Nahaufnahme von Virginie Efira
Virginie Efira gibt Anweisungen beim Training in »Ein Becken voller Männer« (2018) © Studiocanal
Die gebürtige Belgierin Virginie Efira gilt als die amerikanischste unter den Stars in Frankreichs Kino. Ihre Spezialität sind selbstständige Frauen, die schon mal den Kopf verlieren, aber nie ihren Sinn fürs Pragmatische
Sie ist unsere französische Cameron Diaz, aber die aus »Verrückt nach Mary«, präzisierte ein französischer Journalist zu Beginn ihrer Kinokarriere. Sie ist unsere französische Sandra Bullock, Jennifer Aniston, unsere belgische Julia Roberts, hieß es später. Auch Gena Rowlands stand zur Debatte. Zuletzt las man anlässlich ihres neuen Films »Sibyl«, der auf dem Festival von Cannes Premiere feierte, in einer deutschen Zeitung den Vergleich mit Ashley Judd. Diese Zuschreibungen zeigen vor allem, wie schwierig es ist, das Phänomen Virginie Efira einzuordnen. Die nun 42-jährige Schauspielerin mit dem Aussehen eines Pin-ups ist mit ihrem rasanten Aufstieg aus den Niederungen der TV-Unterhaltung zur gefeierten, omnipräsenten Darstellerin in festivalwürdigen Filmen ein Ausnahmestar im französischen Kino. Dreimal wurde sie für den César nominiert. Und kaum ein Interview kommt ohne den Hinweis auf ihre, im Vergleich zu anderen weiblichen Stars in Frankreich, etwas anrüchige Herkunft aus.
Denn die gebürtige Belgierin wurde während ihres Schauspielstudiums am Brüsseler Konservatorium für das Fernsehen entdeckt. Dem großen Publikum wurde sie als Moderatorin von Jugendsendungen und dann durch »Nouvelle Star«-Talentshows bekannt. Über Synchronrollen und Fernsehfilme gelang ihr als Bikini tragende Nebendarstellerin in der Krimikomödie »Le siffleur« 2010 der späte, aber doch einigermaßen reibungslose Übergang ins Kino. In ihren folgenden Filmen emanzipierte sich Efira jedoch dann so schnell von der dümmlichen Blondinennummer ihres Debüts, dass die Branche noch immer darüber staunt.
Efira hatte einerseits wohl das Glück, aufgrund ihres in den Dreißigern vollzogenen Karrierewechsels nicht dauerhaft als »blond bimbo« abgestempelt zu werden. Spätestens aber mit der Komödie »It Boy – Liebe auf Französisch« 2013, in der sie, als Karrierefrau, einen Zwanzigjährigen freit, war erkennbar, dass hier ein ungewohnt mätzchenfreier und vitaler Frauentypus Einzug ins französische Kino hielt. Efira erwies sich zudem als Komödiantin, die so souverän herumalbern kann wie sonst nur männliche Kollegen. Das zeigen zum Beispiel ihre Clownereien in der Komödie »Glück auf Umwegen« (2011), in der das Dauerpech eines Verehrers auf sie überspringt. In der Komödie »Familie zu vermieten« (2015), in der sie, zum wiederholten Male, an der Seite des Belgiers Benoît Poelvoorde auftritt, ist sie eine kämpferische, leicht trashige Mutter, in deren Familie sich ein einsamer Millionär einmietet.
Auch in ihrer neuen Komödie »Ein Becken voller Männer« gibt sie als Trainerin eines Männer-Wasserballetts dem Affen Zucker. Efira selbst bringt ihr humoristisches Talent auch mit ihrer »Belgitude« in Verbindung: jener den Belgiern zugeschriebenen Selbstironie, mit der die Luft aus dem Ego und aus den Dramen des Lebens herausgelassen wird.
