Berlinale-Eröffnung: Noch einmal mit Gefühl
Eine Gruppe von einsamen Verlierergestalten findet über Zufall und Missgeschick zusammen, was zu rührenden Akten von Solidarität und nicht weniger rührenden Momente von Romanze führte: Das war der Plot von Lone Scherfigs »Italienisch für Anfänger«, mit dem sie auf der Berlinale 2001 den Jury-Preis erhielt. Mit ihrem neuen Film, »The Kindness of Strangers«, eröffnete die dänische Regisseurin nun am Donnerstagabend die 69. Berlinale – und liefert darin eine Art nostalgische Wiederaufbereitung ihres Erfolgsfilms von vor 18 Jahren.
Scherfig, die seit vielen Jahren sowohl in den USA als auch in Großbritannien dreht, siedelt diesmal die Erzählung in einem winterlichen New York an. Dorthin flieht die junge Mutter Clara (Zoe Kazan) mit ihren zwei kleinen Söhnen vor einem prügelnden Ehegatten. Dorthin kommt der frisch aus dem Gefängnis entlassene Marc (Tahar Rahim). Dort landet der unstete Jeff (Caleb Landry Jones) auf der Straße, und dort versucht die nimmermüde Alice (Andreas Riseborough) als Krankenschwester und Freiwillige die menschliche Not um sie herum zu lindern.
Ihre Wege kreuzen sich im »Winter Palace«, einem heruntergekommenen einstigen Luxusrestaurant, in dem Bill Nighy als alternder »Maître d'hôtel« einen Russen mimt, um Oligarchenkundschaft anzuziehen. Die Figuren sind mit Witz und Emotion gezeichnet, die Schauspieler zeigen ihr Bestes. Die fließend-bewegliche Kamera macht das raue New York zu einer Stadt, in der Gewalt und Wunder tatsächlich märchenhaft aufeinander stoßen – und dennoch kommen die Dinge in Scherfigs Film diesmal nicht wirklich zusammen.
Einerseits fast zwanghaft melodramatisch, andererseits zu süßlich, wird aus einem Film, der die wirtschaftlichen Nöte der Menschen ernst nehmen will, ein flaches Rührstück mit altmodischen Vorstellungen von Gut und Böse. Dennoch ist »The Kindness of Strangers« ein typischer Berlinale-Film im besseren Sinne: sympathisch, gefällig, ein bisschen exzentrisch und politisch mit dem Herzen auf dem rechten Fleck.
Ähnliches gilt für den Film »Öndög« des zweiten Berlinale-Gewinners im Wettbewerb, Wang Quan'an aus China. Sein Film »Tuyas Hochzeit« wurde 2007 mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet; er spielte fast ausschließlich in einem Nomadenzelt in der mongolischen Grassteppe. Und genau dahin kehrt Wang Quan'an auch mit seinem neuen Film zurück.
»Öndög« heißt Dinosaurier, so erfährt man im Lauf des Films, der sich fast ausschließlich zwischen zwei Personen abspielt. Die ersten und ältesten Dinosaurier-Reste habe man hier in der Steppe gefunden, erklärt an einer Stelle ein Hirte seiner Nachbarin und scherzhaft reden sie über die »Dinos«, die sie gemeinsam in die Welt setzen könnten.
Der Film setzt ein mit der Entdeckung einer nackten Leiche, aber was eine Krimihandlung zu versprechen scheint, entwickelt sich zu einer launigen Betrachtung des einsamen Steppenlebens. Im Zentrum steht eine eigenwillige, starke Frau, die auf ihrer Selbstständigkeit inmitten des flachen, kalten Graslands besteht.
Gedreht in langen Einstellungen, die die Weite der Landschaft in verzaubernder Form stets mit im Blick hat, ist auch »Öndög« ein typischer Berlinale-Film, allerdings im besten Sinn: exotisch, voll interessanter ethnographischer Details und dabei auf einfallsreiche Weise den vertrauten Mustern des Feelgoodmovies folgend.
Auf den ersten Blick mag Dieter Kosslicks Wettbewerbsauswahl in seinem Abschiedsjahr zu sehr wie ein »Auf Nummer sicher gehen« ausgesehen haben, mit überdurchschnittlich vielen Regisseure, die in Vorjahren hier ausgezeichnet wurden. Aber im Verlauf des Festivals wird daraus wohl mehr werden, nämlich eine Art Siegerrunde für den scheidenden Berlinale-Direktor, in der er in Retrospektive die Stärken seines programmatischen Zugriffs zur Schau stellt.
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