Kritik zu Inna de Yard – The Soul of Jamaica
Selbst wenn man nur gefühlt mitraucht, entfaltet sich eine gewisse Wirkung: Peter Webber bringt in seinem Dokumentarfilm die Veteranen des jamaikanischen Reggae vor die Kamera
Bob Marley und Peter Tosh sind lange tot. Ken Boothe, Winston McAnuff, Kiddus I und Cedric Myton sind zwar weniger bekannt, aber sie leben noch. Ihre Rastalocken sind ergraut. Musik machen sie noch immer. Gemeinsam wollen sie mit einem neuen Album zu den Wurzeln der jamaikanischen Musik zurückkehren. Von ihrem Studio, das sich auf einem Berg hoch über Kingston befindet, haben sie freien Blick auf die Natur ringsum. Wenn der Reggae-Rhythmus erklingt, dann ist es, als spielten die vom Leben gezeichneten Jamaikaner mitten in einem Garten. Im Zungenschlag der Region: Inna de Yard (»In the Yard«).
Regisseur Peter Webber, bekannt geworden durch »Das Mädchen mit dem Perlenohrring«, porträtiert in seinem Dokumentarfilm die Veteranen des Reggae. Noch immer zelebrieren sie ihre Musik wie eine hedonistische Messe. Schon nach den ersten Takten zieht es einen hinein in dieses wogende Gefühl. Auch ohne Odorama steigt der Geruch von Marihuana in die Nase. Selbst wenn man nur gefühlt mitraucht, entfaltet sich eine gewisse Wirkung.
Man denkt spontan an »Buena Vista Social Club«, jenem Dokumentarfilm über steinalte Jazzmusiker aus Kuba. Im Gegensatz zu Wim Wenders' Feelgoodmovie schlägt Webbers Hommage an die Ikonen des Reggae nachdenkliche Töne an. Die traurige Grundierung des Films zeigt sich bei Cedric Myton. Archivaufnahmen erinnern an den Song »Row Fisherman«, mit dem der Reggae-Musiker Erfolge feierte. Der Film begleitet den Cedric Myton von heute, der mit einem klapprigen Boot hinausfährt und noch immer Fische fängt, die er dann am Strand brät. Die Kamera schwelgt in der atemberaubenden Schönheit der jamaikanischen Landschaft. Doch die filmisch behauptete Einheit von einfachem Leben und Kunst erscheint brüchig.
In ihren Erzählungen berichten diese alten, schwarzen Männer derweil von gescheiterten und versandeten Karrieren, von Messerstechereien und Morden. Peter Webber verbindet musikhistorische mit biografischen Aspekten der jeweiligen Künstler. Er wirft einen Blick auf die mit dem Reggae verbundene Protestkultur der Rastafaris sowie die der Maroons, jener Afrikaner, die auf Jamaika der Sklaverei durch Flucht in die Berge entkamen. Studioaufnahmen, Konzertszenen und Interviewpassagen wechseln mitunter abrupt. Obwohl die Musik als Grundthema ein unbeschwertes Lebensgefühl beschwört, vermittelt der Film insgesamt gemischte Gefühle. In Erinnerung bleibt der Auftritt der jamaikanischen Sängerin Jah9: Während sie im Studio zusammen mit ihrer Mentorin, der Reggae-Sängerin Judy Mowatt, ein Lied aufnimmt, müssen die Männer, die dazu die Begleitmusik spielen, draußen auf der Veranda bleiben. Diese Separation der Geschlechter, nicht weiter kommentiert, erscheint umso aussagekräftiger. Zwischen den Zeilen kommt dabei der Widerspruch zwischen einem behaupteten Lebensgefühl und der bescheiden anmutenden Realität zum Ausdruck. Nicht alles wird geschönt und verklärt. So überzeugt »Inna de Yard« als musikalische Bestandsaufnahme des Reggae.
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