»Das letzte Wort«: Interview mit Anke Engelke
Anke Engelke in der Netflix-Serie »Das letzte Wort« (2020). © Netflix
Anke Engelke über Beerdigungen, unbequeme Frauen und warum man nicht auf Teufel komm raus improvisieren sollte
20 Jahre ist es her, dass Anke Engelke ihre erste große Rolle als Schauspielerin übernahm, in Detlev Bucks »LiebesLuder«. Seither stand sie vor der Kamera von Helmut Dietl (»Vom Suchen und Finden der Liebe«) und Sönke Wortmann (»Frau Müller muss weg!«), drehte Kinder- und Jugendfilme, Fernsehkrimis und gehörte zuletzt auch zum Ensemble der »Deutschland«-Serie, deren dritte und letzte Staffel »Deutschland 89« am 25. September bei Amazon Prime startet.
Dass nicht jeder bei der 54-jährigen Wahlkölnerin zuerst an die Schauspielerei denkt, liegt natürlich an ihrer anderen Karriere. Oder sollte man sagen: den beiden anderen Karrieren? Schon als Kind und Jugendliche moderierte sie im Radio und Fernsehen, später stand sie lange beim Südwestfunk am Mikrofon. Mit der Sketchshow »Die Wochenshow« startete Engelke Mitte der neunziger Jahre auch als Komikerin durch. Fortan nahmen Comedy und Moderation, manchmal auch gleichzeitig, einen Großteil ihres Arbeitsalltags ein, man denke nur an »Ladykracher«, Sendungen wie »Anke Late Night« oder »Anke hat Zeit«, Improvisationsexperimente wie »Blind Date« mit Olli Dittrich oder Moderationsaufgaben bei der Berlinale, dem Eurovision Song Contest und dem Europäischen Filmpreis. Wozu dann auch noch Jobs wie der als Synchronstimme der Marge Simpson oder Auftritte als Sängerin kamen.
Inzwischen aber legt Engelke, ausgezeichnet mit zahllosen Deutschen Comedy- und Fernseh-, aber auch Grimme-Preisen, den Schwerpunkt ihres Schaffens eindeutig auf die Schauspielerei. Bevor sie demnächst neben Jonas Dassler in Lena Stahls Regiedebüt »Mein Sohn« zu sehen sein wird, hat sie die Hauptrolle in einer Netflix-Serie übernommen. In »Das letzte Wort« spielt sie Karla, deren Leben von einem Tag auf den nächsten auf den Kopf gestellt wird, als ihr Ehemann an einem Herzinfarkt stirbt. Ausgerechnet die Planung der Beerdigung mit dem Bestatter (Thorsten Merten) hilft ihr, sich von ihrer Trauer sowie dem durchaus komplizierten Verhältnis zu den beiden Kindern und der eigenen Mutter abzulenken. Und so wagt sie als Trauerrednerin einen Neuanfang.
Wir hatten Gelegenheit, mit Engelke via Zoom über die tragikomische Serie zu sprechen, für die unter anderem Regisseur Aron Lehmann verantwortlich zeichnet, mit dem die Schauspielerin schon bei »Das schönste Mädchen der Welt« zusammenarbeitete.
Interview mit Anke Engelke
Frau Engelke, Ihre neue Serie »Das letzte Wort« ist – für eine deutsche Serie durchaus ungewöhnlich – eine gelungene Gratwanderung im Tonfall, zwischen Tragik und Komödie. Wie findet man da als Schauspielerin die richtige Mischung?
Das ist ein Glücksfall, wenn der Ton schon im Drehbuch verankert ist, wenn er direkt getroffen wird, wenn da etwas anklingt. Bei »Das letzte Wort« war das so, am Set haben wir kaum am Text geschraubt, das passierte eher bei den Leseproben, ganz minimal. Ich bin sowieso eher vorsichtig mit Textänderungen, weil ich keine Autorin bin. Ich fände es fast anmaßend, mich da einzumischen. Eher denke ich dann, »das würde Anke so nicht sagen, aber Karla«. Ich habe mal versucht zu schreiben, kann das aber wirklich überhaupt nicht und halte mich da zurück. Insofern bin ich immer sehr froh, wenn ich mich darauf verlassen kann, dass sich da jemand über Formulierungen und Sprache wirklich Gedanken gemacht hat.
War es die Sprache, die Sie an dieser Rolle interessiert hat?
