»Top of the Docs«
Gestern wieder als Berichterstatterin für epd-medien in der Berlinale-Parallelwelt der »Top of the Docs« im Meistersaal in der Köthener Straße, wo die ARD die von ihr selbst so eingeschätzten dokumentarischen Programm-Highlights vorstellt. Dabei nimmt der Sender den Begriff des Dokumentarischen nicht so eng und gemeindet etwa ein angekündigtes drehbuchbasiertes Fernsehdrama von Sherry Hormann (Titel: »Nur eine Frau«) problemlos dort ein, weil es ja auf der realen Geschichte der von ihren Brüdern ermordeten Hatun Sürücü basiert. Bei anderen muss man die Realisierung abwarten, wenn sie nicht (wie etwa »Beuys«, »Wildes Herz« oder Karin Jurschicks »Spielen Sie Gott, Mr. Feinberg« unter dem Titel »Playing God«) bereits im Kino liefen. Historisch interessant für das vierte Quartal angekündigter 90-Minüter von Wilfried Huismann, Annette Baumeister und Kai Christiansen mit Archivmaterial der »Colonia Dignidad«.
Aber was soll frau bitteschön denken, wenn die ARD bei Ankündigung des Films zum Thema »Was Sie schon immer über Frauen wissen wollten...« die weiblichen Wechseljahre zu einem gesellschaftliche Tabuthema erklärt? Häääh? Habt ihr sie noch alle? Interessanter klingt da ein »Frauen-Projekt«, dass bei der Veranstaltung nicht, in der Broschüre aber recht ausführlich angekündigt wird (»Walchensee Forever«) und vier Generationen bayerische Familiengeschichte aus privaten Archivbildern zusammen setzen will. Lässt sich nur hoffen, dass das Material für sich stehen bleibt nicht durch redaktionelle Eingriffe verkitscht und verkleistert wird.
Technik und Wissenschaft kommen, wie schon in Fritz Wolfs Studie zum Dokumentarfilm im Fernsehen festgestellt (bis auf das versammelte Tierwesen) erschreckend gar nicht vor. Besonders stolz ist man da auf eine neue unter dem Titel »Wilde Dynastien« gemeinsam mit der BBC produzierte Tierserie, die personalisierte Erzählweisen auch im Tierfilm noch weiter treiben will und damit auch die Übertragung tierischen Soziallebens auf menschliche Gesellschaften suggerieren. In diesem Kontext lassen besonders die Beschreibungen in der ARD-Präsentationsbroschüre erschrocken aufhorchen.
Originaltext:
»Es geht ums Überleben in einer hart umkämpften Welt, in der vor allem die eigene Familie beschützt und die Dynastie in die nächste Generation geführt werden muss«.
oder:
»Dafür muss jede Generation harte Kämpfe führen, um die Dominanz in dem gesteckten Revier gegenüber ständig attackierenden Konkurrenten zu verteidigen«.
Man darf gespannt sein, wie die ARD solchen Hang zum Soziadarwinismus mit ihrem Auftrag zur Stärkung gesellschaftlichen Zusammenhalts und demokratischer Strukturen zusammen bringen wird.
Besonders schön zum Ende in der Hochglanz-Broschüre ist auch das Kapitel »Zahlen, Daten, Fakten. Eine Analyse« das sich mit zwei (fast) leeren Grauseiten und zwei weitere mit schlichten Werbepostern als drastisch inhaltsleer erwies: Das eine postuliert in einem großen Sternenkranz die nicht weiter ausdifferenzierte Zahl von 2280 Stunden Erstausstrahlungen von Reportagen und Dokumentationen für das Jahr 2018. Das andere rechnet diese in einer großen ähnlich kindgerechten Grafik auf die passenden 6 Stunden und 15 Minuten pro Tag um. Mehr Zahlen gibt es nicht. Das lässt nur hoffen, dass dieser Begriff von Analyse nicht vorbildlich für das Programmtreiben gemeint ist.
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