Fortan nur noch frites?
Während der diesjährigen Awards Season in den USA habe ich einen fabelhaften Begriff hinzugelernt: the steakeater vote. Bislang signalisierten Alter, Hautfarbe und Geschlecht, dass man Teil des Problems ist. Es liegt eigentlich nahe, die Liste der Attribute um die Essgewohnheiten zu ergänzen.
Diese Schmähung hat Aplomb. Sie ist anschaulich, man versteht augenblicklich, was sie bedeutet. Sie trifft ein Milieu, das man rasch eingrenzen kann: rückständig, konservativ, testosteronlastig und ohne ökologisches Bewusstsein. Das steakeater vote hätte bei den diesjährigen Oscars wohl »1917« zum Sieger gekürt, im Zweifelsfalle noch »Ford vs. Ferrari«. Zum Glück kam es anders. Womöglich waren ja schon der nachhaltige Rote Teppich und die vegetarische Diät, die allerorten auf Oscar-Partys serviert wurde, untrügliche Anzeichen dafür, dass die Zeit dieser Wählerschaft abgelaufen ist.
Wie aber wird es bei den französischen César sein, die heute in zwei Wochen vergeben werden? Schwer vorstellbar, dass »Fouquet's«, wo sich die Crème der französischen Filmindustrie nach der Zeremonie traditionell zum Diner trifft, ihren Speiseplan sogleich auf fleischlose Kost umstellt. Dort hält man die gehobene Brasserie-Küche in Ehren. Auch unter den 4700 Mitgliedern der Filmakademie wird es gewiss viele geben, die sich nach wie vor auf ihr Steak frites freuen. Allerdings ist diese gerade in heftige Turbulenzen geraten. Sie wird von einer Palastrevolte erschüttert, nach der möglicherweise nichts mehr so sein wird, wie es 45 Jahre lang war.
Gestern Abend um 20:30 Uhr erreichte mich die Pressemitteilung, dass sämtliche Mitglieder des Vorstandes zurückgetreten sind. Der Beschluss wurde einstimmig gefällt: Das Gremium sah ein, dass es nicht mehr tragbar war. Ob das auch für Alain Terzian gilt, den Präsidenten der Akademie, war der Meldung nicht zu entnehmen. Sein Krisenmanagement in den letzten Wochen hat gezeigt, welch großer Teil des Problems er ist. Der versierte Produzent gilt als autokratisch; er gehört einer anderen Epoche des französischen Kinos an. Sein erfreulich heterogenes Portfolio umfasst frühe Arbeiten André Téchinés umfasst ebenso wie einige der späten Actionfilme Alain Delons; mit »Die Besucher« feierte er 1993 einen der überragenden Kassenerfolge des Nachkriegskinos. In den letzten Jahren hat seine Produktivität etwas nachgelassen, indes ist er als Funktionär in diversen Bereichen tätig und leistete Sarkozy 2012 Wahlhilfe. Nach dem plötzlichen Tod des Akademiepräsidenten Daniel Toscan du Plantier trat er ein glanzvolles und schwieriges Erbe an.
Als nach der Bekanntgabe der diesjährigen Nominierungen – bei denen Roman Polanskis »Intrige« mit zwölf Nennungen vor »Die Wütenden« und »Porträt einer jungen Frau in Flammen« in Führung liegt –, der vorhersehbare Proteststurm losbrach, erklärte er pampig, die Akademie sein kein Moralwächter. Als noch schwerwiegenderer Faux pas sollte sich seine Reaktion auf den Skandal um das »Diner des révélations« erweisen. Bei dieser festlichen Gelegenheit werden junge Talente vorgestellt, die sich als Begleitung einen Paten oder einer Patin aussuchen. Terzian hatte, aus Gründen, die er später nicht recht erklären konnte, zwei Namen von der Einladungsliste gestrichen: Claire Denis und Virginie Despentes, die heute als Schriftstellerin bekannt ist (»Vernon Subutex«), aber auch mal Regisseurin (so entsetzlicher Filme wie »Fick mich«) war. Die Empörung der Branche war groß und wurde umso größer, als Terzian sich nur halbherzig entschuldigte.
Vor einigen Tagen erschien in der Tageszeitung »Le Monde« eine von 400 Akademiemitgliedern (eine illustre Liste, die von Mathieu Amalric bis Rebecca Zlotkowski reicht) unterzeichnete Generalabrechnung mit der »dysfunktionalen« Institution. Darin wurden haarsträubende Missstände beklagt und vernünftige Forderungen gestellt. Es mangele der Akademie an demokratischer Verfasstheit und Transparenz. Der Verwaltungsrat werde nicht gewählt, sondern ernannt; die Parität sei überdies nicht gewahrt. Die Akademiemitglieder (deren Namen übrigens geheim sind) zahlten ein Jahresbeitrag, über dessen Verwendung sie jedoch nicht mehr aufgeklärt würden. Sie hätten nur Stimmrecht bei der Wahl der Filme, nicht aber Mitspracherecht bei der Bekleidung von Posten und und auf die filmpolitische Ausrichtung der Institution.
Seit einer Woche kommen nun ständig Pressemitteilungen, in denen Terzian Nachbesserungen verspricht. Die Direktion soll nun endlich paritätisch aufgestellt werden; durch die Neuaufnahme von 700 oder 800 Filmkünstlerinnen soll das Geschlechterverhältnis (das derzeit 65% zu 35% beträgt) in der Mitgliederschaft angeglichen werden. Terzian kündigte an, das Filmzentrum CNC als Mittler einzuschalten. Vor allem bittet er jedoch darum, den Frieden zu wahren, bis am 28. Februar die Preisverleihung stattfindet. An diesem Abend könnte es in der Salle Pleyel hoch hergehen; selbst wenn Polanskis Film nicht gewinnt. (Aber: Wäre er ein steakeater vote?). Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Zeremonienmeisterin, meist werden Komiker für dieses Amt ausgewählt, zur Tagesordnung übergehen und das Publikum mit Scherzen bei Laune halten wird. Noch weniger kann ich mir vorstellen, dass Terzian Selbstironie beweisen wird, geschweige denn Einsicht.
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