Ihre boulevardeske Ader kommt ihr auch in der Tragikomödie »Victoria – Männer & andere Missgeschicke« (2016) zugute, die ihr den Durchbruch im anspruchsvollen Fach bescherte. Ohne ihren Humor wäre dieses Porträt einer überforderten alleinerziehenden Mutter und Anwältin allzu düster ausgefallen. Zwar spielt die attraktive Schauspielerin erneut eine »MILF«, die von einem weit jüngeren ehemaligen Klienten umworben wird. Doch in allen anderen Details ist dieses intelligente Drama über eine Frau, die zu viele Bälle in der Luft zu halten versucht, so realitätsnah, dass es nur von einer Regisseurin – Justine Triet, die mit »Sibyl« nun im Mai in Cannes erstmals um die Goldene Palme konkurrierte – gemacht werden konnte. Efira »sitzt« geradezu auf dieser Rolle, in der ohne Larmoyanz die Sollbruchstellen eines modernen Frauenlebens aufgezeigt werden. Zugleich sexy und lustig ist Victoria, mit ihrer Bravado und Tüchtigkeit eine »phallische Frau«, die nicht nur ihrem narzisstischen Weichei von Exmann Angst macht.
Einen ähnlichen Part hatte Efira 2015 in der Komödie »Birnenkuchen mit Lavendel« (2015) übernommen, in der sie als Witwe und Mutter um das Überleben ihres Hofes kämpft. Tatsächlich ist sie in einer reinen Weibchennummer kaum vorstellbar. Zwar wagt sie sich, neben Komödien, immer öfter in Richtung Drama vor. In Catherine Corsinis Verfilmung des autobiografischen Romans »Un amour impossible« (2018) erregte sie als Alleinerziehende, die sich mit ihrer Tochter und dem Kindsvater in eine Katastrophe verstrickt, einhellig Begeisterung. Jene mysteriöse Aura aber, die französische Schauspielerinnen wie Jeanne Moreau, Catherine Deneuve und Juliette Binoche zu kultivieren wissen, geht dieser Anti-Diva völlig ab. In ihren Rollen ist sie sich selbst ein Rätsel, jedoch nie dem Zuschauer. Jede Emotion steht ihr ins Gesicht geschrieben. Kollegen loben, dass sie »ohne Filter« spiele und es schaffe, auch ihre Verletzlichkeit in Energie umzumünzen.
Verkörpern Deneuve & Co. als die Musen von Arthouse-Regisseuren oft das männliche Frauen-Phantasma der unergründlichen weiblichen Sphinx, so könnte Virginie Efira ein bisher im französischen Film brachliegendes weibliches Frauen-Phantasma bedienen: eine sich oft dickköpfig verrennende, aber patente Macherin, mit klaren Ansagen und ohne Sinn für Spielchen.
Mit ihrer leicht maskulinen Direktheit und dem Mangel an »femininer« Raffinesse ist sie wohl tatsächlich der amerikanischste unter den weiblichen Stars in Frankreich. »Ich habe immer davon geträumt, Charlotte Gainsbourg zu ähneln und eine gewisse Art von Pariser Vornehmheit zu verkörpern. Ich sagte mir: ›Warum nur sehe ich so aus, als ob ich aus Texas stamme?‹«, erinnert sie sich an ihre filmischen Aspirationen. Der Kontrast wird auch in zwei Auftritten mit Isabelle Huppert deutlich, in denen sie jeweils deren Rivalin spielt. In »Mein liebster Alptraum« (2011) ist Efira die überaus energiegeladene Geliebte des Ehemanns der von Huppert gespielten kaltschnäuzigen Galeristin. Und in »Elle« (2016) ist sie die Ehefrau jenes Mannes, der seine, von Huppert gespielte, Nachbarin vergewaltigt. Die sadomasochistische Beziehung, die das Opfer mit dem Mann eingeht, wird nur von der betrogenen Ehefrau durchschaut. Paul Verhoeven, der in seinem Erotikthriller Efira das letzte Wort in dieser Affäre gibt, drehte mit ihr den 2020 anlaufenden Film »Benedetta«. Man darf gespannt sein, ob Efira in der Hauptrolle einer lesbischen Nonne aus dem 18. Jahrhundert ihre »Texashaftigkeit« einbüßt. Das wäre schade.
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