Kritik zu Still Here
Ein Mädchen verschwindet: Vlad Feier demonstriert in seinem eindrucksvollen Spielfilmdebüt, wie Rassismus und Armut, Gewalt und Ungleichheit das alltägliche Leben in den Vereinigten Staaten nachdrücklich bestimmen
Ein Vater und seine zehnjährige Tochter spielen ausgelassen auf einer kleinen Wiese in Brooklyn. Mal laufen sie herum und lassen einen bunten Drachen steigen, mal springt das Mädchen in die Luft, um die Seifenblasen, die ihr Vater gemacht hat, zum Platzen zu bringen. Genau so stellt man sich die bedingungslos Liebe zwischen Eltern und ihren Kindern vor. Ein ganz leichter, milchiger Schleier liegt über den in Zeitlupe ablaufenden Bildern. Dadurch wirken sie entrückt, fast zu schön, um wahr zu sein. Wahrscheinlich sind sie das auch. Schließlich neigen Erinnerungen zur Überhöhung.
Monique, das Mädchen, ist seit mehr als einer Woche spurlos verschwunden. Und ihr Vater, der schwarze Automechaniker Michael Watson (Maurice McRae), muss ständig an die glücklichen Momente mit ihr denken. Sie verfolgen ihn und stürzen den tief religiösen Mann in immer größere Verzweiflung. Die Polizei interessiert
Moniques Verschwinden nicht weiter. Das ändert sich erst, als der weiße Journalist Christian Baker (Johnny Whitworth) die Story aufgreift und in einem spekulativen Artikel einen möglichen Verdächtigen präsentiert.
Die Szenen im Park ziehen sich leitmotivisch durch Vlad Feiers Spielfilmdebüt »Still Here«. Es ist, als ob sich nicht nur der mit seiner Wut und seinem Schmerz ringende Vater fortwährend daran erinnert, was er vielleicht für immer verloren hat. Feier scheint einem wieder und wieder zu sagen, so kann das Leben auch sein. Seht her, es gibt das Glück, und es liegt in den kleinen Dingen. Monique und Michael beim Spiel im Park, das ist der idyllische Gegenentwurf zu der kaputten Welt, die der in Rumänien geborene Filmemacher hier nach wahren Begebenheiten porträtiert.
Das Drama des hilflosen Vaters, der Tag für Tag durch die Straßen Brooklyns geht und Zettel mit einem Bild seiner Tochter aufhängt, weitet sich zu einer Erzählung über drei Männer in der Krise. Nicht nur Michael steckt in einer Krise. Auch Christian und der von Jeremy Holm gespielte New Yorker Detective Greg verlieren mehr und mehr die Kontrolle über ihr Leben. Beide geraten durch Moniques Verschwinden in eine Abwärtsspirale, die schon lange schwelende Konflikte zum Vorschein bringt. Eine folgenschwere Fehlentscheidung verwandelt den hedonistischen Journalisten in einen obsessiven Wahrheitssucher. Währenddessen bricht der Polizist unter dem Druck der Erwartungen seines Captains fast zusammen. Er kann plötzlich nicht mehr die Augen vor der Schuld verschließen, die er als Rädchen eines rassistischen Systems auf sich lädt.
Vlad Feier schickt diese drei gebrochenen Männer auf eine Art Kollisionskurs. Immer wieder springt er von einer Erzählung zur anderen und verstärkt so den Eindruck der Verunsicherung. In kurzen, extrem dynamisch inszenierten Szenen erzeugt er emotionale Rückkopplungen. Die Geschichten dieser drei Schmerzensmänner, die sich letztlich immer nur selbst bestrafen, fügen sich zu einem bedrückenden Panorama einer Gesellschaft, in der Armut und Rassismus, Gleichgültigkeit und Sensationslust ein Klima ständiger Aggression erschaffen.
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