Verlockende Heimsuchung
Romain Gary und das Kino, das war eine lange, heftige Romanze. Nein, eigentlich eine Kaskade stürmischer Affären, von denen keine gut ausging. Ein Spiel der Verführung, die von beiden Seiten ausging, aus der nie etwas Definitives wurde, oder zumindest wenig, das bleibt. Da eröffnet sich ein ganzer Kontinent prächtiger Missverständnisse.
Eric Barbier hat die Flamme vor zwei Jahren wieder entzündet, als er Garys angeblich autobiographischen, tatsächlich munter hinzu fabulierenden Roman »Frühes Versprechen« neu verfilmte. Wieder eine Amour fou, diesmal zwischen Mutter und Sohn. Jules Dassin hat sich vor fast fünfzig Jahren schon mal daran versucht, was in der Tat einen gewissen Nachbesserungsbedarf hinterließ. Das Kino kommt nicht ganz los von ihm; wider besseres Wissen. Am Donnerstag läuft Barbiers Adaption in unseren Kinos an. Sie fällt aus der Zeit, nicht nur der Gegenwart. Erstmal also ein sympathisches Unterfangen.
Birgit Roschy liest sie im aktuellen Heft als einen Schelmenroman, was dem Buch gerecht wird, jedoch Barbiers Erzähltemperament über Gebühr schmeichelt. Er glaubt wirklich, dass die unerbittlich ehrgeizige Mutter eine Paraderolle für Charlotte Gainsbourg ist. Aber was bedeutet das? Keine Subtilität, sondern dicke Pinselstriche: auf den ersten Blick preiswürdig, aber dann doch nur bravourös. Eine hinreißende Zuschauernötigung. Garys Buch sollte eine Liebeserklärung an seine Mutter sein, eine fulminant erfüllte Bringschuld. Die Monstrosität war dem Autor wohl bewusst. Pierre Niney leidet denn auch episch darunter, unerlöst zu sein von der Mutterliebe, die Gary eisern auf ein Leben vorbereitete, das raffinierter sein musste als die Wirklichkeit.
Barbier nimmt ihn manchmal beim Wort, aber nicht immer für bare Münze. Das ist gescheit. Man darf seinen Spaß haben an Garys Aufschneidereien, an der Kolportage der eigenen Biographie. Fabelhaft ist sie so oder so. Kampfflieger, Diplomat, gefeierter Schriftsteller und ausdauernder Herzensbrecher: Er ist all das geworden, was seine Mutter sich von ihm erhoffte. Schade, dass sie nicht mehr miterlebte, dass er sogar noch einen Filmstar heiratete, Jean Seberg. Ihr gemeinsamer Sohn ist Co-Produzent des Films, wohl eher als Rechteinhaber sowie Siegelbewahrer der Legende, denn als Gewährsmann für Authentizität. Was mich besonders beeindruckte an Barbiers Film war die anekdotische Schonungslosigkeit, mit der er den Antisemitismus freilegt, der nicht nur im Polen den 1920er Jahre herrschte, sondern gerade auch im Frankreich des Folgejahrzehnts. Es ist ein allerdings ziemlich witzig, wenn Gainsbourg in Nizza zur russisch orthodoxen Kirche eilt, wo ihr Sohn doch glaubt, sie seien mehr oder weniger Juden. Zerrissenheit ist wohl ein Schlüsselwort, um Gary zu verstehen.
Nach der Mutterliebe blieb ihm nur noch die Wahl, das legt »Frühes Versprechen« nahe, unentwegt um Bestätigung zu buhlen. Als sein Publikum ihm nicht mehr folgte, gab er sich ein neues Pseudonym, Émile Ajar, der "Du hast dein Leben noch vor dir" schrieb und Gary den zweiten Prix Goncourt einbrachte, was die Statuten des Preises eigentlich untersagen. Seine Mutter, die große Illusionistin, wäre stolz auch auf diesen Coup gewesen. Ich glaube nicht, dass seine Erfolge ihn glücklich machten, der Hunger war zu groß.
Als er "Frühes Versprechen" schrieb, waren schon zwei seiner Romane von Hollywoodregisseuren verfilmt worden. Ich habe ein Faible für Hustons »Die Wurzeln des Himmels«, eine seiner vielen Sieg-in-der-Niederlage-Geschichten. Besonders mochte ich den abgehalfterten Errol Flynn und die somnambule Juliette Gréco. Genauer gesagt, ist dies Faible eine Schwäche, die das Wiedersehen fürchtet. Auf der Chronik der Verfilmungen liegt ein Abglanz, ein Fluch des faszinierenden Scheiterns. Mitunter möchte man die Romane gar gegen die Adaptionen in Schutz nehmen. Gary, der sich selbst gern überschätzte (insbesondere sein Talent, selbst Regie zu führen), verleitet zu ungerechten Urteilen. Seine Prosa besitzt einen Elan, der längst überkommen scheint; erst recht, nachdem die Stilübungen des Nouvean Roman ihn ins Lage des angestaubt Akademischen, Prestigeträchtigen katapultierten. In einer schwachen Stunde wird er vielleicht sein Werk auch eher im Konjunktiv betrachtet haben: Es hätte alles noch glorreicher sein müssen. Aber konnte aus »Die Liebe einer Frau«, der von der gescheiterten Beziehung zu Seberg handelt, je ein wirklich guter Film werden? Yves Montand ist ja immer gut, aber Romy Schneider war da vielleicht schon zu sehr verstrickt in die eigene Tragödie. Sam Fullers »Die weiße Bestie« müsste ich wieder sehen, aber mit dessen Spätwerk tue ich mich ohnehin schwer.
Gary bleibt eine verlockende Heimsuchung. Die Mysterien sind ihm im Leben immer geglückt. Das fiebrigste, das ihn umgibt, ist das seiner Geburt. Dass der große Ivan Mosjukin, mit dem seine Mutter angeblich in Moskau auf der Bühne spielte, sein Vater gewesen sein könnte, hat er oft abgestritten, aber nie ganz dementiert. Diese Abkunft hätte seiner Eitelkeit schmeicheln müsse. Er war ihm wie aus dem Gesicht geschnitten, vor allem in späteren Jahren, als seine Nase noch schärfer schien und sein feiner Schnurrbart noch romantischer wirkte. In Barbiers Film muss der kleine Romain auf Geheiß der Mutter Maß an dessen Porträt nehmen: Wenn sein Blick so durchdringend würde wie der von Mosjukin, könnte er alle Frauenherzen brechen. Das ist ein magischer Moment. Vielleicht auch nur ein bezwingendes Versprechen.
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