Interview: Paula Beer über ihre Rolle in »Undine«

»Undine« (2020). © Piffl Medien

»Undine« (2020). © Piffl Medien

Frau Beer, hat Christian Petzold am Ende der Dreharbeiten von »Transit« zu Ihnen gesagt, »Du bist meine ‚Undine'« – oder erst später?

Christian erzählte Franz Rogowski und mir in der Pizzeria in Marseille, wo auch »Transit« spielt, von dem Stoff, der sein nächster Film werden sollte. Erst Wochen später fragte er dann, ob wir mit ihm diesen Film machen wollten. Und dann dauerte es noch mal einige Zeit, bis er uns das Drehbuch gab,

Aber Sie hatten gleich Interesse signalisiert – oder sind Sie erst einmal skeptisch, weil Sie, auch wenn Sie den Regisseur kennen, zuerst das Drehbuch sehen möchten?

Beides. Christian kann sehr gut Geschichten erzählen und wir waren beide davon angetan, aber trotzdem muss man doch das Drehbuch abwarten, denn sagen kann man viel. Bei der Drehbuchlektüre entwickelt man seine eigene Vorstellung – und die muss man dann erst einmal abgleichen. 

Konnten Sie sofort etwas damit anfangen, als Christian Petzold ‚Undine' sagte? Sind Sie wasseraffin?

Dieses Märchen kannte ich nicht, wohl aber einige andere Wassermärchen. 

‚Undine' ist ja ein Stoff, von dem es zahlreiche Bearbeitungen gibt: Opern, den Film von Neil Jordan, Ingeborg Bachmann hat sich damit auseinandergesetzt. Versuchen Sie in so einem Fall all das in sich aufzusaugen oder halten Sie eher Distanz? 

Wenn es eine Vorlage gibt, muss man die Balance finden. Manchmal ist es extrem hilfreich, manchmal aber auch nicht, weil man dann zu viele Bilder im Kopf hat, an denen man sich vielleicht orientieren möchte, die aber gar nicht so sehr zum Buch passen. Deswegen war natürlich das Drehbuch die Ausgangsform. Dann habe ich geschaut, was mir vielleicht noch helfen würde, das anzureichern. Das waren vor allem Märchen, aber auch der Text von Ingeborg Bachmann, Den Film habe ich mir nicht angeschaut, das macht dann vielleicht etwas Neues auf – weil unsere Geschichte ja auch weitergeht als der Mythos. Dabei gucke ich immer, wie kommt man aus dem Märchen zu einer Figur, die sich im heutigen Berlin bewegt und sich zum ersten Mal selbst verliebt. 

Christian Petzold ist bekannt dafür, dass er mit seinen Schauspielern zur Vorbereitung bestimmte Filme anschaut. Welche waren das in diesem Fall?

Wir haben »20.000 Meilen unter dem Meer« mit Kirk Douglas geschaut, Helmut Käutners »Unter den Brücken« und »Creature from the Black Lagoon«.

Welche Art der Vorbereitung haben die Szenen unter Wasser erfordert?

Ich hatte bereits in einem anderen Film Szenen unter Wasser, 2018 in dem französischen Film »The Wolf's Call«, dafür hatte ich damals auch meinen Tauchschein gemacht. Dadurch musste ich jetzt nicht bei Null anfangen. Wir hatten aber wieder Unterricht im Tauchen mit Geräten und auch ohne die ganze Ausrüstung. Damit man sich in dem Element wohler fühlt, war ich auch vorher schon viel schwimmen, denn ich bin nicht so die absolute Wasserratte. Es war toll, dass wir Lehrer hatten, die das so in aller Ruhe erklären konnten, auch wie bestimmte Dinge unter Wasser funktionieren, wie man sich noch leichter bewegen kann. Das half enorm. Wasser ist so eine archaische Kraft, ein Naturelement, das die Qualität von einer kleinen Quelle, aber auch von einem Tsunami haben kann. Wir haben übrigens angefangen mit den Szenen unter Wasser, dafür wurde in Babelsberg ein Tank aufgebaut. An diesen ersten drei Drehtagen begriffen wir, wie langsam das ist – man verständigt sich über Funk. Wenn man merkt, das kann ich jetzt nicht machen, kann aber auch nicht auftauchen, um das Christian zu sagen, sondern das muss man so signalisieren. Dann ist vielleicht plötzlich eine Pflanze irgendwie im Bild, die versetzt werden muss, das dauert einfach lange, weil man sich unter Wasser nicht so schnell bewegen kann. Das war aber auch schön, wenn man merkt, das macht so eine Blase auf, in der man nicht reden kann, es geht viel mehr um Kontakt miteinander – das hat auch irgendwie den Dreh geprägt.

Sehr eindrucksvoll ist die Szene mit dem zerspringenden Aquarium. Ich nehme an, die Wassermassen haben sich tatsächlich über Sie ergossen, das war kein nachträglicher digitaler Effekt?

Ja, die Wassermassen waren echt. Das konnte natürlich nicht in einer Einstellung gedreht werden, weil uns da echte Glasscherben um die Ohren geflogen wären.

Bei der Berlinale wurden Sie mit dem Silbernen Bären als beste Darstellerin ausgezeichnet. In Ihrer Dankesrede haben Sie Franz Rogowski erwähnt. Wie wichtig war Ihr Zusammenspiel in »Transit« für die Arbeit bei »Undine«? Hier haben die beiden Figuren ja eine viel größere Nähe.

