Kritik zu David Copperfield – Einmal Reichtum und zurück

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Eine neue Kinoadaption des berühmten Romans von Charles Dickens, in dem das Auf und Ab im Leben des Waisen David Copperfield im viktorianischen London geschildert wird

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Fünfundachtzig Jahre nach dem von David O. Selznick produzierten und von George Cukor gedrehten MGM-Film (dem drei Stummfilmversionen vorausgehen) folgt nun die fünfte »David Copperfield«-Kinoadaption. Sie zeigt allerdings auch, warum Charles Dickens' wohl bekanntester Roman so selten auf die Leinwand fand. Es hat seinen Grund, dass David Copperfields Odyssee durch die Höhen und Tiefen der viktorianischen Gesellschaft stattdessen in mehreren aufwendigen Fernsehserien verarbeitet wurde. Wie seine vielschreibenden Zeitgenossen Balzac und Dumas veröffentlichte Dickens seine Romane als Fortsetzungsgeschichten, in denen die Leser, wie heute Serienjunkies, durch immer abstrusere Verwicklungen bei der Stange gehalten werden mussten. Die größte Herausforderung für einen zweistündigen Kinofilm bestand also darin, den erzählerischen Wildwuchs zu beschneiden.

Armando Iannucci, ein gewiefter Regisseur von Fernsehcomedy und satirischen Politserien, begreift auch David Copperfields windungsreichen Werdegang als »comedy«, jedoch nicht im Sinne einer klassischen Sittenkomödie. Seiner Straffung der Romanhandlung fällt nicht nur eine wichtige Figur wie Jugendfreund Tommy Traddles zum Opfer. Es fehlen auch, abgesehen vom Tod der Mutter, die besonders betrüblichen Todesfälle. Ist filmisch manches elegant gelöst – zum Beispiel wird Copperfields kindhafte Ehefrau Dora von diesem auf ihren eigenen Wunsch aus seinem Lebensroman herausgeschrieben –, so mangelt es doch an dramatischer Fallhöhe. Das gilt besonders für Dickens' Anklage der Kinderarbeit, denn Davids durch den herrschsüchtigen Stiefvater befohlene Zwangsarbeit in einer Fabrik wirkt vor allem drollig.

Iannucci verleiht Copperfields Schicksal einen temperamentvollen postmodernen Touch. Die Metaebene ist indes bereits im semiautobiografischen Roman angelegt. So spricht Copperfield als junger Erwachsener seinem kindlichen Alter Ego Trost zu und kommentiert, wie im Roman, seine eigene Lebensgeschichte. Seine Genese als Schriftsteller und Autor seines eigenen Lebens ist reizvoll anzusehen, etwa wenn er von klein an jeden fantasievollen Versprecher notiert und in dem exzentrischen Mr. Dick und dessen Zettelwirtschaft einen Verbündeten findet. 

Das »Anything goes« erstreckt sich auch auf die ethnisch diverse Besetzung. Unklar bleibt, ob diese lediglich Reverenz an den aktuellen Zeitgeist ist oder tiefere Bedeutung haben soll. Eine schwarze Schauspielerin – Nikki Amuka-Bird – in der Rolle der schneidend arroganten, klassenbewussten Mutter von Davids – blütenweißem – Internatskumpel Steerforth gibt immerhin zu denken.

Doch das viktorianische Zeitalter dient ohnehin nur als leicht surreale, an den skurrilen Stil von Michel Gondry erinnernde Kulisse für ein Best-of der Romanpersönlichkeiten, die David zugleich erziehen und ihm schriftstellerisches Anschauungsmaterial liefern. In diesen Vignetten wird dem liebenswerten Schnorrer Mr. Micawber (Peter Capaldi), einst Starrolle von W.C. Fields, von dem freakigen Mr. Dick – Hugh Laurie – der Rang abgelaufen. Der pompöse Stiefvater Murdstone – Darren Boyd – sieht John Cleese zum Verwechseln ähnlich. Leider unterbelichtet bleibt einer der großen Fieslinge der Weltliteratur, Uriah Heep (Ben Whishaw), der als verschlagener Karrierist, als Antipode des grundguten David, der meist die Leiter hinauffällt, fungiert. Und leider muss man zudem feststellen, dass Tilda Swinton bei aller sonstigen Großartigkeit als schrullige Tante Betsy so gar nicht komisch ist. Dev Patel übernimmt als David Copperfield eine ähnliche quirlige Rolle wie in »Slumdog Millionär« und hält als sympathischer Underdog, dessen Glas stets halb voll ist, alles zusammen. Trotz vieler Hingucker aber ist dieser Versuch, den Roman zu entstauben und bunter zu gestalten, nur halb gelungen.

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