Filmfestival Toronto: Die Preisverdächtigen

»Jojo Rabbit« (2018). © 20th Century Fox/Walt Disney

»Jojo Rabbit« (2018). © 20th Century Fox/Walt Disney

Wird der diesjährige Publikumsliebling wieder das Rennen beim Oscar machen? Wird Renée Zellweger eine Nominierung kriegen? Dies und andere Spekulationen vom diesjährigen Filmfestival in Toronto

Dass das Toronto International Film Festival (TIFF) sich gerne als Oscarmacher feiert, liegt vor allem am hier verliehenen Publikumspreis, der als Indikator gilt. Spätere Oscarsieger wie »Slumdog Millionaire«, »The King's Speech«, »12 Years a Slave« und zuletzt »Green Book« erhielten hier die erste Krönung. Dass dem diesjährigen Preisträger, Taika Waititis »Jojo Rabbit«, Ähnliches vergönnt sein wird, darüber herrschte am Ende des Festivals jedoch einige Skepsis.

Der Neuseeländer Waititi erzählt in seiner im Dritten Reich verorteten Komödie vom kleinen, einsamen Johannes Betzler, der so begeistert ist von Hitler, dass ihm der Führer sogar als imaginärer Freund (Waititi selbst) erscheint, während seine eigene Mutter (Scarlett Johansson) ein jüdisches Mädchen versteckt. Sehr albern fängt die Geschichte an, die später einen dramatischeren, emotionaleren Touch bekommt, doch über allem liegt eine süßliche Verspieltheit à la Wes Anderson, die oft fehl am Platz wirkt. Der junge Hauptdarsteller Roman Griffin Davis immerhin ist eine komödiantische Wucht, aber ob das – auch angesichts durchwachsener US-Kritiken – für einen Oscar reichen wird?

Was nicht unbedingt heißen muss, dass das TIFF-Publikum sein Oscar-Gespür verloren hätte. Gingen doch die Plätze 2 und 3 der Abstimmung an das schon in Venedig gefeierte Ehedrama »Marriage Story« und den koreanischen Cannes-Gewinner »Parasite« von Bong Joon-ho, und beide dürften in verschiedenen Kategorien beste Aussichten haben. Überhaupt war Toronto einmal mehr auch ein Festival, bei dem bereits gefeierte Filme ihren Hype auf nordamerikanischem Boden fortsetzen konnten. Auch »Joker« samt Hauptdarsteller Joaquin Phoenix wurde größtenteils begeistert aufgenommen.

Unter den in Toronto gezeigten Weltpremieren sorgte vor allem »A Beautiful Day in the Neighborhood« für Aufsehen, was auch daran liegt, dass eine zentrale Figur des Films, der über Jahrzehnte beliebte Kinder-TV-Moderator Fred Rogers, für zahllose Amerikaner eine große nostalgische Bedeutung hat. Tom Hanks spielt diesen Mann ganz wunderbar, und Regisseurin Marielle Heller beweist einmal mehr, dass sie »wahre Geschichten« feinsinniger und zu Herzen gehender inszeniert als viele andere. Eine Hürde für den Film stellt jedoch dar, dass der Plot um einen zynischen Journalisten, der dank Rogers zum besseren Menschen wird, eher banal wirkt und Rogers dazu noch außerhalb der USA weitgehend unbekannt ist.

Das oft beobachtete Phänomen, dass die Leistung einzelner Schauspieler über die Filme, in denen sie spielen, hinausragt, war in diesem Jahr in Toronto besonders häufig. Das effektiv erzählte, aber arg konventionelle Justizdrama »Just Mercy« über Rassismus in den Südstaaten etwa verfügt mit Michael B. Jordan und vor allem Jamie Foxx über zwei fantastische Hauptdarsteller, Ähnliches gilt für die Rennfahrergeschichte »Ford vs. Ferrari« mit Christian Bale und Matt Damon. In »Harriet«, einem Biopic über die Sklavenfluchthelferin Harriet Tubman, legt Cynthia Erivo beträchtliche Starqualitäten an den Tag, obwohl ihr Kasi Lemmons' Inszenierung oft keinen Gefallen tut. Und Renée Zellweger ist in »Judy« als Judy Garland in den letzten Monaten ihres Lebens, man kann es nicht anders sagen, oscarverdächtig gut.

Trotzdem gab es in diesem Jahr auch fernab der Oscarspekulationen echte Entdeckungen: Das visuell ausgefeilte Familiendrama »Waves« von Trey Edward Shults etwa war in aller Munde, während Justin Kurzel mit »The True History of the Kelly Gang« zu alter Form zurückfindet und einer oft erzählten australischen Legende ein anachronistisch-frisches Update verpasst. Ähnliches ließe sich zu »Knives Out« sagen, Rian Johnsons herrlich kurzweilige und exzellent besetzte Hommage an Krimis à la Agatha Christie. Und in Ina Weisses »Das Vorspiel«, der einzigen rein deutschen Weltpremiere beim diesjährigen Festival, zeigt Nina Hoss als Geigenlehrerin ihre ganz besondere, sowieso immer preisverdächtige Klasse.

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