Das Emblem des Films

French Connection - Brennpunkt Brooklyn (1971)

Wie gut ein Filmplakat ist, weiß man im Grunde erst hinterher. Seine Nützlichkeit erweist sich zuverlässig erst, wenn der mit ihm beworbene Film ein Erfolg geworden ist. Bis dahin sind Produzent und Verleih auf Spekulationen angewiesen und die Designer auf ihren Instinkt.

Vor ein paar Wochen habe ich mich wieder einmal intensiver mit William Friedkin beschäftigt (aus Anlass einer Retrospektive, die gerade im Zürcher Filmpodium läuft) und dabei fiel mir auf, dass die Poster für drei seiner Filme zu den ikonischen Motiven des New Hollywood gehören.

Bei »French Connection« bestand die große Herausforderung darin, das Publikum mit einem Antihelden fiebern zu lassen. Gewiss, Popeye Doyle ist nicht der erste Vertreter dieser Spezies im US-Kino; seinesgleichen erlebte schon in den 60ern eine enorme Blüte. Der dramatische und auch emotionale Höhepunkt des Films ist die Verfolgungsjagd, in deren Verlauf Gene Hackman die linke Hand des Marseiller Drogenbarons zur Strecke bringt. Der hat zum Auftakt der Sequenz ein Attentat auf ihn verübt, bei dem car chase geht es also nicht um Strafverfolgung, sondern persönliche Rache. Am Ende schießt er ihn in den Rücken, was das Plakatmotiv bereits verrät. Friedkin hatte da gewisse Skrupel (obwohl Clint Eastwood dergleichen schon früher vorexerziert hatte), erkannte aber die kinetische, ja kathartische Wucht dieses Moments. Und dann wurde die heimtückische Vergeltung zum Logo des Films.

Das dritte atemraubende Plakatmotiv ist das zu »Sorcerer«, Friedkins Remake von Clouzots »Lohn der Angst«, welches trotzdem zu einem epochalen Flop wurde und das Wunderkind des New Hollywood für mehrere Jahrzehnte aus der Bahn warf. Aber das Poster ist unvergesslich: Es zeigt einen der beiden Lastwagen, auf denen Nitroglyzerin zu einer brennenden Ölquelle irgendwo in Südamerika transportiert werden soll, auf einer bedenklich brüchigen Hängebrücke. Lange bevor ich den Film überhaupt zu sehen bekam, schlug mich das Bild schon in seinen Bann. Es erschien mir als eine Metapher für die Vergeblichkeit: Unmöglich, dass sie diese Hürde nehmen, zumal der Lastwagen eine solch gefährliche Schieflage hat! Dabei gelingt es den Fahrern tatsächlich, den altersschwachen Truck über den reißenden Fluss auf festen Boden zu befördern. Dennoch ist das Motiv ein Menetekel; nicht zuletzt für das kommerzielle Schicksal des Films selbst.

Das zweite geniale Poster ist das zu »Der Exorzist«. Es macht auf Anhieb nicht viel her. Es ist schwarzweiß und zeigt eine hochgewachsene Gestalt mit einer Aktentasche, die in einem riesigen Lichtkegel steht und einen Moment zu zögern scheint, bevor sie ein Haus in Georgetown betritt. Dieses graphisch sehr reduzierte Motiv stammt von Bill Gold, der in der letzten Woche im Alter von 97 Jahren starb, nachdem er in einer gut sieben Jahrzehnte dauernden Karriere rund 2000 Filmplakate entworfen hatte. Als »Der Exorzist« 1973 herauskam, avancierte er zum bis dahin größte Kassenerfolg von Warner Brothers. Warum verkauft das Poster den Film so gut?

