DVD-Tipp: »Deutschland 09«
Die Namen sind hochkarätig: 13 Regisseurinnen und Regisseure, eher der jüngeren Generation zuzurechnen, haben jeweils einen Beitrag zu diesem Episodenfilm beigesteuert, der auf der 59. Berlinale lief.
Wie so oft bei solchen Episodenfilmen besteht die Stärke als auch die Schwäche in ihrer Heterogenität. Der Film will ein Mosaik sein, ein Kaleidoskop, in dem sich ganz unterschiedliche Statements und Sichtweisen treffen. Da steht eine Groteske neben einem melancholischen Reisefilm, Misslungenes neben Großartigem, Dokumentarisches neben Inszeniertem, Satire neben Essay. Interessant ist, dass gerade die satirischen Versuche seltsam leerlaufen.
In Krankes Haus, dem aufwendigsten unter den 13 Beiträgen, konstruiert sich Wolfgang Becker die »Deutschlandklinik« und mixt den medizinischen mit dem ökonomischen Jargon. Da geht es um den Sozialinfarkt ebenso wie um eine geplatzte Subventionsblase, und man merkt den Dialogen wie dem Film überhaupt die Überambitioniertheit an; eine brillante Boshaftigkeit wird daraus allerdings nicht. Auch Dani Levys Joshua greift mitunter auf Pennälerscherze zurück, wenn er sich ein Mittel einfallen lässt, mit dem man sich in Deutschland wohlfühlen kann, doch entwickelt der Film durchaus eine Dynamik, wenn zum Beispiel Sohn Joshua auf einmal vor Kanzlerin Merkel landet. Am gelungensten sind die konzentrierten, pointierten Beiträge.
Dominik Graf hat mit Der Weg, den wir nicht zusammen gehen einen mit Super-8-Material realisierten Essayfilm über Bauten und den öffentlichen Raum gedreht, der fast liebevoll zum Abbruch bestimmte Häuser aufspürt, in München, Berlin, Frankfurt oder Duisburg, oft in der Nachkriegszeit entstandene Gebäude, die ein bisschen so wirken wie die Trümmergrundstücke auf Fotografien aus den fünfziger Jahren. Architektonisches Niemandsland. Wenn diese Häuser nicht mehr stehen, so suggeriert dieser Film, wird uns etwas fehlen: Geschichte.
Der Verlust treibt auch Hans Steinbichler und seinen Helden in Fraktur um: Da flippt ein Speditionsunternehmer, dargestellt von Josef Bierbichler, über die typografische Umstellung der FAZ aus, kauft kurzerhand die Auflage auf, lässt sie vor das Verlagsgebäude kippen und läuft in der Redaktion Amok. Das geht weniger gegen das neue Layout der Zeitung als gegen einen Zug zur Uniformität in der globalisierten Welt. Das ist wiederum das Thema von Feierlich reist von Tom Tykwer: Da sitzt Benno Fürmann in seinen Reisen fest wie seinerzeit Manni in Lola rennt in einer Zeitschleife. Es ist eine absurde, gleichförmige Welt, die der Vertriebschef eines Modelabels bereist, von Marriott zu Marriott und von Starbucks zu Starbucks: Überall ist es besser, wo er nicht ist.
Fatih Akin lässt den Schauspieler Denis Moschitto in Der Name Murat Kurnaz ein Interview mit dem fünf Jahre in Guantanamo festgehaltenen Deutschtürken nachsprechen. Das ist eine Methode, die Romuald Karmakar im Himmler-Projekt oder den Hamburger Lektionen verwendet hat, und von Karmakar stammt auch der bizarrste Film der Kompilation: Ramses, ein Interview mit einem Berliner Besitzer eines bordellähnlichen Betriebs, ein Einblick in den alltäglichen Wahnsinn sexueller Dienstleistungen: anything goes. Vielleicht ist das ja der richtige Film zur Krise der Banken und der Wirtschaft. »Es lebe die deutsche Nation«, sagt der iranischstämmige Barbesitzer am Schluss – und er meint es ernst.
Man vergleicht ganz unwillkürlich Deutschland 09 mit einem anderen, berühmten Omnibusfilm, mit Deutschland im Herbst, mit dem der Neue Deutsche Film auf den sogenannten »Deutschen Herbst« des Jahres 1977 reagierte, auf die Schleyer-Ermordung, den Tod der RAF-Terroristen in Stamm- heim, aber auch auf die Hysterie der Staatsorgane in dieser Zeit. Auf eine solche konkrete politische Situation und ihren ungeheuren Druck können und müssen die Filmemacher heute nicht mehr reagieren, und einen roten Faden wie damals gibt es auch nicht mehr. Auch das ist Stärke und Schwäche zugleich. Ein umfassender Bericht zur Lage der Nation oder zumindest zur aktuellen Stimmung ergibt sich in Deutschland 09 auch nach 151 Minuten daraus jedenfalls nicht. Aber vielleicht brauchen wir den auch gar nicht.
Der Film startete am 26.03.2009 in den deutschen Kinos und ist auf DVD erhältlich
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