Für mich hat es auf jeden Fall die Arbeit erleichtert, denn man ist beim Dreh sehr viel damit beschäftigt – gerade wenn man eine nähere Beziehung der Figuren spielt – den Anderen auch kennen zu lernen. Bei »Transit« haben wir die letzte gemeinsame Szene der beiden, wenn sie im Taxi sitzen, bereits am zweiten oder dritten Drehtag gedreht. Am Ende hatten wir noch einen Reservetag und weil wir uns inzwischen besser kennen gelernt hatten, fragten wir Christian, ob wir die Szene noch einmal drehen könnten. Das haben wir gemacht und diese Aufnahme ist jetzt auch im Film. Weil wir uns durch die Arbeit besser kennen gelernt hatten, hatte sich auch die Beziehung der beiden Figuren präzisiert. Sehr viel hängt von der Chemie ab – wenn man sich gut versteht, kann im Spiel viel passieren, Dinge, mit denen man nicht gerechnet hätte. Dadurch, dass wir bei »Undine« diese Erfahrung schon hatten, mussten wir uns nicht mehr mit dem Kennenlernen beschäftigen, sondern konnten viel mehr in unseren Figuren überlegen, was wäre denn noch spannend. 

Gab es bei diesem Film stärker den ‚Luxus' einer Vorbereitung, weil in Berlin und nicht in Marseille gedreht wurde – oder kann Christian Petzold da mittlerweile sagen, er braucht so und so viele Tage mit den Hauptdarstellern vorab?

Bei »Transit« hatten wir auch viel Vorbereitungszeit, teilweise auch schon in Berlin. Das ist, glaube ich, generell Christians Arbeitsweise. Beim Film ist jeder irgendwie mehr mit seinem Strang beschäftigt und nicht wie beim Theater, wo man gemeinsam auf der Probe herumsitzt und dann Stück für Stück etwas erarbeitet. Beim Film sieht man sich vielleicht einmal davor und dann sieht man die anderen vielleicht gar nicht, wenn sich das von den Drehtagen nicht ergibt. Deshalb ist es Christian wichtig, am Anfang diesen Ensemblegedanken zu schaffen. 

Ist das für eine Schauspielerin ein Glücksfall, wenn man mit demselben Regisseur öfter drehen kann?

Ich glaube, solange man Spaß daran hat und Sachen entdeckt, ist das ganz toll. Man kann mit Leuten eng arbeiten und dann entwickelt sich eine Freundschaft. Man muss aber auch immer neu schauen: interessiert man sich gerade für das Gleiche – oder würde ich lieber gerade etwas anderes ausprobieren? Also nicht per se: wir haben jetzt zwei tolle Filme miteinander gemacht, deswegen machen wir das für immer weiter, sondern dass man vielmehr neu guckt: begegnet man sich jetzt mit dergleichen Euphorie, der gleichen Fantasie? Sonst kann es enttäuschend werden. Deswegen ist das auch immer sehr vom Projekt abhängig, denn manchmal stimmt es vielleicht auch nicht.  

Ihr erster Film war 2010 »Poll« von Chris Krauss, damals waren Sie gerade 15. Wie sind Sie zu der Rolle gekommen?

Die Casterin, die mich angesprochen hat, war an meiner Schule. Sie hat mich auf dem Flur gesehen, mir ihre Karte gegeben und gesagt, ich solle mit meinen Eltern reden. Dann bin ich zu dem Casting gegangen. Beim ersten Casting  ging es um das Improvisieren von Szenen; beim zweiten Casting war dann der Regisseur dabei, beim dritten der männliche Hauptdarsteller aus Estland, beim vierten Casting haben sie dann drei, vier Stunden geschaut, wie konzentriert ich arbeite. Das weiß man ja bei einem Kind nicht. 

Ist das Interesse an der Schauspielerei erst durch den Film entstanden?

Nein, ich war davor schon im Kinderensemble des Friedrichstadtpalastes. Und hatte auch schon Schultheater gemacht. Mit 16 Jahren habe ich dann im Friedrichstadtpalast aufgehört, weil das zu viel wurde mit Schule und Film.

Gibt es mittlerweile, nach den Arbeiten mit Christian Petzold, nach Francois Ozons »Frantz« und den beiden Staffeln von »Bad Banks«, auch internationales Interesse?

Es gibt immer mal wieder Anfragen, aber das hat bis jetzt noch nicht gestimmt. Ich möchte mit tollen Leuten arbeiten und tolle Figuren spielen, aber als Filmschauspieler kann man seine Karriere nicht planen. Entweder klappen Dinge oder sie klappen nicht. Oder es klappt etwas und dadurch klappt dann etwas Anderes nicht. Das ist immer ein bisschen eine Lotterie, ob Sachen funktionieren. Mir geht es nicht auf Teufel komm raus darum, dass man bestimmte Titel einheimst, deswegen frage ich eher: interessiert mich das zu spielen – schließlich verbringe ich Monate meines Lebens damit, und wenn man das so aus taktischem Kalkül machen würde, würde ich mich gar nicht so wohl fühlen.

Noch einmal zurück zu »Undine«: wenn Sie ihrem Freund zu Beginn das Ultimatum stellen, dann gehen Sie über die Straße mit einem sehr festen Schritt. Stand da etwas Entsprechendes im Drehbuch oder hat Christian Petzold da etwas gesagt? Das war sehr eindrucksvoll.

Ich glaube, das war einfach das Ergebnis von Proben und Vorbereitung – dabei entstehen Dinge, die glücklicherweise stimmig sind.

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