Kritik zu Curveball – Wir machen die Wahrheit

© Filmwelt Verleih

2020
Original-Titel: 
Curveball – Wir machen die Wahrheit
Filmstart in Deutschland: 
09.09.2021
L: 
108 Min
FSK: 
12

Angebliche Beweise für Saddam Husseins Massenvernichtungswaffen als Rechtfertigung für die US-amerikanische Invasion im Irak 2003: Johannes Naber beleuchtet in seiner Politfarce die geheimdienstlichen Hintergründe

Bewertung: 3
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Der Film läuft schon geraume Zeit, bevor er bei den Anschlägen vom 11. September 2001 ankommt, dem Dreh- und Angelpunkt seiner Story. Archivbilder zeigen die unheimlichen, riesigen Rauchwolken, die sich durch die Straßen New Yorks wälzen, Gebäude und Menschen verschlingen und die Sicht schlagartig vernebeln – und lassen sich hier auch als bedrückende Metapher lesen.

Was der Film zuvor erzählt hat, könnte zu diesem Zeitpunkt noch eine unrühmliche, doch letztlich wenig bedeutsame Episode aus den Annalen des Bundesnachrichtendiensts bleiben. Ein irakischer Asylbewerber nimmt 1999 Kontakt zum BND auf und bietet sich als Informant an. Rafid Alwan behauptet, er habe als Bioingenieur an Saddams geheimem Anthrax-Programm mitgewirkt. Biowaffenexperte Arndt Wolf, eine fiktive Figur, die gleichwohl auf realen Vorbildern beruht, sieht endlich den Verdacht bestätigt, den er als UN-Kontrolleur vor Ort nicht erhärten konnte. Immer mehr Details entlockt er Alwan alias »Curveball«, der dafür Vergünstigungen wie eine eigene Wohnung und einen deutschen Pass verlangt. Die Berichte sorgen beim BND für Begeisterung: »Des is der absolude Knaller!«, befindet Abteilungsleiter Schatz. Und kurz darauf knallen auch die Sektkorken. Endlich kann man den USA mal imponieren! So gehen die gänzlich unbelegten »Erkenntnisse« von Pullach in die weite Welt, man schwelgt im Lob von Bundeskanzler Schröder und von den Amerikanern. Doch irgendwann wachsen die Zweifel. Das windige Lügengebäude Alwans fällt in sich zusammen, und Arndt Wolf wird beurlaubt.

Nach dem 11. September jedoch bekommt diese Episode neue, ungeahnte Brisanz. Die Amerikaner sind plötzlich sehr interessiert an der Quelle Curveball – viel weniger scheinen sie daran interessiert, ob dessen Aussagen wahr oder falsch sind. Sie wollen ihn, weil er ihnen das gibt, was sie für ihren Feldzug gegen Saddam Hussein brauchen. Curveball schreibt plötzlich ungewollt Weltgeschichte. Hinter den politischen Kulissen längst als Lügen entlarvt, sind es seine Behauptungen, die Colin Powell vor dem UN-Sicherheitsrat vorbringt, zur direkten Vorbereitung des Krieges.

Johannes Naber (»Zeit der Kannibalen«) und sein Co-Autor Oliver Keidel gehen mit den gut dokumentierten Fakten hinter den Lügen recht gewissenhaft um, trotz der nötigen Verdichtungen, die etwa in einer sympathisch niedrig aufgehängten Actionszene in Pyjama und Morgenmantel kulminieren. Die Wahrheit gab genug Bizarres her, um aus dem Stoff eine Posse über Ehrgeiz, Dummheit und Skrupellosigkeit in der Welt der Geheimdienste zu machen. Das fängt an bei der Milieuschilderung des BND als Provinzklitsche voller berechtigter Angst vor der Bedeutungslosigkeit – liebevoll verkörpert von Thorsten Merten und Michael Wittenborn – und endet noch lange nicht bei jener Skizze der angeblich mobilen Anthrax-Labore, die es an Aussagekraft kaum mit einer Kinderzeichnung aufnehmen kann und doch zur Vorlage für eine nur wenig bessere Präsentationsfolie Colin Powells wurde.

In den Mittelpunkt des Treibens haben die Filmemacher Arndt Wolf gestellt, den Sebastian Blomberg als Ritter von der traurigen Gestalt porträtiert, ein einsamer Mann, der viel zu empfänglich für Alwans Geschichten ist. »The dog and his bone«, erkennt seine Exgeliebte, die CIA-Agentin Leslie, die für die professionelle und von allen Skrupeln befreite Seite des Business steht. Und für die amerikanische Post-9/11-Sicht: »Die Wahrheit zählt nicht. Gerechtigkeit zählt.« Jede dieser zugespitzten Figuren besitzt aber Schattierungen, erscheint menschlich und hat Motive für ihr Handeln. Keiner ist hier absolut böse – oder nur dumm.

Ein zweiter »Wag the Dog« ist »Curveball« freilich nicht. Mancher Gag will nicht so recht zünden, dennoch ist er ein kluges und gut gespieltes Lehrstück über heute noch viel brisantere Fragen von Fakt und Fake und scheinbar banale Fehleinschätzungen mit fatalen Folgen.

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