Der Swimmingpool im Film
Dustin Hoffman in »Die Reifeprüfung« (1967)
Das Wasser glitzert verführerisch. Die Körper sind gelöst. Der private Pool stand einmal für Luxus, Freizeit, sinnliches Vergnügen. Aber es kann auch sein, dass eine Leiche darin treibt. Eine kleine Geschichte des Swimmingpools im Kino
Seine Hand streicht durch Wasser, aus Langeweile, doch mit Lust. Das Wasser plätschert sacht. Die Oberfläche aber gerät kaum in Bewegung, sie ist glatt genug, damit die Welt sich in ihr spiegelt; allerdings verkehrt, plötzlich scheinen die Vögel an den Ästen des Baums zu hängen.
Die Kamera schwenkt am makellosen Körper des Mannes entlang. Plötzlich kommt Leben in ihn, als die Frau seinen Namen ruft: »Paul!« Er springt ins Wasser, schwimmt zu ihr, gibt ihr am Beckenrand einen Kuss. Ihre Umarmung ist heftig. So beginnt »Der Swimmingpool«, den Jacques Deray 1968 gedreht hat und in dem Alain Delon und Romy Schneider ein Paar spielen, das eine einzigartige sinnliche Übereinkunft ausstrahlt. Auch nach diesem Auftakt tut die Kamera über weite Strecken nicht viel mehr, als ihnen beim Müßiggang zuzuschauen. Er ist dem Film Attraktion genug. Und sie ist so stark, dass »Der Swimmingpool« das Muster für zahlreiche Filme lieferte, darunter »A Bigger Splash« und »Alle Anderen«.
Viel mehr als das sinnliche Einerlei des Poollebens braucht Derays Film nicht, um das Publikum in seinen Bann zu schlagen. Es ist ein huis clos unter freiem Himmel. Gut, es kommt zu Rivalitäten, ein anderes Paar gesellt sich hinzu. Und später findet ein Mord statt, bei dem das Wasser des Pools zum Komplizen wird. Dieses Mandat trägt ihm das Kino oft an. Aber im Kern handelt Jacques Derays Krimi von der filmischen Selbstgenügsamkeit, die das Leben am Pool gewinnen kann.
Seinem Wesen nach, seiner Anmutung und Funktion, müsste der Pool passiv sein. Sein üblicher Zustand ist die Erwartung, seine Bestimmung das Empfangen. Aber im Kino wird er gebieterisch. Er ist ein Spielfeld von Eitelkeit, Erotik, Intrigen und Prestige. Das Begehren hat in ihm größeres Bleiberecht als das Glück. (Welch erfreuliche Ausnahme stellt »Cocoon« dar, wo er zum Jungbrunnen wird!) Der Pool weist dem Verhängnis vielfältige Rollen zu: Er ist eine provozierende Idylle. Sein Boden mag nicht tief sein, aber auf der Leinwand wächst ihm immense Fallhöhe zu. Seine glitzernde Oberfläche weckt die Neugier, was unter ihr liegt. Im Gegensatz zum Meer oder zu Flüssen ist sein Wasser nicht tiefblau, aber seine Transparenz ist undurchdringlich.
Es ist ein Ort gesteigerter Aufmerksamkeit. Er ist hellhöriger. Das Zirpen der Grillen zu Beginn von »Sexy Beast« klingt lauter, in »La ciénaga – Morast« ist die tropische Schwüle zu hören. Das Wasser verändert die Akustik. Es reflektiert auch die Sonne auf besondere Weise, so dass die Akteure in anderem Licht erscheinen. Der Pool fordert die Kamera zu kühneren Strategien heraus, zu komplexen Steadycamfahrten in »Boogie Nights« oder zu der unwahrscheinlichen Akrobatik, mit der der Kameramann von »Soy Cuba!« den Weg von der Modenschau auf dem Hoteldach im vorrevolutionären Havanna über zahlreiche Stockwerke hinab bis ins Getümmel des Pools bewältigt. Die Welt sieht anders aus, wenn man sie vom Pool aus betrachtet; das Vertraute wird fremd, wenn man es wie Dustin Hoffman in »Die Reifeprüfung« aus der Taucherperspektive erblickt.