Bisschen längere Geschichte, ich hole aus: Die Idee zur Serie gibt es schon länger. Die Kernidee – nämlich vom Trauern zu erzählen und vom Bestatten – kommt von Thorsten Merten, der ja den Bestatter Andi Borowski spielt. Er hat sich mit seinem Kumpel Aron Lehmann zusammengesetzt, einem großartigen Regisseur, mit dem ich bei »Das schönste Mädchen der Welt« zusammenarbeiten durfte, und der hat wiederum den Autor Carlos Irmscher dazugeholt. Mit diesen drei Typen ging es los, aber ich kam auch schon recht früh mit an Bord. Erst dann entstand die eigentliche Geschichte, von der es im Laufe der Zeit einige Versionen gab.
Also waren Sie durchaus involviert in die Entstehung?
Nein, nicht wirklich. Aber ich habe früh gemerkt, dass das passt, dass mir die Richtung gefällt. Ich erinnere mich an ein frühes Treffen mit Aron Lehmann und Carlos Irmscher. Schon damals dachte ich: Geil! Da ging es noch gar nicht um den Tonfall eines Dialogs oder die Beschreibung eines Setups, sondern darum, dass Carlos Irmscher zum Beispiel schon Bücher gelesen hatte zum Thema Tod und Trauern, die ich auch gelesen hatte. Er war auch ganz offen, als ich sagte, dass für mich ein ganz wichtiges Buch Joan Didions »The Year of Magical Thinking« ist. Diese Haltung der Autoren, die war schon mal ganz entscheidend. Erst dann kam irgendwann die Figur.
Sie sagten eben, Sie würden es anmaßend finden, als Schauspielerin an den Dialogen mitschreiben zu wollen. Gleichzeitig sind Sie doch aber die Königin der Improvisation ...
Naja, das ist ja nicht »verschriftlicht«, was man beim Improvisieren macht, das ist tatsächlich ein anderes Genre, ein anderes Arbeiten. Aber wenn Sie wissen möchten, wie viel bei »Das letzte Wort« improvisiert wurde: Aron Lehmann hat nach drei oder vier Takes oft gerufen: »Und jetzt mal ganz frei!« Herrlich! Das ist nicht üblich, das kenne ich anders. Bei Helmut Dietl zum Beispiel musste jedes Komma mitgespielt werden, das war eine harte Schule für mich, Junge, Junge. Oder Matti Geschonneck: An die Dreharbeiten denke ich gern, auch wenn er mir manchmal per Fingerzeichen signalisierte: »Weniger!«
Verändert sich Ihre Herangehensweise, wenn einem – wie offensichtlich in diesem Fall – die Rolle auf den Leib geschrieben wurde?
Davon muss ich mich frei machen. Es gibt sicher Schauspieler*innen, die das beflügelt. Andere fallen in so eine Art Schockstarre, weil sie sich fragen, was von ihnen erwartet wird. Ich habe mich davon komplett befreit und mir gedacht, dass die schon wissen, warum sie mich in dieser Rolle sehen. Ich selbst kann es ja gar nicht benennen, was sie sich gedacht haben. Dass ich eine gewisse Leichtigkeit mitbringe? Dass man eine Facette von mir sehen wird, die man bisher so noch nicht kennt? Das musste ich alles über Bord werfen, weil es mich zu sehr belastet und blockiert hätte.
Jetzt müssen wir aber auch noch konkret über die Figur sprechen, die Sie in der Serie spielen. Diese Frau hat ja doch ein paar mehr Ecken und Kanten, als sonst bei Protagonistinnen im deutschen Fernsehen üblich.
Absolut. Ich bin so gespannt, was das mit Menschen macht, wenn sie sich auf jemanden einlassen, der überfordert ist, auch mal schlecht gelaunt und aggressiv ist, ungerecht sich selbst und den eigenen Kindern gegenüber. Verrückt, aber wir sind umgeben von solchen Menschen. Denn so sind wir nun mal. Hab ich mich schon bei »Fleabag« gefragt, warum mir das so gefällt.
Tatsächlich? Das war doch der Serien-Hype der letzten Jahre!
Ich bin keine Serien-Spezialistin, denn ich kann nicht gut auf dem Sofa sitzen und auf ein Gerät schauen. Im Kino klappt das besser, da tauche ich ab und genieße es, in neue Geschichten einzusteigen. Wenn mich also eine Serie begeistert (und das passiert regelmäßig), dann drehe ich fast durch vor Glück und schaue ohne Pause! Bei »Fleabag« habe ich mich am Anfang gefragt, wer außer mir wohl so eine Frau sehen will. Die nervt doch! Und glotzt einen auch noch ständig an und spricht mit einem. Außerdem geht es unentwegt um primäre Geschlechtsorgane. Aber offensichtlich bin ich nicht die Einzige, die diese Serie so gern schaut, immer wieder. Für »Das letzte Wort« gab es Testscreenings – und scheinbar gefällt es den Leuten, dass da endlich mal jemand zeigt, wie unmöglich es eigentlich ist, mit dem Tod umzugehen.
