Kritik zu Bait

englisch © BFI

In seinem Debütfilm nutzt der britische Regisseur Mark Jenkin die Formensprache des frühen Tonfilms, um von der unmittelbaren Gegenwart zu erzählen. Die Verdrängung der seefahrenden Arbeiterklasse in den Küstendörfern Cornwalls von heute hat man selten so subtil und dabei realistisch geschildert gesehen

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Seit den 1960er Jahren setzt das britische Independent-Kino mit seinem sogenannten »Kitchen Sink«-Realismus Impulse für eine Ästhetik, die mittlerweile in Filmen aus aller Welt anzutreffen ist – je mehr man sich der Realität visuell annähert, desto authentischer der Einblick ins Leben einfacher Leute, so die Annahme. Mit »Bait« kommt nun aber ein Film aus England, der mit seinem eigenwilligen expressionistischen Stil mit dieser Tradition bricht und trotzdem die gleiche humanistische Wucht an den Tag legt, für die man das britische Kino eben liebt.

Regisseur Mark Jenkin erzählt in seinem Langfilmdebüt »Bait« eine Geschichte über Gentrifizierung und Marginalisierung, wie sie auf dem Papier zunächst einmal auch in einen Film der überzeugten Realisten Mike Leigh oder Ken Loach passen würde. Der wortkarge Fischer Martin Ward (Edward Rowe) muss sich in seinem kleinen Heimatdorf in Cornwall zusehends mit dem Einfall neureicher Londoner Touristen auseinandersetzen; sein Elternhaus wird zur kitschigen Urlaubspension umgebaut, sein Bruder Steven (Giles King) hängt die Fischerei zugunsten von einträglicheren Hafenrundfahrten an den Nagel, und im ehemals urigen Pub treiben sich plötzlich die verzogenen Kinder der Städter herum. Martins Traum vom eigenen Boot rückt in immer weitere Ferne, reichen seine Einkünfte aus dem Fischfang doch nur gerade noch so zum Überleben. Langsam aber sicher steigt in dem stoischen Seemann die Wut hoch...

Jenkin inszeniert diese Story mit sicherem Gespür für Lokalkolorit und staubtrockenem Humor; vor allem aber verleiht er ihr eine ganz besondere visuelle Form: »Bait« wurde auf schwarz-weißem 16-Millimeter-Film ohne Ton gedreht, vom Regisseur von Hand entwickelt und anschließend nachsynchronisiert. Das sorgt für eine grobkörnige, von Kratzern und Sprenkeln durchsetzte Bildgestaltung sowie für einen speziellen, keineswegs naturalistischen Sound. Was sich nun nach anstrengendem Experimentalfilm anhören mag, ist alles andere als das: Erstens sorgen die flotte Erzählweise, der überzeugende Cast und das stimmungsvolle Setting dafür, dass einem der expressionistische Look nach wenigen Minuten kaum mehr auffällt – Form und Inhalt harmonieren hier perfekt miteinander, wirken weitaus authentischer als viele Independent-Filme im vermeintlich realistischen Stil.

Zum anderen nutzt Jenkin in »Bait« eine packende assoziative Schnitttechnik, die an Sergej Eisenstein und andere Pioniere sowjetischer Montage denken lässt. In einer besonders denkwürdigen Szene schneidet der Regisseur etwa eine Konfrontation zwischen dem Fischer Martin und einem Londoner Touristen virtuos mit dem Verzehr eines Hummers parallel und weist so mit sympathischem Augenzwinkern auf die inhaltliche Verbundenheit der beiden Geschehnisse hin.

Bei allem fraglos vorhandenen Humor verhandelt »Bait« aber eben auch mit durchaus brutaler Konsequenz die Erfahrungen der »working class« in bester englischer Tradition; die Verbildlichung des graduellen Aushöhlens dieses traditionsreichen Landstrichs durch die Ausbreitung des Tourismus ist Jenkin sichtbar ein drängendes Anliegen. Dass man einmal im Hintergrund einen Radiobericht über das Brexit-Referendum vernehmen kann, ist dabei kaum ein Zufall: Wenn sich der Film auch klugerweise eines expliziten Kommentars zur britischen Politgegenwart enthält, dreht er sich im Kern doch um die drastische Spaltung des Landes zwischen Arm und Reich, sozial mobil und abgehängt, die nach dem knappen Resultat der Volksabstimmung von 2016 noch sichtbarer wurde als zuvor. Auf wessen Seite der Film sich schlägt, ist dabei immer völlig klar: Die marginalisierten Küstenbewohner sind die missgelaunten Helden dieses kleinen Meisterwerks von einem Film. Die Schroffheit von Landschaft und Bewohnern fängt Jenkin mit seiner innovativen Mis en Scène gekonnt ein.

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