Kritik zu Die verborgenen Farben der Dinge
Ein eitler Mann begegnet einer blinden Frau und lernt die Dinge anders sehen: In Silvio Soldinis Film sind Valeria Golino und Adriano Giannini ein ungleiches Paar
Vielleicht ist es Ihnen auch aufgefallen: Das europäische Kino hat zunehmend Schwierigkeiten damit, Figuren zu zeichnen, denen man bei aller Fehlerhaftigkeit Sympathien gegenüber bringt. Das Schwanken zwischen Sentimentalisierung und Abscheu hat, wie es scheint, seine natürliche Balance verloren. In Silvio Soldinis neuem Film »Die verborgenen Farben der Dinge« ist dieser Zerfall besonders deutlich. Da ist eine Frau, die blinde Osteopathin Emma, der die Herzen in Windeseile zufliegen müssen, und da ist ein Mann, der Werbefuzzi Teo, den man eigentlich nur als Arschloch bezeichnen kann. Die beiden müssen zusammenkommen, um sozusagen ein inneres, vermeintlich sehr cinematografisches Drama zu erfüllen: Die blinde, emotional aber offene Frau, die den allseitig egomanen, emotional aber blinden Mann sehend macht. Ein bisschen vielleicht.
Eine schöne Idee, zweifellos, und Soldini hat sie mit seiner bekannten Bild- und Dialogeleganz wundersam fließend in Szene gesetzt. Und weil er sich in seinem Dokumentarfilm »Per altri ochi« 2013 eingehend mit blinden Menschen beschäftigt hat, vermittelt er mit Hilfe der großartigen Valeria Golino vollkommen glaubhaft, wie es ist, mit anderen, mit inneren Augen vielleicht, zu sehen. Der Filmtitel ist eine Beschreibung voller Ambivalenz: Ganz direkt sieht man nämlich auch, wie Teo die Farben der Dinge um ihn herum nicht erkennen kann, wie er sehen lernt erst durch die Beziehung zu der blinden Frau.
Aber doch etwas zu viel des Abscheus wird über diesen Teo ausgeschüttet, Adriano Giannini spielt ihn punktgenau zwischen Anmaßung und Getriebenheit; er ist fast mehr Karikatur als Mensch. Wir erfahren, dass er sich nicht um seine Familie gekümmert hat; nie spricht er ernsthaft mit anderen Menschen, alles ist Fassade; sein Liebesleben ist von Gier und Verrat gezeichnet. Mit der Zeit ein wenig überdeutlich beschreibt der Film diesen Mann als einen, der in der Finsternis lebt, und der lügen muss, immer wieder, weil die Wahrheit ihn blendet.
Nach und nach, denn in seiner ersten Hälfte besteht der Film fast nur aus gesammelten Kleinigkeiten, Beobachtungen, Zuschreibungen, fragt man sich, wer mit diesem Teo gemeint sein könnte. Ein Vertreter des zynischen, neoliberalen Karrierismus? Ein letztes Exemplar des italienischen Machismo, den das Kino noch zu demontieren vergessen hatte? Vielleicht aber auch einer, mit dem man in seiner emotionalen Versteinerung Mitleid haben könnte; da ist, erfahren wir schnell, etwas ziemlich faul in seinem Familienroman.
So deutlich wie die Zeichnung von Teos Armseligkeit ist die vom hart erkämpften Selbstbewusstsein Emmas, die sich nie als Opfer betrachten will. Ihr Blindsein ist keine Behinderung sondern eine besondere Form von Wahrnehmung. Aber auch bei ihr gibt es diesen wunden Punkt, das Trauma der größten Verzweiflung.
Was der Film, trotz seiner Eleganz, trotz einem sanften, immer von der Seite einfallenden Humor, und der Genauigkeit der Beobachtung nicht erreicht, ist Leichtigkeit. Am Ende verlassen wir Teo und Emma mit überraschend leerem Herzen.
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