Apropos Tod: Dass der als Thema bei uns ein Tabu ist, lässt sich nicht mehr wirklich behaupten, oder?
Ich glaube nicht, dass das Thema Tod ein Tabu ist, aber wir tun uns schwer damit, über den Tod und das Trauern zu reden. In anderen Kulturen gibt es ja einen ganz anderen Umgang damit, von lautem Schreien und Trauern, mit tagelangem, ritualisiertem Leiden, bis hin zum Feiern, etwa in Mexiko. In der Serie ist das Umstürzen von dieser sehr deutschen »Das macht man doch nicht«-Haltung genau der Punkt. Da geht es gleich in der ersten Folge drum, ob man feiern und tanzen kann, während man gerade Abschied nimmt von einem geliebten Menschen.
Haben Sie selbst denn Erfahrungen mit außergewöhnlichen, vielleicht sogar »schönen« Beerdigungen?
Nein, ich musste mir alles überlegen und anlesen für die Serie, denn ich kam mit null Erfahrung rein. Was ich aber nicht schlimm fand, denn so konnte ich selbst gucken, was es überhaupt alles für Möglichkeiten, was für Beerdigungen es gibt, und wer beim Trauern eigentlich helfen kann. Ist ja für Schauspieler gar nicht schlecht, nichts zu wissen und keine Vergleiche zu haben, denn der Figur geht es genauso. Alle Fragen und Situationen, die dann kommen, sind also quasi »echt«.
Mit wie viel Vorarbeit gehen Sie überhaupt an so eine Rolle heran? Gehören Sie zu den Schauspieler*innen, die sich eine komplette Biografie der Figur zurechtlegen? Oder sogar deren Tagebuch führen?
Tagebücher: nein. Mir helfen eher ganz profane Dinge, auch wenn das jetzt etwas unspektakulär klingt: Was hat sie für Klamotten an, wie sieht sie aus, wie wohnt sie? Solche Sachen. In die Kulissen zu gehen und zu sehen, welches Geschirr Karla in den Schränken hat – das gibt mir schon einen Einblick. Davon abgesehen wurden wir aber auch richtig gecoacht und haben Familienaufstellungen gemacht. Wenn da Juri Winkler, mein Seriensohn, plötzlich nicht von mir als Karla umarmt werden und lieber bei seiner Schwester sein wollte, dann hat das was mit mir gemacht. Was ich spannend fand, weil ich normalerweise gar nicht so drauf bin. Und es hat wirklich geholfen, sich der Figur zu nähern.
Eine Frage jenseits von »Das letzte Wort«: Sie haben seit Ihrer Kindheit immer auch als Moderatorin gearbeitet und Menschen interviewt, beim Radio genauso wie beim Fernsehen. Vermissen Sie das manchmal?
Nein, jetzt gerade fehlt mir das nicht. Ich denke manchmal an meine Anfänge zurück, als ich mit 12 im Radio moderiert habe und mit 13 im TV: Da kommen üble Bilder hoch, huiuiui, das war teilweise grottenschlecht. Aber die ESC- und Berlinale-Moderationen haben unglaublichen Spaß gemacht!
Moment mal. Ihre Talksendung »Anke hat Zeit« etwa, die von 2013 bis 2015 lief, war richtig gelungen!
Ja, stimmt, »Anke hat Zeit« war wirklich eine gute Sendung, glaube ich. Aber da hatte ich eben auch nicht den Eindruck, dass ich mich verstellen oder abliefern muss. Deswegen gab es super Momente, etwa als ich Harald Schmidt, als er wieder so höflich und interessiert getan hat, von der Seite abgeblockt habe mit den Worten: »Ich hasse es, wenn du so bist.« Das hätte ich mich früher nicht getraut. Gleichzeitig dachte ich auch gleich, dass das gerade viel zu privat ist und sicher kein Zuschauer sehen will, wie ich das hier mit Harald verhandle. Ich war ja so ein Harald-Fan, das war schon spannend. Diese Sendung gehört jedenfalls in meinen »Positiv-Tresor«.
Zu sehen ist »Das letzte Wort« ab 17. September mit sechs Folgen bei Netflix.
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