Streaming-Tipp: »High Fidelity«
»High Fidelity« (Serie, 2020). © Hulu
Musiknerds lieben Listen. Weil es Spaß macht, im musikalischen Wissen zu kramen; weil man dabei vor sich und anderen glänzen kann; weil es für jedes Sentiment den passenden Song gibt. Und weil Listen und Musiknerdtum klassische Phänomene der 80er und 90er sind, der Zeit, in der es einen glücklich machte, wenn man endlich die Platte fand, die man lange suchte.
Obwohl Geschichten über Musiknerds also eigentlich mit dem Tod der Schallplatte und mit der digitalen Verfügbarkeit ausgestorben sein müssten, haben Veronica West und Sarah Kuscerka den Paten der Musiknerdbücher, Nick Hornbys Roman »High Fidelity« von 1995, in die Jetztzeit versetzt: 25 Jahre nach Veröffentlichung des Buchs, 20 Jahre nach Erscheinen von Stephen Frears' Kinoversion haben sie den Stoff in eine zehn-teilige Hulu-Serie gegossen. »Rob«, so heißt die Hauptfigur im Buch und im Kinofilm, lebt (wie im Buch) in einer Großstadt, besitzt (wie im Buch) einen Plattenladen, in dem (wie im Buch) skurrile Kumpel arbeiten, kämpft (wie im Buch) mit der Verarbeitung von Beziehungen – und ist eine schwarze Frau.
Rob steht nämlich für Robyn. Und obwohl die von Zoë Kravitz gespielte coole New Yorkerin genauso mit ihrem Herzen hadert, genauso Listen führt, genauso lakonisch ist und genauso in die Kamera spricht wie der Film- und der Buch-Rob, machen Gender, Hautfarbe und die nicht vorhandene Angst, Gefühle einzugestehen, aus Hornbys zuweilen verständnislosem, zuweilen selbstmitleidigem Möchtegernfrauenversteher eine völlig andere Figur: Bei »High Fidelity«, der Serie, geht es nicht mehr um angeblich angeborene oder um weltgeprägte Unterschiede zwischen Frauen und Männern – auch Plattennerds können weiblich sein, genauso wie Kat Monroe, eine von Robs Ex-Lieben. Die zudem weiß ist (falls es jemanden interessiert). Denn auch um Hautfarbe geht es nicht. Darum grölt Robs schwarze Mitarbeiterin, die schwere, in Neonjogginganzüge gehüllte Charise (Da'Vine Joy Randolph) lauthals »Come on Eileen« mit, bevor sie einen Rapsong verhunzt. Das »farbenblinde« Casting und die somit bewusste Nichtthematisierung des komplexen Verhältnisses zwischen schwarzen und weißen US-Amerikaner:innen ergibt eine paradiesische Situation: Hier spielen Farbe und Gender tatsächlich keine Rolle. Und dass Robs Exfreund und Jetztkollege Simon (David H. Holmes) inzwischen schwul ist, erst recht nicht.
Ansonsten haben sich die Showrunner auf gute alte Hornby-Szenen verlassen, manche aber geschickt modernisiert. Wenn etwa im Buch die Plattenladencrew einen Kunden am Kauf von »I Just Called to Say I Love You« mit dem Hinweis hindert, das sei das abgrundtief scheußlichste Stück Stevie Wonders, so entbrennt in der Serie mit einer Kundin, die eine Michael-Jackson-Platte erstehen will, die Diskussion darüber, ob man Platten von Kinderschändern noch hören darf. »Angeblicher Kinderschänder«, wirft die genervte Kundin ein – und bringt den Konflikt um die Unterscheidung von Kunst und Künstler damit auf den Punkt. Die Serie wurde dennoch leider nach der ersten Staffel abgesetzt. Hoffentlich existieren Plattenläden länger.
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