Hier ist das Kino in seinem Element: Wasser und Film existieren nur in Bewegung. Daraus ergibt sich auch eine szenische, topographische Fließbewegung. Der Pool ist meist mit anderen Gewässern assoziiert. Oft liegt er in Sichtweise einer Meeresküste; François Ozon eröffnet seinen »Swimming Pool« mit einer Ansicht der grauen Themse; das Schweben im Becken ruft bei dem Regisseur (Antonio Banderas) in Pedro Almodóvars »Leid und Herrlichkeit« Erinnerungen an den Fluss wach, an dem er seine Kindheit verbrachte. Mike Nichols (in »Die Reifeprüfung«) und Robert Altman (in »Drei Frauen«) stellen eine visuelle Verbindung zur künstlichen Wasserwelt des Aquariums her; der stolze Poolbesitzer Ray Winstone in »Sexy Beast« muss einen Bankraub begehen, bei dem das Hallenbad einer Sauna eine strategische Rolle spielt. In den Augen Burt Lancasters verbinden sich die Pools, durch die er in »Der Schwimmer« eines Nachmittags nach Hause schwimmen will, zu einem einzigen Fluss.
»Donnerwetter, das ist ja wie im Kino!«, entfährt es James Stewart, als er in George Cukors »Die Nacht vor der Hochzeit« das Schwimmbad auf dem Landsitz von Katharine Hepburns Familie erblickt. Ein Pool mit Sprungbrett und Kabinen, die so groß wie Wohnungen sind: Solchen Luxus kannte der junge Reporter, der im Auftrag seines Magazins den Privilegierten zuschauen soll, wie sie ihre Privilegien genießen, bisher nicht aus eigener Anschauung. Damit spricht er als Stellvertreter des Publikums, dem Pools 1940 noch exotisch und mondän erscheinen müssen. Sie sind Symbole des Wohlstands, deren Gebrauch in exklusive Sphären entrückt ist. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wird sich dieses Emblem des amerikanischen Traums allmählich demokratisieren.
Schwimm- und Thermalbäder gibt es zwar seit der Antike. Aber die Neuzeit entdeckt sie erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts wieder, als sie in Großbritannien beliebt werden. Einige Jahrzehnte später nimmt der Pool seinen Weg über die Ostküste der USA, wo er den großen Industriemagnaten als Bekräftigung ihres neu gewonnenen sozialen Status dient. Der Originaltitel von Cukors Film, »The Philadelphia Story«, verweist noch darauf. In den 1920ern lässt sich die Aristokratie der aufstrebenden Filmmetropole Hollywood gewaltige Pools bauen: Pickfair, das Anwesen von Mary Pickford und Douglas Fairbanks, verfügte über ein Bassin, das so groß war, dass das Traumpaar der Stummfilmära darin mit einem Ruderboot paddeln konnte. Harold Lloyds Pool war ebenso legendär. Fortan gehört er unverbrüchlich zu Kultur und Mythos der kalifornischen Traumfabrik. Clint Eastwood verdiente sich in den 50er Jahren als schlecht bezahlter Vertragsschauspieler bei Universal ein Zubrot, indem er Pools aushob. Der Regisseur James Whale starb 1957 in seinem.
Der eigene Pool im Garten wird auch in Filmen rasch zum Emblem einer Privatsphäre, das gern zur Schau gestellt wird. Er sollte unbefleckt sein, schon der Anblick herabgefallener Blätter ist ein Ärgernis. In Ozons »Swimming Pool« löst er bei Charlotte Rampling einen Abscheu aus (»ein Tümpel voller lebender Bakterien«), der allerdings mehr über sie als über den Zustand des Pools aussagt. Abdeckplanen leisten nur begrenzt Abhilfe (können dafür aber zuweilen Mordopfer verbergen). Wird die Reinigung vernachlässigt, ist dies ein untrügliches Indiz für den gesellschaftlichen und spirituellen Niedergang. Die Impressionen der lethargischen argentinischen Provinzbourgeoisie, die sich in Lucrecia Martels »La ciénaga – Morast« um den schmutzigen Pool versammelt, zeigen, dass dies kein exklusiv kalifornisches Problem ist. Es eskaliert stufenweise. Brackiges Wasser gebiert Schrecken (die Leiche, die in »Ein Toter spielt Klavier« plötzlich auftaucht), schlammiges Gespenster (in »Poltergeist«).
