Kritik zu Die geliebten Schwestern
Dominik Graf erzählt von einer Liebe zu dritt – im Zentrum der Dichter Friedrich Schiller. Fern vom üblichen Biopic, versprüht der Film viel Leidenschaft vor allem dann, wenn es um Sprache geht
Der geistreiche Gebrauch von Wörtern ist doch noch immer eines der besten Aphrodisiaka! Was ist das für ein Vergnügen, dem sofort erotisch aufgeladenen Wortwechsel zwischen der jungen Charlotte von Lengefeld (Henriette Confurius) und dem Unbekannten unter ihrem Fenster (Florian Stetter) zuzuhören. Der Mann auf der Straße heißt Schiller, Friedrich mit Vornamen, aber unser Klassiker wirkt ganz jung in dieser Szene – verstaubt nur insofern, als dass der Habenichts zu Fuß unterwegs ist und die Kleidung mitgenommen wirkt. Von Patina und Heldenverehrung keine Spur.
Die etwas unschickliche Begegnung am Fenster ist der Beginn einer Liebesgeschichte, eines Liebesdreiecks sogar: Schiller lernt nicht nur Charlotte, sondern auch deren ältere, unglücklich verheiratete Schwester Caroline (Hannah Herzsprung) kennen und lieben, in einem flirrend heißen, märchenhaft idyllischen Sommer 1788. Die Ménage-à-trois erscheint als gelebte Utopie – es ist der Sommer, der der Französischen Revolution vorangeht; ein Glühen und Leuchten liegt in der Luft, auch in Rudolstadt an der Saale, wo die Familie von Lengefeld ihr Gut hat und Schiller zu Besuch ist. Noch gibt die höfische Gesellschaft die Spielregeln vor, die aber schon muffig und überholt wirken, längst nicht mehr verbindlich sind. Der junge Schiller, den Stetter als feurig-empfindsamen, dabei auch etwas weltabwesenden Mädchenschwarm spielt, wirkt wie ein Bote des sich ankündigenden Umsturzes: als selbstbewusster Bürgerlicher und Dichter unter anderem der »Räuber«. Und auch als Liebender, mit Charlotte und Caroline: weil sie es zu dritt probieren, weil sie das wahre Gefühl suchen, fern von (höfischen) Konventionen. Und wie das so ist, wenn Menschen frisch verliebt sind, scheint die Zeit kurz den Atem anzuhalten in diesem Märchensommer. Alles ist Licht und Luft, die zwei Mädchen erscheinen dem Dichter als »Flussgöttinnen«. Als dieser in der Saale fast ertrinkt, als er ein Kind aus dem Fluss rettet, wärmen Charlotte und Caroline den nackten Mann mit ihren in viel Stoff gehüllten Körpern und verbergen gleichzeitig seine Blöße vor unseren Augen – eine Szene, die Erotik, Naturgewalt und ihre kulturelle Eindämmung, die Kindsnatur der drei und Schillers körperliche Gefährdung zu einem intensiven Bild verbindet.
Es gibt Hinweise, aber keinen Beweis, dass es diese Liebe zu dritt wirklich gegeben hat – die beste Ausgangsbasis für eine Kinofantasie. Deren kluger und neugieriger Erzähler ist Dominik Graf, der mit einem Text aus dem Off die Geschichte begleitet und diesen auch selbst spricht. Der Regisseur wurde vor allem mit intelligenten Fernsehkrimis bekannt, dass er nun einen historischen Stoff gewählt hat, überrascht. Aber vieles ist ja gar nicht so fern, wie das Datum 1788 suggeriert. An Grafs Film begeistert die Frische und Offenheit, mit der er Momente deutscher (Literatur-)Geschichte gegenwärtig macht. Obwohl nicht zuletzt die Sprache die Erzählung unzweifelhaft im Gestern verankert, blickt dieser Erzähler unvoreingenommen auf den Dichter und seine Zeit, als würde er den Fortgang der Geschichte nicht kennen. Geld, die wirtschaftlichen Verhältnisse der Figuren, spielen eine entscheidende Rolle. Caroline wurde an einen wohlhabenden, ungeliebten Mann verheiratet, um die Familie vor dem Ruin zu retten, später wird sie außerhalb der Ehe Sex gegen Geld tauschen. Schiller hat eine wohlhabende, großzügige Geliebte. Und wenn Charlottes Mutter Schillers Werben um ihre Tochter skeptisch begegnet und Charlotte lieber adelig und wohlhabend verheiraten will, kann man die Kuppelmutter unbedingt verstehen.
Das ist nicht das andächtige Nacherzählen des Lebens und Wirkens eines Genies. »Die geliebten Schwestern« macht Schiller zwar zum Dreh- und Angelpunkt des Dreiecks, seine Figur ist aber keineswegs bedeutender als die der Schwestern. Für den Zuschauer ist es vor allem ein Vergnügen, zwei schönen und klugen Frauen zuzusehen, wie sie – auch für heutige Verhältnisse unglaublich frei denkend – beschließen, denselben Mann zu lieben, mit unterschiedlichem Temperament. Henriette Confurius verkörpert Charlotte als glutvoll Liebende, Hannah Herzsprung verleiht Caroline ein kaum zu bändigendes Feuer.
In der Liebe wie in der Dichtung und der Politik geht es in diesem Film immer wieder um das Ausprobieren neuer Formen. Dieser Aspekt hat wohl auch Graf an dem Stoff fasziniert. Von der Kunst des Buchdrucks wird geschwärmt, von neuen Lettern, die leichter lesbar sind als die alten – und es ist nicht nur der Geist der Aufklärung, der daraus spricht. Wie Graf, der auch selbst das Drehbuch geschrieben hat, mit der Sprache umgeht, welchen Raum das Schreiben von Briefen einnimmt, die geistreiche Konversation, das Sprechen über Liebe, die öffentliche Rede – das verrät die Leidenschaft des Regisseurs, die in der Vergangenheit womöglich besseren Halt findet als in der Gegenwart mit ihrer oft schlampigen E-Mail-, Twitter oder Facebook-Kommunikation. »Was mich von Anfang an faszinierte: einen Film über Worte zu machen«, hat Graf seinen Film kommentiert. »Von heute aus gesehen, hab ich versucht, zu filmen, so wie man schreibt – als wäre das Filmmaterial das Papier.«
Mit dieser Haltung ist die Aneignung eines Klassiker gelungen, der heute – belastet durch »Glocke« oder »Bürgschaft« rezitierende Väter und Großväter – als ziemlich überholt gilt. Dabei wird das Freiheitspathos Schillers ebenso wie das Liebesideal des Trios harten Alltagstests unterworfen. Auch der Film verliert an Leichtigkeit, als in die Liebe die Eifersucht sickert und die neue Weltordnung, in der die Menschen freier und gleicher sein sollen, blutig hergestellt wird. In einer atemberaubenden Überblendungssequenz verleiht Graf dieser alten Ordnung, die in Frankreich gerade gestürzt wird, die Gesichter der adeligen Figuren des Films, darunter Charlotte und Caroline. Das ist der Preis des Umsturzes. In Frankreich wären die Schwestern vielleicht geköpft worden.
Kommentare
Fern der Realität im Bezug zur Freundschaft zu Goethe
Ziemlich frei einseitig zusammengewürfelt ist der Film. Goethe gibt es so gut wie gar nicht. Dabei wäre keiner ohne den andern der geworden, der er schließlich war.
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