Kritik zu Night Moves
Eine Tat und ihre Folgen: In Kelly Reichardts neuem Film beweisen ein paar Umweltaktivisten, dass sie auch wirklich aktiv sind – und müssen sich dann unvorhergesehenen Konsequenzen stellen
Es ist charakteristisch für die Arbeitsweise von Kelly Reichardt, dass der Höhepunkt ihres neuen Films »Night Moves« – die Explosion eines Staudamms – im Off stattfindet. Die Kamera fokussiert im Halbdunkel die drei Protagonisten auf der Flucht vom Tatort, als es im Hintergrund knallt. In ihrem neuen Film zeigt die Independentregisseurin, dass sie durchaus auch konventionelle Register beherrscht. Die gut zehnminütige Sequenz, die der Explosion vorausgeht, weist einen meisterlichen Spannungsbogen auf, ohne dass Reichardt die Action forcieren müsste. Sie bleibt, wie auch später bei der Explosion, ganz nah an den Figuren. Insofern ist nicht zu viel verraten, wenn an dieser Stelle vorweggenommen wird, dass der Anschlag glückt, er aber ein ungewolltes Todesopfer fordert. Denn einen Genrefilm hat Kelly Reichardt mit »Night Moves« nicht gemacht. Wohl aber, und das hat er mit »Meek's Cutoff« und »Wendy and Lucy« gemein, interessiert sie, wie die politischen und gesellschaftlichen Kräfte im gegenwärtigen Amerika die Leben der Menschen prägen.
»Night Moves« ist, wenn man so will, Reichardts erster »Themenfilm«. Josh (Jesse Eisenberg) und Dena (Dakota Fanning) sind militante Umweltaktivisten. Sie leben in einem landwirtschaftlichen Kollektiv im Nordwesten der USA, den Raubbau an der Umwelt sehen sie wie fast alle Menschen in diesem grünen Landstrich kritisch. So kritisch, dass die beiden mit Hilfe des Kriegsveteranen Harmon (Peter Sarsgaard) beschließen, zur Tat zu schreiten. Sie planen die Sprengung eines Staudamms, als politisches Statement gewissermaßen. »Lachse sterben, nur damit unsere iPods laufen«, rechtfertigt Josh die militante Aktion. Harmons Motivation bleibt dagegen unklar. Er ist die rätselhafteste Figur des Films, wenn man denn Reichardts Figuren an dramatischen Konventionen messen möchte. Vielleicht beteiligt er sich aus Rache an dem Anschlag, vielleicht will er auch einfach nur etwas in die Luft jagen. Nicht jede Position muss in Reichardts Filmen in einem psychologischen Muster aufgehen. Auch Josh und Dena sind keine einfach auf einen Nenner zu bringenden Figuren. Reichardt tut das, was sie am besten kann: Sie beobachtet. Wie Dinge erledigt werden, wie bestimmte Handlungen unweigerlich Konsequenzen nach sich ziehen. Der landwirtschaftlichen Arbeit in der Kommune etwa widmet sie viel Aufmerksamkeit. Und die Schwierigkeit, 500 Pfund Kunstdünger, der für die Herstellung des Sprengstoffs benötigt wird, ohne Personalausweis und Versicherungskarte käuflich zu erwerben, beschreibt Reichardt als Miniaturthriller.
Nichts wäre falscher, als ihren Stil mit »Anti-« zu beschreiben. Sie mag nicht immer das Naheliegende tun – was Filmemachern in der Regieklasse einer Filmhochschule (Reichardts Brotjob) gewöhnlich beigebracht wird. Aber ihre Inszenierung folgt einer bestechenden Logik. Die Figuren sollen sich aus ihren Handlungen heraus erschließen. Oder eben auch nicht.
So wird die Distanz zu den Figuren, die Reichardts Kameramann Christopher Blauvelt ähnlich wie in »Meek's Cutoff« manchmal in weiten Einstellungen einfängt, schon in ihrer teilnahmslosen Verlorenheit spürbar. »Night Moves« ist ein kühler Film mit einem heißen Thema. Im Anbetracht seiner politischen Brisanz wird erstaunlich wenig gesprochen. Am meisten noch redet eine junge Umweltaktivistin, deren neuesten Film sich Josh und Dena mit einer Gruppe Gleichgesinnter ansehen. Ihr filmisches Plädoyer stellt das komplette Gegenteil von »Night Moves« dar, obwohl die Botschaften auf dasselbe hinauslaufen. Denn an der Richtigkeit von Joshs und Denas politischem Standpunkt besteht kein Zweifel. Die Frage, die »Night Moves« aufwirft, ist nicht ökologisch-ethischer, sondern menschlich-moralischer Natur: Welche Mittel sind gerechtfertigt, um seine korrekte Haltung in die Praxis umzusetzen?
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