Nachhaltig
Wenn alles gut gegangen ist, müsste Zoé Rossignol nun bereits eine beachtliche Karriere in der Politik gemacht haben. Kein Zweifel: Sie würde ihr Vorhaben, bei der über-über-nächsten Wahl zu kandidieren, in die Tat umgesetzt haben. Vielleicht hätte sie den sozialistischen Bürgermeister von Saint-Juire, einem kleinen Flecken in der Vendée, abgelöst. Aber damit hätte die Tochter des Dorfschullehrers sich gewiss nicht zufrieden gegeben; eine wie sie ist zu Höherem bestimmt. Mit ihr hätten die "Verts" in Frankreich bestimmt bessere Chancen.
Ihren Plan, sich politisch zu engagieren, fasst Zoé im stolzen Alter von zehn Jahren: direkt nach der Schule ins Parlament! Sie tut es allerdings nicht im realen Leben, sondern in Eric Rohmers »Der Baum, der Bürgermeister und die Mediathek«. Darin gibt sie (gespielt von Galaxie Barbouth, von der man danach leider nichts mehr hörte) Anlass zu großen Hoffnungen. Ihr Vater Marc wettert zwar leidenschaftlich gegen die Mediathek, die der Bürgermeister nebst Badeanstalt und Amphitheater errichten will, und der eine altehrwürdige Weide weichen soll. Aber er ist zu phlegmatisch und selbstzufrieden, um mehr zu tun, als sich wortreich zu ereifern (eine ideale Rolle für Fabrice Luchini). Seine jungkluge Tochter ist da entschiedener. Sie will sich nicht abfinden mit den Verhältnissen, sie denkt an die Welt von morgen.
Rohmers Film spielt vergnügt mit dem Konjunktiv - sein Untertitel nennt sieben Zufälle, die den Gang seiner Geschichte lenken -, und Zoés großer Auftritt kommt im sechsten Kapitel, als sie der Bürgermeisterstochter Vega (ein Film voller sprechender Rollennamen) begegnet, deren Ball über die Mauer des großen Landsitzes geflogen kommt und zu Zoés Füßen landet. Vega langweilt sich auf dem Land, sie würde gern Freundinnen finden. "Ich kann dir welche vermitteln", sagt Zoé, woran man bereits merkt, dass sie zu Fürsorge und Gemeinsinn fähig ist. Man beachte indes das vorbehaltliche "vermitteln", welches ihre Begabung für Abstraktion zeigt. Natürlich ist sie selbst die beste Besetzung der Freundinnenrolle: eine widersprüchliche, eben typisch rohmersche Figur. Als dann der Bürgermeister (Pascal Greggory) auf den Plan tritt, liest sie ihm nicht keck die Leviten – sie ist keine Greta Thunberg aus der Vendée -, sondern stellt die richtigen Fragen und hakt nach, wenn er ausweicht. Im Gegenzug ist sie nie verlegen um eine Antwort auf seine gönnerhaften Fragen. Aber sie bleibt stets freundlich gegenüber dem Widersacher ihres Vaters. Zoé ist bündnisfähig. Rohmer drehte den Film 1992, mit ihren Zehn Jahren war seine kleine Heldin also nur zwei Jahre jünger als unsere Grünen.
Als ich »Der Baum, der Bürgermeister und die Mediathek« jetzt wiedersah, fragte ich mich, warum Rohmer eigentlich nicht mehr Politsatiren gedreht hat. Mit dieser jedenfalls war er auf der Höhe der Zeit. Sie ist aktuell; zumal nach der jüngsten Regierungsbildung in Österreich. Rohmers lässt seine Figuren über den Wandel der traditionellen Kategorien von links und rechts, von konservativ und fortschrittlich diskutieren, die sich unter Macron endgültig aufgelöst haben. Der sozialistische Bürgermeister ist insgeheim Royalist (oder profitiert zumindest von einem entsprechenden Wahlverhalten); er gibt sich bodenständig und ist doch entrückt. Sein Harmoniebedürfnis müsste ihm eine lange Karriere bescheren. Von den Grünen indes hält er vorerst gar nichts. Sie besäßen überhaupt kein Talent (was mag Daniel Cohn-Bendit wohl an dieser Stelle gedacht haben?) und wollten eine Welt, die sich nicht bewegt.
Hier kommt selbstredend Rohmers liebende Ironie ins Spiel. Nicht jeder Figur, der er das Wort erteilt, gibt er Recht. Der Regisseur war ein Grüner avant la lettre. Nicht von ungefähr steht der Baum im Titel an erster Stelle. (Die alte Weide ist übrigens seither prachtvoll gediehen, wie man auf dem Foto des französischen Wikipedia-Eintrags sieht.) Rohmers Produktionen, nur mit minimalem Team gedreht, hatten eine mustergültige CO2-Bilanz. Bei den Dreharbeiten zu »Der Baum, der Bürgermeister und die Mediathek« bestand er darauf, selbst für das Team zu kochen und strich, zum Leidwesen Luchinis, Fleisch ganz vom Speiseplan. Heute vor zehn Jahren ist er gestorben. Man kann kaum glauben, dass das so lange her ist. Er gehörte noch so lange dem neuen Jahrhundert an, drehte noch drei Filme in ihm, irgendwie erscheint er mir noch immer als unser Zeitgenosse.
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