Kritik zu Aus einem Jahr der Nichtereignisse

© Steppenwolf

2017
Original-Titel: 
Aus einem Jahr der Nichtereignisse
Filmstart in Deutschland: 
14.06.2018
L: 
83 Min
FSK: 
keine Beschränkung

Der Alltag eines ehemaligen Bauern: Ann Carolin Renninger und René Frölke porträtieren einen alten Nachbarn, der sich mit Hühnern und Katzen einen eigenen Kosmos geschaffen hat

Bewertung: 4
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Eine ganze Leinwand voll atmendem Fell. Dann ein langsamer Schwenk über den Körper zum Kopf der Katze. Schnitt. Nahblick auf einen grau-weiß-gemusterten Pullover samt dazugehörigem Rücken. Und den Kopf eines alten Mannes, der sich mit seinem quietschenden Rollator entfernt. Er spricht dabei, vielleicht mit den Filmemachern, auch mit der Katze, die ihm folgt auf dem beschwerlichen Gang über bucklige Wege und Wiesen in ein Haus, dessen mit Möbeln und Erinnerungen vollgestellte Zimmer mindestens so hindernisreich wie das Gelände draußen sind. Der Mann ist Willi, der Kindheitsnachbar von Filmproduzentin Ann Carolin Renninger im norddeutschen Glücksburg, der nun auch zum Helden ihrer ersten gemeinsam mit René Frölke realisierten Regiearbeit wurde.

Ein lohnender Held. Denn der alleine mit einigen Katzen und Hühnern auf dem Hof lebende ehemalige Bauer hat sich in enger Symbiose mit der herumwuchernden Natur einen eigenen Kosmos geschaffen. Und er steht ganz im Hier und Jetzt, wenn er wegen seiner Gebrechlichkeit mit einigem Aufwand seine Hühner füttert, auf Katze Muschi einschimpft oder Nachbarn zum Geburtstagskaffeeklatsch empfängt. Der Film von Renniger/ Frölke wird diesem wie verwunschenen Ort und seinem Bewohner aufs Schönste gerecht. Denn auch die Filmemacher zeigen Präsenz statt Überblick und ziehen die Nahaufnahme der Totalen vor, den fragmentarischen Moment dem erzählerischen Bogen, auch wenn der Film dem Jahreslauf folgt. Dabei gehen im Blick des Suchers die Grenzen zwischen Drinnen und Draußen, Tieren, Menschen, Pflanzen und Dingen zunehmend verloren, manchmal verschwimmt oder verschwindet das Bild auch ganz.

Freiheiten, die man sich nur leisten kann, wenn man sich nicht in die Abhängigkeit von Sendern und Fördergremien begibt. So wurde der Film fast komplett selbst finanziert, dieses Geld vor allem für Filmrollen ausgegeben. Denn Frölke und Renninger haben mit analogen Kameras auf Super-8 und 16-mm-Material gedreht: Weniger wegen der Ästhetik, sagen sie, sondern um das Drehen widerständiger zu machen und stärker in der Zeitlichkeit zu verorten. So bestimmt die Länge der kurzen Super-8-Filmrollen auch den Rhythmus des Films, der Ton läuft dann oft zu Schwarzfilm weiter. Doch natürlich betören die Aufnahmen auch durch malerische Farb- und Schärfeneffekte, wie sie nur echter Filmschmelz hinkriegt. 

Der Titel des Films ist Programm und Provokation zugleich, die den Begriff des Ereignisses ironisch umspielt. Und er verweist auf den Titel eines Gedichtbands von Michael Hamburger und damit auch auf einen anderen Film über einen anderen alten Mann im Ringen mit den Kräften der Natur: Frank Wierkes »Michael Hamburger – Ein englischer Dichter aus Deutschland«. Trotz einiger Affinitäten dürfte die von Hamburger verströmte Melancholie Bauer Willis handfester Art aber eher fremd sein. Und die vielen von den Filmemachern eingebrachten tickenden Uhren und der umgestürzte Gartenstuhl am Ende sind winzige Schwachpunkte dieses sonst so beglückenden Films.

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