Kritik zu Push – Für das Grundrecht auf Wohnen
Das wahre Monster ist das Finanzkapital: Journalist Fredrik Gertten auf den Spuren der globalen Krise um das Wohnen
»Arme Leute mit Stil« seien die ersten Vorboten der Gentrifizierung, meint der kanadische Musiker und Gastwirt Michael Louis Johnson. Dann gibt er erst mal eine Runde Schnaps aus. Vielleicht zur Beruhigung, denn seine Bar liegt in einem angesagten Viertel von West-Toronto, in dem die Antikgeschäfte schon den Edelboutiquen weichen müssen. Mit seinen bühnenreif präsentierten humorigen Bemerkungen eröffnet der joviale Barmann diesen Film. Dort ist Toronto einer von vielen Orten der Verdrängung von Mietern weltweit – von Berlin bis ins südchilenische Valparaíso, wo für die neu gebaute Luxus-Anlage »Parque Barón« der namensgebende Park zerstört wurde.
Um der globalen Dimension der Prozesse eine Form zu geben, hat der schwedische Journalist und Dokumentarfilmer Fredrik Gertten eine engagierte Reiseleiterin gefunden, die durch den Film führt: Es ist Leilani Farha, die als UN-Sonderberichterstatterin für das Menschenrecht auf Wohnen durch die Welt reist und Mieterinitiativen oder Stadtverwaltungen befragt und unterstützt. Weitere Auskunftgeber sind der Wirtschaftswissenschaftler Joseph Stiglitz, Mafia-Kritiker Roberto Saviano und die Soziologin Saskia Sassen: Übereinstimmend stellen sie dar, dass die Prozesse der Gentrifikation nur die Spitze eines Eisbergs sind und das eigentliche »Monster« (so Sassen) die auf der Suche nach Investitionsmöglichkeiten um den Erdball ziehenden Ströme des deregulierten Finanzkapitals ist.
Seit letztere das Thema Wohnen für sich entdeckt haben, ist die Wertabschöpfung auf dem Immobilienmarkt mit 136 Milliarden Dollar etwa doppelt so groß wie das globale BIP. Die Finanzkrise 2008 hat diese Geschäfte noch gepusht, wie es im Film John Gray vor Geschäftspartnern berichtet. Er ist Immobilienchef der Investmentgesellschaft Blackstone, die weltweit im Geschäft ist. In New York kauft sie ganze Stadtviertel. Und in Schweden ist eine Tochter von Blackstone in nur vier Jahren zum größten Vermieter von Sozialwohnungen geworden, erzählt ein Aktivist. Leider erfahren wir im Film nicht, wie genau es dazu kam.
Sassen prognostiziert eine globale Krise um das Wohnen, die viele Obdachlose und entleerte Innenstädte hinterlässt. In den ausgelösten Veränderungen sieht sie einen gewichtigen Grund für den wachsenden Unmut vieler Menschen: Diese könnten zwar spüren, dass sich Gewichte verschieben, hätten aber nicht genug Wissen, die Hintergründe zu verstehen. Gerttens Film versucht, hier aufzuklären. Das gelingt im Großen und Ganzen, bleibt in der konkreten Ausformung aber zu oft enttäuschend vage (siehe das Beispiel Schweden oben). Am Ende gibt es nach vielen desaströsen Nachrichten den tröstlichen Versuch eines positiven Ausblicks: Denn Farha hat in ihrem Amt zwar keine Sanktionsmöglichkeiten zur Durchsetzung des im UN-Sozialpakt garantierten Menschenrechts auf Wohnen. Doch durch ihre Vermittlung konnte sich mit »The Shift« zumindest ein breit aufgestelltes kämpferisches Aktionsbündnis für bewohnbare und lebenswerte Städte gründen.
Kommentare
Fehler bei Zahl
Nur ein kurzer Hinweis: Der Wert des globalen Immobilienmarktes wird im Film nicht mit 136 Milliarden Dollar, sondern 136 Billionen Dollar beziffert, sonst würde der Vergleich mit dem weltweiten GDP nicht aufgehen.
Beste Grüße
Henrik
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