Die Verlobte Japans

Gestern wurde bekannt, dass die japanischen Filmtheater zum ersten Mal seit 1993 ihre Eintrittspreise erhöhen. Wie die Kinokette "Toho" erklärt, ist dieser epochale Schritt aufgrund der technischen Aufrüstung unumgänglich; zudem sollen die Lichtspielhäuser besser gegen Erdbeben geschützt werden. Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen: mehr als ein Vierteljahrhundert blieb das Preisniveau stabil.

Die Ankündigung liest sich dementsprechend wie eine sachte Entschuldigung. Tatsächlich wollen nicht alle Ketten ihrer Kundschaft den Anstieg zumuten. So viel Langmut ist wohl nur in Japan möglich, wo sich technischer Wandel zwar rasant vollzieht, die Gesellschaft aber gern an Traditionen und Gewohnheiten festhält. Ich vermute, eine ähnliche Schockwelle ging durch die Filmszene, als Ayako Wakao plötzlich anfing, in Filmen von Yasuzo Masumura aufzutreten, der zu den jungen Wilden gehörte, die sich ab Ende der 1950er gegen das restaurative Klima auflehnten. Die Schauspielerin debütierte zu Beginn des Jahrzehnts und wurde unter anderem in Filmen von Ozu und Mizoguchi bekannt. Auf der Höhe ihres frühen Ruhms feierte man sie als die "Verlobte Japans".

Masumura jedoch war ein Filmemacher der abgründigen Impulse. In seinem Werk legt er ein ziemlich umfassendes Kompendium der Obsessionen und sexuellen Abweichungen an. Die Maßlosigkeit der Leidenschaften, ihre grenzüberschreitende Kraft fasziniert ihn; ihren sittlichen Wert bemisst er an ihrer Ursprünglichkeit und Aufrichtigkeit. Die Unterströmungen einer repressiven, kranken Gesellschaft legt er in Bildern von drastischer Immanenz frei. Als Wakao zu seiner Lieblingsdarstellerin avancierte, war das etwa so, als würde Doris Day bei Bunuel auftreten. Die "Nippon Connection" in Frankfurt und das japanische Kulturinstitut in Köln widmen der letzten Überlebenden des Starsystems der 50er Jahre nun eine Hommage, die einen Überblick ihres Schaffens zwischen 1957 und 2005 gibt und einen Eindruck ihrer Wandlungsfähigkeit vermittelt (https://www.jki.de/veranstaltungen/filme/die-schauspielerin-wakao-ayako.html). Es sind großartige Filme von Kon Ichikawa und anderen zu sehen; ihre Zusammenarbeit mit Mizoguchi war bereits im Kölner Geisha-Filmzyklus zu entdecken (siehe: "Wenn sie lächelt, kostet es ein Vermögen" vom 4. 10 2018). Da spielt Wakao bereits ambivalente, nicht nur treuherzig tugendhafte Charaktere; ihr Registerwechsel kam also nicht ganz aus heiterem Himmel.

Ihre freie Entscheidung war er auch nicht unbedingt, denn sie stand bei der Daiei unter Vertrag und hatte nur begrenzten Einfluss auf ihre Rollenauswahl. Mein Freund Max Tessier erzählte mir, dass unabhängige Darsteller im japanischen Studiosystem noch selten und schlecht angesehen waren. Er hat Ayako Wakao zweimal interviewt und ist davon überzeugt, dass sie Masumura nicht mochte, der berüchtigt war dafür, rau mit seinen Darstellern umzuspringen. Aber was für ein Gespann sie waren!Masumura verwandelt sie, vergiftet ihren ehemals unkomplizierten Liebreiz. Gemeinsam porträtierten sie Frauenfiguren, die in einer feindseligen Gesellschaft ihre soziale Stellung erobern und behaupten müssen. Die Art, wie sie als Geisha in »Irezumi« (»Die Tätowierung«, ihr bekanntesten gemeinsamer Film, der aber nicht in Köln läuft) ihre Kimonos trägt, verrät noch ihre vornehme Herkunft und verleiht ihrem männermordenden Pragmatismus einen melancholischen Unterton der Verletzbarkeit. Sklavin ihrer Gefühle zu sein, gibt Wakaos Figuren die Freiheit, sich aus den moralischen Verschnürungen ihrer Zeit zu lösen.

Oft steht Wakaos Spiel im Zeichen von Manipulation und erotischer Strategie, etwa in der lesbischen Liebesgeschichte »Manji« (Wirrungen, 1964). In »Akai tenshi« (Der rote Engel, 1966) pariert sie als Krankenschwester Nishi die Brutalität des Mandschurei-Feldzugs Ende der 30er Jahre mit rätselhafter, verstörender Barmherzigkeit. Sie setzt sich dafür ein, dass ein Verwundeter, der sie Wochen zuvor vergewaltigt hat, eine Bluttransfusion erhält und signalisiert hierfür dem Arzt ihre erotische Verfügbarkeit. Darin gewinnt sie erstaunliche Souveränität und Würde. Eine heilsame Ruhe liegt über ihren bis kurz vor dem Schluss keuschen Liebesnächten – der Arzt ist impotent geworden angesichts des Grauens, das er tagtäglich sieht. Nishi ist fasziniert von Leiden und Schmerz, aber auch zu Empathie fähig.

»Seisaku no tsuma« (Seisakus Ehefrau, 1965) erzählt die Liebesgeschichte zwischen einem vorbildlichen Patrioten und einer anstößigen Frau, die darin kulminiert, dass sie ihm die Augen aussticht, damit er nicht an die Front zurückkehren kann. Die eigene Erfahrung, von der bigotten Dorfgemeinschaft ausgestoßen zu sein, ermöglicht es ihm, ihr nach der Rückkehr aus dem Gefängnis zu verzeihen. Wie oft bei Masumura ist es die Weisheit des Fleisches, die Lernprozesse vorantreibt: Seisaku ist erschüttert, als er bemerkt, wie sehr die Geliebte abgemagert ist. Faszinierend, wie der Regisseur hier die Schönheit seiner Hauptdarstellerin ins Spiel bringt. Sie ist nicht bloß ein kostbares Objekt im Blick der Männer und der Kamera. Vielmehr löst ihre Anmut eine Ergriffenheit aus, die Begehren weckt. Wakao besiegelt, mit fordernder Zärtlichkeit, den Pakt einer tiefen, reichen Intimität.

 

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