Interview mit Jan-Ole Gerster über seinen Film »Lara«
»Lara« (2019). © Studiocanal
Herr Gerster, Lara charakterisiert die Komposition ihres Sohnes mit dem Begriff »musikantisch« – das ist hier offenbar im Sinn von »gefällig« gemeint…
Der Begriff ist das Pendant zu einem Kunstwerk, das man als »kunsthandwerklich« bezeichnet, also schon eher etwas Despektierliches.
Und: ist dieses Stück gefällig? Hat Lara Recht oder aber der Musikkritiker, der so begeistert davon ist?
Das ist eine der großen Qualitäten des Drehbuches: seine Ambivalenz – dass der Film immer zwei Seiten der Wahrheit anbietet. Und gerade deshalb schlüssig ist, lebendiger und authentischer als solche Geschichten, die nur eine Seite der Wahrheit erzählen. Das gilt auch für diese Komposition, und generell ging es auch darum, diese Ambivalenz in der Inszenierung zu verteidigen. Deswegen sollte dieses Stück nicht zu eindeutig in die eine oder andere Richtung ausschlagen. Das Schöne ist, dass man auf Kunst ganz unterschiedlich blicken kann, wie es die Mutter auch tut. Sie sagt, ich finde es eingängig und gefällig, während der Musikkritiker sagt, »ich finde es ein kühnes Wagnis, Sie triumphieren.« Beide sprechen denselben Aspekt an und nehmen ihn doch ganz unterschiedlich wahr. Das war mir wichtig, dass dieses Stück nicht offensichtlich bescheuert ist und auch nicht offensichtlich eine ganz grandiose Sinfonie ist.
Welche Anweisungen haben Sie denn dem Komponisten gegeben: dass es schon ein wenig gefällig klingen sollte?
Unser Komponist Arash Safaian hat es als Aufgabe empfunden, dieses Stück aus der Figur, die Tom Schilling spielt, heraus zu entwickeln. Den haben wir ab einem bestimmten Punkt auch involviert, auch weil Arash die Idee hatte, das Stück so zu komponieren, dass Tom den Anfang selber spielen könnte. Wir fanden es auch passend, dass es gar nicht so virtuos beginnt, dass es etwas anderes ist als die Perfektion, die seine Mutter ihm jahrelang eingehämmert hat. Es sollte durchaus etwas kindlich Naives haben, was mit der Idee korrespondiert, dass das Stück im weitesten Sinne auch von der Beziehung zu seiner Mutter handelt. Für mich war es immer klar, dass, wenn er etwas musikalisch ausdrücken will, das auch mit dem Akt der Abnabelung von seiner Mutter zu tun hat.
Wie haben Leute, die den Film gesehen haben und sich mit klassischer Musik auskennen, diese Komposition bewertet?
Das ist tatsächlich ein Aspekt, der aufgegangen zu sein scheint. Sie sprechen dem Stück schon eine gewisse Qualität zu, aber es löst auch keine Euphorie aus. Damit scheinen wir schon den Nagel auf den Kopf getroffen zu haben.
Dem KIavierspiel von Lara am Ende des Films können Fachkundige entnehmen, dass sie in dieser Hinsicht sehr wohl Talent hat?
Zu dem Stück muss man sagen, dass es zu den schwierigen Stücken der Klaviermusik gehört und auch gestandene Pianisten davor zurückschrecken. Wenn man es wagt, Schumanns ‚Toccata« live einzuspielen, gilt man schon als virtuos. Mich hat das Stück aber auch deshalb überzeugt, weil es schon einem Muster folgt, aber darin nicht zu begreifen ist. Schumann hat es komponiert, kurz bevor er in die Psychiatrie eingewiesen wurde. Dieser ganze Wahnsinn ist da auch irgendwie drin.
Am Ende bekommt der Film eine zusätzliche Tragik mit der Figur des Professors als demjenigen, der durch seine damalige Aussage Laras Selbstbewusstsein so tief erschüttert hat, dass sie ihre Ambitionen als Pianistin aufgegeben und stattdessen auf ihren Sohn übertragen hat…
Diese Figur war schon immer eine merkwürdige Instanz, jemand, der auf merkwürdige Weise über den Dingen steht – »Talent oder Nicht-Talent, was hat das mit mir zu tun?« So wahrhaftig diese Weisheiten sind, so banal klingen sie doch oft – und genauso wollte ich diese Figur auch, genau wie die anderen Ambivalenzen des Films. Das hat auch stark durch den Darsteller Volkmar Kleinert gewonnen. Was die Beiläufigkeit dieser bedeutungsschweren Sätze angeht, so kenne ich die auch, die können ganze Erdbeben auslösen, ohne dass sich ihr Urheber dessen bewusst ist. Aber es ist ja auch immer so, dass Du das mit Dir selber ausmachen musst. Das war nicht der Grund, nur der Vorwand: dass Lara einen Zweifel in sich getragen hat und nach jemandem Ausschau hielt, der ihr das bestätigt.
