Von lauten und leisen Helden
Die echten Heldentaten, die, die unser aller Leben besser oder zumindest erträglicher machen, sind oft als solche nicht erkennbar. Weil sie in aller Stille, im Verborgenen vollbracht werden. Dass sein neuer Film auf diese These hinausläuft, stellt der amerikanische Regisseur Terrence Malick schon mit dem Titel, »A Hidden Life« – »Ein verborgenes Leben«, heraus. Das Leben, das er darin aus dem Verborgenen holt, ist das von Franz Jägerstätter, einem 1907 geborenen österreichischen Bauern, der den Nazis den Kriegsdienst verweigerte und dafür wegen »Wehrkraftzersetzung« zum Tode verurteilt und im August 1943 hingerichtet wurde. So völlig unbekannt ist Jägerstätter allerdings nicht – er wurde 2007 von Papst Benedikt XVI seliggesprochen.
In Malicks Film, der nun im Wettbewerb des Festivals von Cannes mit großem Jubel aufgenommen wurde, verkörpert ihn der deutsche Schauspieler August Diehl mit einer stillen Intensität, die von der ersten Szene an für diesen Mann einnimmt. Um ihn herum schneidet Malick einmal mehr ein szenisches Panorama zusammen, das aus atmosphärischen Bildern, Dialogfetzen aus dem Off und viel, viel untermalender Musik besteht. Geschildert wird ein idyllisches Bauernleben in den Bergen – Jägerstätter stammte aus Oberösterreich – mit Sensen, Melken, Heu-Einbringen und Kartoffelsäen.
Als für Jägerstätter die Einberufung kommt, verweigert er den Schwur auf Hitler und nach der Grundausbildung die Teilnahme am Krieg. Während die Gesichter der Nachbarn sich verfinstern, sucht er Beistand bei Priester und Bischof, wo man ihm verständnissinnig zum Gehorsam rät. Später wird er verhaftet und nach Berlin Tegel ins Gefängnis verbracht.
Drei Stunden dauert die Elegie für einen wenig besungenen Helden. Malick lässt eine unglaubliche Anzahl von europäischen Schauspielern in Kurzszenen auftreten. Der belgische Star Matthias Schoenarts ist zu sehen und von Franz Rogowski über Tobias Moretti bis zu Alexander Fehling ist gefühlt alles dabei, was im deutschsprachigen Raum Rang und Namen hat. Bruno Ganz als Nazi-Richter und Michael Nyquist als Erzbischof – der eine kürzlich, der andere bereits vor zwei Jahren verstorben – belegen, wie lange Malick an diesem Projekt bereits gearbeitet hat.
Das hochkarätige Ensemble aber scheint nachgerade verschwendet, weil keine einzige Figur hier eine Entwicklung durchmacht. Malicks Film ist kein Drama, sondern eine einzige, tiefe Verneigung vor Jägerstätters Akt der Gewissensverweigerung. Als solche wurde der Film bei der Premiere in Cannes bejubelt, als solche fällt es aber auch schwer, filmische Machart und respektable Intention kritisch auseinander zu pflücken. Malick, der in diesem Wettbewerbsjahrgang zum Club derer gehört, die (»Tree of Life«, 2011) bereits eine Goldene Palme haben (neben den Dardenne-Brüdern und Ken Loach, die jeweils schon zwei haben, sind Quentin Tarantino und Abdellatif Kechiche mit am Start), kommt deshalb durchaus für einen der Hauptpreise in Frage.
Man könnte sich zum stillen Helden Franz Jägerstätter keinen größeren Gegensatz denken als den argentinischen Fußballer Diego Armando Maradona – dessen dokumentarisches Porträt durch den Briten Asif Kapadia am gleichen Tag Premiere feierte in Cannes (bezeichnender Weise außerhalb des Wettbewerbs, was wie ein unfreiwilliges Statement darüber aussieht, welcher Held sich zur »Kanonisierung« besser eignet). Nein, Maradona war kein Heiliger, auch wenn nach einem Tor sein Blick bei erhobenen Armen meist gen Himmel ging, als gäbe es da eine besondere Verbindung.
Sein berühmtestes Werk (beziehungsweise Tor) verdankt er schließlich nach eigener Aussage der »Hand Gottes«. Und der Anblick seines zweitberühmtesten Tors, erzielt im gleichen Spiel Argentinien gegen England bei der Weltmeisterschaft 1986, kann noch heute spontanen Applaus auslösen, so geschehen bei der Premiere von »Maradona« an der Croisette.
»Ein bisschen Betrug und ganz viel Genialität«, so bringt ein Kommentar in Kapadias Film das Phänomen Maradona auf den Punkt. Sehr viel tiefer dringt Kapadia dieses Mal in seinem Film leider nicht vor. Trotzdem ist »Maradona« ein hochunterhaltsamer Film mit einer mehr als faszinierenden Geschichte im Zentrum. Kapadia konzentriert sich ganz auf die Zeit Maradonas in Neapel und erzählt mittels einem nahtlosen Teppich von Archivmaterial vom »Wunder«, das den kleinen Argentinier zum lokalen Idol werden ließ, mehr noch zu einer Art Robin Hood, einem Rächer der Enterbten, der dem geschmähten Süden Italiens den so heiß herbeigesehnten Triumph über den arroganten, reichen Norden brachte.
Tatsächlich sind es diesmal solche historischen Details, die an Kapadias »Maradona« mehr interessieren als die Person im Zentrum. Der Fußballer selbst, in seiner sportlichen Herrlichkeit damals und seiner unsportlichen Peinlichkeit seit seiner Sperre wegen Kokainmissbrauchs Anfang der 90er Jahre, hat sich immer allzu durchschaubar präsentiert. Was um ihn herum geschah, die Kämpfe um territoriale Identitäten in Italien, in Argentinien, im Fußballgeschäft und ihre Verschiebung durch den Neoliberalismus, das wäre das eigentlich interessante Thema. Und ganz sicher einen weiteren Film wert.
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