Die größte Tragödie ist es freilich, wenn der Pool leer steht. Schlimmer kann Glanz nicht erlöschen. Seine Nutzlosigkeit ist niederschmetternd. In »Sunset Boulevard« blickt William Holden, längst in die Fänge der einstigen Leinwandgöttin Gloria Swanson und ihres Butlers Erich von Stroheim geraten, nachts auf den Pool hinaus. Er ist verwildert, Ratten laufen darin umher. Holden versucht, sich vorzustellen, welch prunkendes, mondänes Leben hier einmal herrschte, »ten thousand midnights ago«. Als Swanson ihre glorreiche Karriere fortsetzen will, wird er natürlich gesäubert und gefüllt, mit den bekannten tragischen Folgen. In »... denn sie wissen nicht, was sie tun« hat derselbe Pool ein letztes Nachleben, als sich Sal Mineo dort mit dem Wasserschlauch einer feindlichen Jugendbande erwehrt. Gleich nach den Dreharbeiten wurde er zusammen mit der leer stehenden Villa, zu der er gehörte, abgerissen.
Frei- und Hallenbäder taugen kaum als amerikanischer Sehnsuchtsort; im US-Kino spielen sie nur sporadisch eine Rolle – der Hotelpool stellt indes einen akzeptablen Kompromiss zwischen lärmender Öffentlichkeit und exklusiver Abgeschiedenheit dar –, wenn, dann findet man sie in aller Regel an der Ostküste. In »Der Schwimmer« macht Burt Lancaster kurz Halt in einem öffentlichen Schwimmbad, wo abschreckendes Gedränge herrscht. Eine Schlüsselszene von Martin Scorseses »Raging Bull« spielt in einem Schwimmbad, das zwar unverkennbar in New York liegt. Seine erzählerische Zuständigkeit ist aber eng mit der verwandt, die es im europäischen Kino, etwa in »Deep End« von Jerzy Skolimowski oder »Ein Geheimnis« von Claude Miller, besitzt: Es wird zum Terrain einer romantischen und erotischen Anbahnung. Wie lustvoll diese öffentliche Sphäre sein kann, wird bei Scorsese auch auf der Tonspur kenntlich, in der Kakophonie der verwehten Freudenschreie und des Plätscherns. Die Szene ist in fast dokumentarisches Schwarz-Weiß getaucht, man glaubt, das Chlor riechen zu können, aber nicht unbedingt Sonnenöl.
In europäischen Filmen steht der Luxus, den der Swimmingpool bietet und verkörpert, meist unter Vorbehalt. Selten trifft man dort seine Eigentümer an, dafür umso häufiger Gäste. Sich hier aufzuhalten, ist ein geliehenes Privileg, von den Eltern, Verwandten oder Freunden. Er stellt die Ausnahme im Dasein dar, ein Glück aus zweiter Hand. Das wirft immer auch die Frage nach der Legitimation auf, gemahnt kränkend daran, es im Leben noch nicht so weit gebracht zu haben. »Ich wusste gar nicht, dass du so reiche Eltern hast«, sagt in Maren Ades »Alle Anderen« gönnerhaft der zu Besuch gekommene Freund zu dem jungen Architekten Lars Eidinger. »Das täuscht«, erwidert er, »die haben sich in der Poolgröße verschätzt.« Warum antwortet er nur so defensiv? In einem deutschen Film eine untrügliche Frühwarnung, dass bald eine Beziehungskrise ins Haus steht.
