt hat. Einsiedlerisch und paranoid wittert er überall islamistische Verschwörungen. Zwei Gegenpole sind diese Figuren, deren dialogische, einfühlsame Annäherung versucht werden soll.
Wenders ist ein Melancholiker, ein Meditativer und auch – so paradox das klingen mag bei all seinem bildästhetischen Raffinement und seiner Reflektiertheit – ein Naiver. Er erlaubt sich das Pathos des Wahrheitssuchers, der einer Machtpolitik, die christliche Werte für sich reklamiert, die Perversion dieser Werte attestiert. Zugleich entwirft »Land of Plenty« das reinste Wenders-Universum, mit all seinen Obsessionen und Schönheiten. Lana erscheint als eine seiner typischen Engel-Figuren, Paul gehört in die Galerie seiner verwirrten, suchenden Männer, bewaffnet mit technischen Geräten, die der Kommunikation dienen sollen, aber nur die in Selbstgespräche verwickelte Einsamkeit des Mannes verdeutlichen. Es gibt die magische Highway-Fahrt, die wunderbarsten Panoramen urbaner Landschaften, den kongenial auswählten und montierten Soundtrack. Wenn Lana über das Dach eines Hochhauses tanzt und im Hintergrund das »Million Dollar Hotel« aus seinem letzten Spielfilm auftaucht, spürt man, dass Wenders in jedem Bild beides zugleich beschwören kann: die Sehnsucht nach Offenheit und Weite, wie sie der amerikanische Traum verhieß, und die aktuelle politische Paranoia, die ihn zum Alptraum hat werden lassen.
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