Streaming-Tipp: »Hanna« Staffel 2
»Hanna« (Staffel 2, 2020). © Chris Raphael/Amazon Studios
Die Mädchen, alle um die 15, haben sich nachts heimlich aus den Schlafräumen in den Garten geschlichen. Vor einem Baum legt jede von ihnen eine Blume nieder. Es ist eine improvisierte Beerdigung. Einer der Teenager hat gerade über ein Posting erfahren, dass die Schwester gestorben ist. Die jungen Frauen, Ausbildungskandidaten einer klandestinen militärischen Spezialeinheit, wissen genau, dass die Nachricht über die Verstorbene so wie alle Informationen über ihre Familien purer Fake sind. Die Trauer über den Verlust der fiktiven Schwester ist aber trotzdem authentisch.
Die irritierende Szene verdeutlicht, wie weit die Serie sich von ihrer filmischen Vorlage entfernt hat. 2011 brachte Joe Wright den Action-Thriller »Wo ist Hanna?« mit Saoirse Ronan in die Kinos. Drehbuchautor David Farr, bekannt durch »The Night Manager«, bereitete den Stoff um eine junge Frau, die aus einem militärischen Zuchtlabor für feminine Übermenschen befreit und isoliert in osteuropäischen Wäldern zur perfekten Kampfmaschine ausgebildet wurde, für Amazon zur Serie auf.
Der Achtteiler bestätigt einen Trend. Im Kino und in Serien profilieren sich vermehrt Frauen als Actionheldinnen. Hanna ist allerdings kein sexy Girlie, das in die Rolle eines coolen männlichen Rächers schlüpft. Zwar schaltet die schmächtige Britin Esme Creed-Miles in der Titelrolle reihenweise Männer aus, die bis an die Zähne bewaffnet sind. Die Action-Eruptionen erscheinen aber nie comichaft oder ironisch. Neue Akzente setzt die Serie vor allem durch die Verknüpfung mit einer glaubhaften Coming-of-Age-Geschichte. Es geht um Themen wie familiäre Geborgenheit, pubertierende Sexualität und Vertrauen.
Nach der Vater-Tochter-Problematik thematisiert die zweite Staffel die fragile Beziehung zu der von Mireille Enos verkörperten Mutterfigur. In den Fokus gerückt werden auch die Konflikte mit Gleichaltrigen. Hanna bricht in das Ausbildungscamp ein, wo ihre Freundin Clara (Yasmin Monet Prince), in der sie eine Seelenverwandte gefunden hat, mit anderen elternlos aufgewachsenen Mädchen zu Agenten für verdeckte militärische Einsätze gedrillt wird. Die Mädchen sind wie Replikante, die keine Vergangenheit und daher auch keine Erinnerungen haben. Teil ihrer Ausbildung ist die Annahme einer fiktiven sozialen Identität. Zuständig für dieses seelische Framing ist die FBI-Agentin Terri Miller (Cherrelle Skeete), Spezialistin für Social Media. Sie versorgt die »Kandidatinnen« mit Profilen typisch nordamerikanischer Mädchen. Dazu zählen auch Queer-Themen und die Kritik am »patriarchalen Phallozentrismus«.
Hanna weiß, dass dies alles Lug und Trug ist. Wie die anderen jungen Mutanten-Frauen sehnt aber auch sie sich nach einem Zuhause. Also lässt sie sich von Millers perfiden Einflüsterungen ködern. Hanna will glauben, dass es ein richtiges Leben im falschen gibt. Diesen schmerzhaften Zwist vermittelt die Serie dank ihrer gelungenen Mischung aus Action und gut beobachtetem Teenager-Zickenkrieg erstaunlich gut.
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