Kritik zu »Mir ist es egal, wenn wir als Barbaren in die Geschichte eingehen«
In seinem beim Filmfestival von Karlovy Vary ausgezeichneten Film thematisiert Radu Jude den rumänischen Holocaust
Am Anfang stürzen zwei Soldaten den roten Stern der Sowjetunion vom Rathaus von Odessa, in einer rumänischen Wochenschauaufnahme, die wir wie auf dem Monitor eines Schneidetisches sehen. Dann stellt sich die Schauspielerin Iona Jakob vor, die, wie sie sagt, in diesem Film die Regisseurin Mariana verkörpert – und wird gleich abberufen, ist plötzlich quasi mitten im Film, läuft als Regisseurin Mariana an den Vitrinen des rumänischen Militärmuseums in Bukarest entlang und wirft uns noch ein »Viel Spaß beim Zuschauen« zu.
Eine schlichte Exposition, aber eine, die den ganzen Film in vier Minuten kondensiert, sein Thema, seinen Ton. Im Oktober 1941 hatten die mit den Nazis verbündeten rumänischen Truppen Odessa erobert und 30.000 Juden durch Massenerschießungen exekutiert. Von Ion Antonescu, dem Diktator Rumäniens, stammt der Satz, der Radu Judes Film den Titel gibt. Über den Holocaust in Rumänien, bei dem rund 400.000 Menschen ermordet wurden, und der immer noch ein großes Tabu ist im Land, will Mariana auf dem Platz vor dem Militärmuseum ein spektakuläres Schauspiel aufführen, ein plakatives Lehrstück – so wie auch Radu Judes Film über die Entstehung der Aufführung ein Lehrstück ist, über kollektive Verdrängung und die Schwierigkeiten, sich Schuld einzugestehen, auch wenn die Vorfälle achtzig Jahre zurückliegen.
Aber Radu Judes Film ist auch ein Lehrstück über die Versuche der Politik, Kontrolle über die Kunst zu gewinnen. Immer wieder taucht der Kulturbeauftragte Movila am Set auf, diskutiert mit der Regisseurin. Er habe das Stück doch durchgebracht, argumentiert er, und man könne doch zeigen, wie die rumänischen Truppen die Juden abtransportiert haben, aber müsse man unbedingt das Hängen sehen?
Radu Jude ist einer der stilistisch vielfältigsten Regisseure des neuen rumänischen Kinos. Und einer, der immer wieder die Geschichte des Landes und seine verborgene Grausamkeit in den Blick nahm, in »Aferim!«, (2015) oder in »The Dead Nation«, (2017), der anhand gefundener Fotoplatten eines Ateliers die rumänische Alltagsgeschichte der dreißiger und vierziger Jahre rekonstruiert.
Sein neuester Film dagegen ist, wie es die Exposition andeutete, ein Format- und Stilmix. Immer wieder montiert Jude Dokumentaraufnahmen in seinen Film ein, wie überhaupt die Vorbereitungen der Aufführung mit einem dokumentarischen Gestus aufgenommen sind. Im Fernsehen läuft einmal der Antonescu verklärende Film »Der Spiegel« aus den frühen neunziger Jahren. Judes Film kennt leise Töne, aber er läuft auch zu großer Satire auf, wenn etwa die Laiendarsteller der Juden verärgert sind, weil sie mit den Roma zusammen auftreten müssen. Und völlig zur Groteske wird der Film in der Rede der stellvertretenden Bürgermeisterin, die darüber schwadroniert, wie die Rumänen im Krieg ihren »Lebensstil« haben verteidigen müssen, und an das »Leid der Soldaten« erinnert. Als die russischen Soldaten die Szene betreten, hagelt es Pfiffe. Die Vergangenheit ist eben nicht einfach vergangen. Und einmal fällt der Satz: Vielleicht stammen wir von Mördern ab.
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