Der Schock, wenn es funktioniert
Wenn ich morgens den gebrauchten Kaffeefilter in den Müll werfe, muss ich manchmal an William Goldman denken. Ich erinnere mich dann an den Beginn von »Ein Fall für Harper«, wo Paul Newman keinen frischen Kaffee mehr im Haus hat und sich schließlich überwindet, den vom Vortag noch einmal aufzubrühen. Ich frage mich dann, wie das wohl schmeckt, widerstand aber bisher immer der Versuchung, es mal auszuprobieren.
Vielleicht sollte ich es bald mal tun; als Hommage an den großartigen Drehbuchautor, der vor zwei Tagen starb. Der Filmanfang ist eine ungemein bezeichnende Goldman-Szene; im Roman von Ross Macdonald, den ich dank ihm später entdeckte, kommt sie nicht vor. Sie markiert das erste Mal, dass er erlebte, wie das Publikum im Kino auf etwas reagierte, das er sich hatte einfallen lassen. Es lachte, erst verhalten, dann schallend. Damit hatte Goldman nicht gerechnet, allenfalls darauf gehofft. Aber für ihn kam, welch ein Privileg, der Erfolg immer unerwartet.
Die Eröffnungsszene demonstriert sein Talent, augenblicklich eine Verbindung zwischen seinen Figuren und den Zuschauern herzustellen, eine Art amüsierter Komplizenschaft, vielleicht sogar schon Identifikation. Newman ist allerdings auch gut in ihr, sein Widerwille vor dem Kaffee ist einnehmend und weckt Neugier, wie einfallsreich Lew Harper wohl andere Widrigkeiten im Leben parieren mag. Mit Goldman kam in der zweiten Hälfte der 1960er ein Tonfall ins amerikanische Kino, der auf der Höhe der Zeit war - cool, entspannt, gewissenhaft zynisch - , aber nicht ganz deckungsgleich mit dem, was die Jungen Wilden des New Hollywood umtrieb. Er war gewissermaßen der Burt Bacharach unter den Drehbuchautoren, sein Stil war elegant und leichtfertig, wenngleich nicht schwerelos, subversiv auf zuvorkommende Weise. Goldman konnte sich übrigens partout nicht vorstellen, dass die Fahrradepisode in »Butch Cassidy and Sundance Kid« funktionieren würde, erst recht nicht mit Pop-Begleitung. Das war seine schönste Sorge beim Drehbuchschreiben: ob und wie etwas auf der Leinwand funktioniert. Wenn etwas gelang, das erzählte er Lars-Olav Beier und mir einmal in einem Interview, war das jedes Mal ein Schock für ihn. Ich habe ihn mir immer als einen glücklichen, weil strategischen Zweifler vorgestellt. Das Problem des Funktionierens hing mit den Erzählkonventionen zusammen, in denen er sich bewegte, zielte aber vor allem auf die Frage, was das Publikum akzeptieren würde. Sie stellte sich für ihn erst recht, wenn seine Bücher auf wahren Ereignissen beruhten.
Das Drehbuchschreiben als Wette: Auch »Butch Cassidy and Sundance Kid« war ja keine ausgemachte Sache. Acht Jahre lang recherchierte er die Geschichte der zwei Banditen, die erstaunlicherweise nie zuvor einem Filmemacher erzählenswert erschienen war - wofür Goldman indes rasch den Grund fand: Sie stellten sich nicht ihren Verfolgern, sondern flohen nach Lateinamerika. Westernhelden machten so etwas nicht, aber Ende der 60er konnte man es mal ausprobieren. Goldman bekam eine Rekordsumme und einen Oscar für das Buch, wurde ein Star in diesem schönen, gern verleugneten Metier.
