Kritik zu Victoria – Männer und andere Missgeschicke

© Alamode Film

2016
Original-Titel: 
Victoria
Filmstart in Deutschland: 
04.05.2017
L: 
97 Min
FSK: 
Ohne Angabe

2013 wurde Justine Triet mit »Der Präsident und meine Kinder« zu einer Protagonistin des neuen, unabhängigen Kinos in Frankreich. Ihr zweiter Film scheint konventioneller, besitzt aber eine klug auf das Temperament der Heldin abgestimmte Frische

Bewertung: 4
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Von Berufs wegen müsste es Victoria (Virginie Efra) eigentlich gelingen, Ordnung ins Chaos zu bringen. Als Anwältin ist sie es gewohnt, klare Verhältnisse zu schaffen. Vor Gericht lässt sich dem Wirrwarr des Lebens mit Paragrafen beikommen, auch wenn Recht und Unrecht nicht immer klare Kategorien sind. Allerdings wird in Gerichtssälen auch das Private in die Öffentlichkeit gezerrt. Ist diese Grenze erst einmal aufgehoben, bietet sich das, was daheim geschah, als Angriffsfläche dar. Die gewiefte Strafrechtlerin fungiert auf diesem Terrain normalerweise als Schutzschild ihrer Mandanten. In Justine Triets Tragikomödie steht jedoch ihr eigenes Leben vor dem Tribunal. Da hilft es zunächst wenig, dass sich die Formel »Ich urteile nicht über dich« als Leitmotiv durch die Dialoge zieht. Es ist allerdings von großem Vorteil, dass Victoria in ihrer Darstellerin und ihrer Regisseurin glänzende Verteidigerinnen gefunden hat.

Victoria gerät zusehends in die Defensive, weil ihr partout nicht gelingen will, Beruf und Privatleben voneinander zu trennen. Das Dasein der alleinerziehenden Mutter ist ein unablässiger Interessenkonflikt. Eingangs erklärt sie sich bereit, ihren alten Freund Vincent (Melvil Poupaud) zu verteidigen, dessen Lebensgefährtin ihn beschuldigt, sie mit einem Messer angegriffen zu haben. Ihr anmaßender Exmann, der sich für einen begabten Schriftsteller hält, plaudert auf seinem Blog schamlos Vertraulichkeiten aus, die auch ihre berufliche Schweigepflicht verletzen. Ein ehemaliger Mandant, der aufgeweckte Gelegenheitsdea­ler Samuel (Vincent Lacoste), dient sich ihr als Babysitter an und verfolgt dabei insgeheim romantische Ziele. Ihre zwei Töchter bleiben erstaunlicherweise Fremdkörper in ihrem Leben, was ihnen indes eine stabile Autonomie verleiht, als ihre Mutter in eine existenzielle Krise gerät, nachdem sie für ein halbes Jahr suspendiert wird.

Sie verwahrlost in dieser Zeit. Aber es zahlt sich aus, dass Triet ihre depressive Komödie mit einer so robusten Komödiantin wie Efira besetzt hat. Im Durcheinander von Victorias Wohnung darf sich der Zuschauer auch während dieser Abwärtsspirale durchaus heimisch fühlen. Denn Triet klagt ihre Heldin nicht als ehrgeizige Karrierefrau an, der eine Lebenslektion erteilt werden muss. Vielmehr begleitet sie emphatisch die Suchbewegungen ihrer Heldin. Das besitzt große erzählerische Eleganz (man achte nur einmal darauf, wie sich der Vorspann erst nach zehn Minuten in den Film hineinschleicht). In ausgeklügelten Parallelmontagen führt Triet vor Augen, wie sich die unterschiedlichen Lebenssphären überlagern: Sie schneidet von einem Prozess zu einem zweiten, von der Sitzung beim Analytiker zu der Beratung mit einer Mandantin. Diese Erzählstrategie scheint darauf zu beharren, dass Victoria ihre Probleme von einer Situation in die nächste schleppt. Tatsächlich jedoch treibt sie einen Erkenntnisprozess voran, der in dem sublimen Moment gipfelt, als Victoria während eines verkaterten Plädoyers von einer erotischen Erinnerung heimgesucht wird. Das Knäuel ihrer Existenz fängt an, sich zu entwirren.

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