Nahaufnahme von Gillian Anderson
Gillian Anderson in »Bad Spies« (2018). © Studiocanal
Sie wurde bekannt durch die Endlosserie »Akte X«, in der sie an der Seite von David Duchovny eine Ärztin spielt, die dem Paranormalen auf der Spur ist. Aber nach und neben der Serie kultiviert Gillian Anderson eine ambitionierte Rollenwahl
Der Unterschied könnte nicht größer sein: Hier die kühle, kontrollierte und resolute Blonde, die als Ermittlerin in »Akte X – Die unheimlichen Fälle des FBI« und »The Fall« oder als Psychologin des Killers Hannibal in der gleichnamigen Serie eine ganz selbstverständliche Autorität und analytischen Pragmatismus ausstrahlt. Dort die charmante, warmherzige, erfrischend humorvolle Frau, die bei Jay Leno, Jonathan Ross oder Ellen DeGeneres jederzeit in ein schallendes Lachen ausbricht, das von den Mundwinkeln und von den Augen ausgehend Gesicht und Körper erfasst. Die ziemlich freche Witze reißt, auch mal ein deftiges »fuck off« fahren lässt und die BotoX-Files der »Daily Mail« über angebliche Schönheitsoperationen mit einem flotten »I don't give a fuck, because I know it's not true« wegwischt. Manchmal fragt man sich, warum diese impulsive und komische Seite im Kino nicht viel öfter genutzt wird.
Im Kern der Karriere ruht der übermächtige »X-Files«-Brocken, mit fast 200 Folgen von 1993 bis 2002, 16 weiteren Folgen in der Wiederaufnahme der Serie in einer zehnten und elften Staffel seit 2016, sowie zwei Kino-Spielfilmen. In der Krimiserie, die mit Science Fiction- und Horrorelementen durchsetzt ist, verkörpert Gillian Anderson an der Seite von David Duchovnys FBI-Agent Fox Mulder die Ärztin Dana Scully, die zu den unheimlichen Fällen mit Aliens, Vampiren und Werwölfen zunächst die Stimme der Vernunft erhebt um sich dann doch schleichend von der empirischen Evidenz des Paranormalen überzeugen zu lassen. Im vielfältigen Wechsel von Tonfall und Genre bleibt auch jede Menge Raum für romantische, und vor allem komische Momente, wenn etwa die Pathologin Scully eine Leiche obduziert, stoisch verschiedene Innereien auf die Waage schmeißt und evaluiert, um sich dann bei der Analyse des Mageninhalts (Pizza, Peperoni, Paprika und Pilze) vor dem geöffneten Körper in ein sehnsuchtsvoll genießerisches »sounds good« zu verlieren.
Die ikonische Rolle markiert den Durchbruch der bis dahin unauffälligen Schauspielerin, die 1968 in Chicago geboren ist und einen Großteil ihrer Kindheit in England verbracht hat. Das ebenmäßige und klassisch geschnittene, schmale Gesicht mit der aristokratischen Nase und den tiefliegenden blassblauen Augen prädestiniert sie als kühle Blonde, an der Hitchcock seine Freude gehabt hätte. Doch aus dem blonden Vamp macht sie eine moderne Powerfrau im strengen Business-Kostüm, mit dem sie die Wirkung ihrer weiblichen Reize dämpft. In der britischen Krimiserie »The Fall« ist sie nicht nur ebenbürtiges Gegenüber für einen perfiden Serienkiller, sondern auch entschlossene Kämpferin für die Sache der Frauen. Als sie von einem Kollegen auf ihre Affäre mit einem verheirateten Polizisten angesprochen wird, umreißt sie mit boshafter Ironie die Doppelmoral mit einer simplen grammatikalischen Gleichung: »Man fucks woman, man: subject, verb: fucks, woman: object, that's okay. Woman fucks man, woman subject, man object, that's not so comfortable for you, is it?« Mit der Art, wie sie da die Worte von unten nach oben, mit taxierendem Blick und klarer Haltung abfeuert, in einer Mischung aus ironischer Gelassenheit und stählerner Prägnanz wird sie auf völlig selbstverständliche Weise zur Gleichberechtigungsbeauftragten. Im wirklichen Leben musste sie übrigens auch erst darum kämpfen, die gleiche Gage zu bekommen wie ihr männlicher »X-File«-Co-Star David Duchovny.
Nachdem Duchovny einige Folgen der Serie geschrieben und inszeniert hatte, übernahm auch Gillian Anderson die Regie einer Folge und drehte dann einige Jahre später noch den Kurzfilm »Departure«, der die Vorgeschichte von »Endstation Sehnsucht« erzählt, an den Tagen vor der Abreise der von ihr selbst gespielten Blanche Dubois.
Nach dem vorläufigen Ende der »X-Files« zog sie nach England, um dort vor der Kamera und auf der Bühne einen bunten Strauß von kleineren und größeren Rollen zu binden. Im riesigen Schatten der übermächtigen »X-Files« blühten dann jede Menge schillernder Rollen, die Gillian Andersons Wandelbarkeit zeigen. Sie spielte in »The Mighty Cell« die irische Mutter des 14-jährigen Helden, in »The Last King of Scotland« neben James McAvoy eine freigeistige Abenteurerin in Idi Amins Afrika, im Schweizer Skiresort von Ursula Maiers »Winterdieb« eine amerikanische Märchenmutter, die einen kleinen Streuner eine Weile unter ihre Fittiche nimmt. Auch in Szenen, die leicht aus dem Ruder laufen und kippen könnten, hält sie eine feine Balance, zum Beispiel, wenn sie als wohlhabende Kunstsammlerin in Boogie Woogie beladen mit Koffer und Einkaufstüten von einer Reise zurückkehrt, um entsetzt die leeren Wände ihrer Wohnung zu entdecken. Noch ein bisschen weiter dreht sie die Schraube in der amerikanischen Serie »American Gods«, wo sie als Media die Gestalten von David Bowie, Janet Gaynor und Marilyn Monroe annimmt, und in der Agatha-Christie-Verfilmung »Das krumme Haus«, wo sie jetzt mit schwarzem Pagenschnitt und knallrotem Lippenstift schon wieder eine neue Facette zeigt.
Auch in allerlei historische Kostüme schlüpfte sie, als Lily Bart in Terence Davies' Verfilmung von Edith Wartons »House of Mirth«. Als heiratsinteressierte Witwe in Michael Winterbottoms flirrend respektlosem Film-im-Film-Spiel mit Laurence Sternes »Tristram Shandy«, »A Cock and Bull Story«. Als Lady Dedlock in der Miniserie »Bleak House«, wo sie nach Dickens die Grenzen des Erbschaftsrechts ebenso austestet wie die heterosexuellen Konventionen der Zeit. Als hexenhafte Bordellbesitzerin Miss Castaway mit kalkweiß geschminktem Gesicht in der Miniserie »Crimson Petal and the White«. Oder in »Moby Dick« als ebenso unscheinbare wie zähe Ehefrau des mythischen Captain Ahab. Immer wieder spürt sie dabei Lücken in den rigiden Strukturen der Historie auf, treibt Risse in den Panzer der Konventionen, erobert sich kleine Freiräume in den patriarchalischen Strukturen der Vergangenheit, bringt eine feine Saite von Modernität zum Klingen. Auch mit hochgeschlossenem Spitzenkragen, ausladenden Hutkreationen, in engen Korsagen und schwingenden Rüschen wirkt sie immer ein bisschen zu unabhängig und selbstbewusst, um in einer Ehe wirklich aufgehen zu können. Eine Frau voller Widersprüche.
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