Wollte Corinna Harfouch je von Ihnen wissen, was es mit der Krankheit auf sich hatte, die dazu führte, dass Lara vorzeitig in Rente ging?
Corinna ist, glaube ich, niemand, der solche Krankheitsbilder recherchiert. Mir hat das, ehrlich gesagt, auch genügt, ich hatte eine konkrete Idee vom Zustand dieser Frau, vom Krankheitsbild weniger. Mit Corinna habe ich eine Schauspielerin gefunden, die instinktsicher diese Dinge erspürt, ohne dass man sie küchenpsychologisch fortwährend benennen muss. Es ist zu erkennen, dass diese Frau, die altersmäßig ja noch nicht in der Rente sein müsste, irgendeine Form von Zusammenbruch, einen Anfall, hatte.
Das heißt, sie entwickelte die Nuancen Ihrer Figur selbständig aus dem Drehbuch?
Wir haben uns schon viel verständigt, aber wir wissen ja auch, dass eine gute Besetzung die halbe Miete ist. Bei ihr war es so, dass ich sie von Anfang an für diese Rolle wollte und sie zum Glück auch schnell zugesagt hat, aber wir haben uns lange unterhalten, auch über das eigene Verhältnis zum Scheitern, zum etwas riskieren – zu diesem Kern vorzudringen, bedeutet immer, dass man einen Schritt geht und diese Komfortzone verlässt. Das sind Themen, die wir viel besprochen haben, dabei natürlich auch immer wieder zurück zur Figur gefunden haben. Corinna ist jemand, der auch die Herausforderung dieser Figur sieht und mit ihrer Kunst auch die Möglichkeit hat, sich stark zu machen für sie, sie dabei auch ein Stück weit verteidigt. Natürlich ist Lara oft bösartig und manipulativ, aber wenn man genau hinsieht, ist sie auch ein gekränktes, sehr einsames, trauriges Wesen, das in einer Behörde zielsicher an ihrem Traum vorbeigelebt hat.
Wieweit hat sich das ursprüngliche Drehbuch von Blaž Kutin verändert, etwa der Zeitraum eines Tages?
Das war gesetzt, ihr sechzigster Geburtstag und dass zu ihren Ehren ein Konzert gespielt wird, zu dem sie gar nicht eingeladen ist. Ursprünglich spielte das in Ljubljana, weil Blaz Slowenier ist und dort noch lebte, als er anfing es zu schreiben. Mit der Übersetzung in eine andere Stadt bedurfte es noch ein paar kleinerer Änderungen, aber eben nicht eklatant genug, um da von einer zweiten Autorenschaft zu sprechen. Es ging um die Orte, denn ein Plattenbau in Ljubljana ist etwas anderes als das Hansaviertel hier. Dem Ex-Mann begegnete sie durch Zufall in der Fußgängerzone – ich mag keine Zufälle, so platzt sie hier in die Generalprobe.
Irgendwo tauchte der Begriff »Komplementärfilm« auf, dass »Lara« und »Oh Boy« Spiegelbilder sind…
Mehrere Ihrer Kollegen meinten auch schon, ich soll noch einen Film über eine Person an einem Tag in Berlin machen, dann könnte ich es als Trilogie verkaufen! Über diese Zufälligkeiten habe ich kurz nachgedacht, aber ich war doch schon gedanklich zu tief verstrickt in diese Geschichte, so oft passiert es mir nicht, dass ich mich dermaßen hingezogen fühle zu einem Stoff.
Sie planen auch seit längerem eine Adaption von Christian Krachts Roman »Imperium« das klingt sehr aufwendig, wenn man es 1:1 verfilmen würde…
Die ist noch im Drehbuchstadium. Und nicht 1:1, das ist atomisiert worden und dann wieder zusammengesetzt, ein bisschen wie in der Molekularküche. Den Stoff muss man so übersetzen, dass es auch die Kamera sehen kann und nicht nur der allwissende Erzähler. Es gibt jetzt eine Drehbuchfassung, mit der man hoffentlich im nächsten Jahr in die Finanzierung gehen kann. Aber auch da ist alles möglich: das könnte ein kleinbudgetierter Werner-Herzog-Wahnsinn sein oder etwas Größeres. Der Roman hat ja zum Glück ein bestimmtes Renommee, mal sehen wie die Leute darauf reagieren. Das ist jedenfalls ein komplexer Stoff.
Kommentare
Schumanns "Toccata"
Schumann veröffentlichte seine "Toccata" op. 7 1834. Da war er 24. Clara Wieck, Schumanns spätere Ehefrau führte sie auf. Der psychische Zusammenbruch war erst 20 Jahre später und nichts in der "Toccata" weist darauf hin. Es ist ein künstlerisch natürlich erlaubter, wenngleich märchenhafter oder unglaubwürdiger Knalleffekt, dass sich Lara nach jahrelanger Klavierabstinenz hinsetzt und den Anfang dieses furchtbar schweren Stückes so perfekt spielt (woran auch Alice Sara Ott, die es ja wohl in Wirklichkeit spielt zu knabbern hat).
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