Auf seinem Weg nach Westen scheint der Pool seine sportliche Funktion weitgehend eingebüßt zu haben. Zwar darf man sich der Gewissheit anvertrauen, dass der athletische Doug Fairbanks ihn zur körperlichen Ertüchtigung nutzte. Aber im Kino sind Figuren eher selten, die vor dem Frühstück ihre Bahnen ziehen. In »Anatomie einer Entführung« tut Helen Mirren dies mit großer Disziplin; auch hier nimmt es nicht wunder, dass der Film an der Ostküste spielt. In Kalifornien hat der Pool alles Puritanische verloren. Er ist zur Domäne des Müßiggangs geworden. Hier soll man aus dem Alltag heraustreten, das Leben leichtnehmen, sich treiben lassen mit einem kühlen Drink in greifbarer Nähe. Dieser Ort macht notorisch durstig.
Poolfilme altern gut, denn es wird wenig Kleidung in ihnen getragen, die überdies nicht so schnell aus der Mode kommt. Während man die Zeit totschlägt, die in Gesellschaft des Wassers ohnehin anders verfliegt, kommt zum gesellschaftlichen Exhibitionismus, der diesem Statussymbol eignet, noch ein weiterer hinzu. An ihm können sich die Körper ganz selbstverständlich zur Schau stellen – er ist ein voyeuristisches Terrain par excellence. Die Kaskade begehrlicher Blicke, die Burt Lancaster in »Der Schwimmer« während seiner Tour durch die Pools seiner Freunde auf sich zieht, demonstriert, wie erotisch anregend dieses Ambiente ist. Für die kalifornische Porno-Industrie ist der Pool ein emblematischer, unumgänglicher Drehort.
Natürlich wird in Kinopools auch geschwommen, aber ohne allzu große Anstrengung. Das kurze Bad zur Abkühlung genügt meist. Eine Verlockung stellen sie dennoch dar. »Wie ist das Wasser?«, fragt sein Geliebter einen Protagonisten in Pedro Almodóvars »La mala educación – Schlechte Erziehung«, und dieser antwortet: »Es wartet auf dich.« Das Wasser des Pools ist ein latenter, aber mächtiger Appell. Wie man sich ihm aussetzt, ob man den Fuß nur kurz hineintaucht oder beherzt hineinspringt, sagt oft schon genug aus über Temperament und Wesen der Akteure. Die Körper sind gelöster an diesem Ort, sie können sich entfesseln. In »Alle Anderen« bringt er die Unreife der Männer hervor, die einander aufstacheln wie Teenager und ihre Freundinnen in den Pool werfen. Das ist nicht nur eine Demütigung, sondern ein Verrat an den Beziehungen.
Obwohl seine Oberfläche so verheißungsvoll im Sonnenlicht glitzert und das Wasser darunter so transparent ist, dass man den Boden sieht, ist dem Pool nicht zu trauen. Dabei ist er ja gebändigte, domestizierte Natur. Er könnte der Reinigung, der Taufe, ja der Wiedergeburt dienen. Gefährliche Strudel oder Wellen entstehen in ihm nur durch die Schwimmenden selbst. Aber im Kino ist der Sprung ins Meer weit weniger riskant. Am Pool kann man die Orientierung im Leben verlieren wie Dustin Hoffman in »Die Reifeprüfung«. Der tragische Beach Boy Brian Wilson, gespielt von Paul Dano, taucht in »Love & Mercy« in seinem Pool in den Wahn ab. Altmans »Drei Frauen« handelt von einem Raub der Identität, der durch regelmäßige Überblendungen auf Pools tückisch besiegelt wird.
Im Wasser erhält das Unbewusste fließende Gestalt: Seine Oberfläche teilt die Welt in eine mulmige Dualität dessen, was über und unter ihr liegt. Hier verschwimmen die Bilder und Gewissheiten. Man weiß nie genau, worin man tatsächlich eintaucht. Diese Idylle der gedehnten Zeit ist eine Verheißung. Die Schwerelosigkeit hat ihre Widerhaken, aber die darf man im Kinosaal ungestraft ignorieren. Man treibt im Ungefähr und versinkt so leicht in Tagträumerei. Die Wirklichkeit kann getrost anderswo stattfinden. Dieses köstliche Schweben ist ein Privileg, das uns im Kino niemand streitig macht. Es ist gründlich demokratisiert. Die Badesaison 2020 hält andere Herausforderungen bereit.
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