Als den wesentlichen Beitrag des Drehbuchautors nannte er die Struktur, was übertrieben bescheiden klingt aus dem Mund eines Mannes, der ungeheuer gewitzte Dialoge schreiben konnte - aber eben auch zeigt, dass er am Zweifel festhielt. Das war gut so, denn der Watergate-Film »All the President's Men« (Die Unbestechlichen) brauchte einen wachsamen Autor. All diese Namen, die nur eine Telefonstimme sind und kein Gesicht bekommen! Struktur bedeutete hier, Klarheit zu schaffen, damit die zwei Kinostunden nicht wie eine endlose Exposition wirken. „Die Brücke von Arnheim“ war eine ähnliche logistische Herausforderung: Wie sollte er im Wirrwarr unzähliger Geschichten ein dramatisches Rückgrat finden? Bemerkenswert an diesem Kriegsfilm ist, dass er von einem Debakel handelt; auch das Drehbuch zum Watergate-Film hätte er gern mit dem vorläufigen Scheitern der zwei Washington-Post-Reporter enden lassen.
Die Konstruktion war bei ihm das Unterpfand einer ausgreifenden Lust am Geschichtenerzählen. Er fabulierte gern, schon als Romancier, obwohl sich das zu der Zeit in der US-Literatur gerade nicht gehörte. Die Gefahr als Ansporn eines Bildungsromans ist eine Spur, die sich durch ein thematisch vermeintlich heterogenes Werk verfolgen lässt. Sie verbindet »Der Marathon Mann« mit »Die Braut der Prinzen« (beides Adaptionen eigener Bestseller) oder »Hearts of Atlantis«, einem der vielen Stephen-King-Stoffe, die er später adaptierte.
Wie man sich in Gefahr begibt und darin nicht untergeht, ist auch ein Thema seiner "Adventures in the Screen Trade", die unter dem Titel "Das Hollywood-Geschäft" bei uns enorm Furore machten. Das Buch und dessen Sequels verschafften ihm fast noch höheres Ansehen als seine Romane und Drehbücher, denn sie verbanden Einblicke in die eigene Werkstatt (inklusive Enttäuschungen, Kränkungen und großzügig gespendeter Bewunderung) mit der gescheiten Analyse eines sich ständig wandelnden Marktplatzes. Sie vermittelen Insiderwissen, jedoch aus einnehmend neugieriger Außenperspektive. Am liebsten mag ich noch immer die Anekdote, die er von der Arbeit an »Ein Fall von Harper« erzählt. Einige Tage, nachdem er Jack Warner vorgestellt worden war, begegnete er ihm auf dem Studiogelände. Der Mogul, der Tausende von Angestellte befehligte, erinnerte sich ganz selbstverständlich an den Namen des unbekannten Autors und grüßte ihn aufmunternd. Man versteht, weshalb Warner später in Depressionen verfiel, nachdem er das Studio verkauft hatte und nur noch ein normaler Multimillionär war.
Es ist immer riskant, seinen eigenen Idole zu begegnen. Im Falle Goldmans war es ein Vergnügen. Er war in Berlin, um gemeinsam mit Rob Reiner Interviews zu ihrer King-Verfilmung »Misery« zu geben: eine vornehme Erscheinung, ein hochgewachsener, schlanker, nicht unziemlich sportlich wirkender Herr, der sich in der Hotellobby gerade die "New York Times" gekauft hatte. Ein kurioser Zufall ging dem Interview voraus: Der Drehbuchautor Stirling Siliphant, der ihn Jahrzehnte zuvor unrühmlich bei einem Film ausgebootet hatte, war ebenfalls in Berlin und gratulierte Reiner zu seinem Erfolg und dem Besetzungscoup Kathy Bates. Falls Goldman immer noch Groll gegen den einstigen Konkurrenten hegte, ließ er es sich nicht anmerken, sondern bedachte ihn mit höflichem Desinteresse. Lars-Olav Beier und ich hätten ihn gern allein interviewt, mussten aber seinen prahlerischen Regisseur mit in Kauf nehmen. Reiner fiel dem Drehbuchautor andauernd selbstgefällig ins Wort; kein Mensch, der das Privileg kannte, vom Erfolg überrascht zu werden.
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