Beim Filmstart war der Roman bereits ein Bestseller, das Publikum hatte also bereits eine Vorstellung von dem, was auf der Leinwand stattfinden würde. Das Studio wollte auf keinen Fall ein Bild der vom Dämon besessenen Regan auf dem Plakat und Friedkin war es wichtig, religiöse Konnotationen zu vermeiden. Das Motiv, für das sich alle drei Parteien entschieden, lag nicht unbedingt auf der Hand. Es beruht auf einer Einstellung, die tatsächlich im Film vorkommt, aus der Gold aber viele Details getilgt hat. Die Komposition besitzt eine maßvolle, überlegte Dramatik. Das Motiv verrät noch nichts von dem Horror, der das Publikum erwartet, vermittelt aber eine Ahnung davon. Das gleißende Licht, das auf Father Merrin fällt, kommt nicht von der Straßenlaterne, unter der er steht. Vielmehr ist es einem Fenster zuzuordnen, strahlt aber mit einer solchen Stärke aus ihm hervor, dass es keiner natürlichen Lichtquellen entstammen kann. Es ist nicht von dieser Welt.

Filmplakate wirken oft umso provozierender, je zurückgenommener sie sind. Das passt zur Dramaturgie des Films, in dessen erster Stunde kaum Spektakuläres passiert. Beides verrät eine enorme, beinahe arrogante Selbstgewissheit. Die Bescheidung des Motivs signalisiert dem Zuschauer, dass er der Film allein schon gut genug ist, um auf graphische Effekthascherei verzichten zu können. Die Verlockung darf subtil sein, wenn man weiß, dass im Kino die Hölle losbrechen wird.

Der Nachruf der »New York Times« nennt Gold einen »behind-the-scenes superstar«, dessen Arbeit allerdings erst im Internetzeitalter richtig bekannt wurde. Diese Einschätzung hat einiges für sich: Im Netz (und auf Auktionen) haben klassische Filmplakate ein reges zweites Leben; dank diverser spezialisierter Seiten und so schöner Kolumnen wie der von Adrian Curry, die auf mubi.com regelmäßig sein Plakat der Woche vorstellt. In der Branche muss Gold eine Legende gewesen sein. Ich habe seinen Namen erstmals in den Nachrufen gelesen, aber kannte davor natürlich unzählige seiner Arbeiten. Sie entstanden zwar für diverse Studios, aber beim Blick auf seine Website billgold.net wird rasch klar, dass der Großteil seiner Aufträge von Warner Bros. kam. Da hatte er 1942 angefangen, seine ersten Entwürfe waren die für »Casablanca« und »Yankee Doodle Dandy«. 1947 verpflichtete ihn das Studio als Art Director; später gründete er sein eigenes Design-Studio. Gold hat keine auf Anhieb erkennbare, unverwechselbare Handschrift (sein Plakat für »Klute« erinnert mich stark an Saul Bass), was auch deutlich wird in dem verworfenen Entwurf etwa für »A Clockwork Orange«, der sich radikal vom endgültigen Motiv entscheidet. Dieses Flexibilität wird ebenso im Fall von »Beim Sterben ist jeder der erste« sichtbar, dessen amerikanisches Motiv eine doppelläufige Schrotflinte zeigt, die aus dem Wasser auftaucht und auf das Kanu der Freizeitabenteuer zielt, während er für den Weltmarkt ein bunuelhafteres Bild wählte, auf dem das Kanu aus einem Auge hervorsticht.

Golds Schaffen spiegelt Zeitmoden und Trends. In den 1950ern komponiert er Plakate vor allem aus den Porträts der Hauptdarsteller und dramatischen Situationen. Ein Jahrzehnt später hingegen arbeitet er stärker mit Fragmentierungen oder platziert im oberen Teil des Posters ein emblematisches Bild aus dem Film, unter dem dann Titel, Werbeslogan und Credits zu lesen sind. Dieser etwas rissigere und zugleich aufgeräumtere Stil funktioniert beispielsweise gut bei »Der Unbeugsame« mit Paul Newman und »Bonnie & Clyde«. (Insofern könnte auch das Plakat zu »French Connection« von ihm stammen, was aber wohl nicht der Fall ist.) Freilich entwirft er auch in diesem Jahrzehnt pralle, situationsreiche Motive, von denen mir die muntere Collage für »My Fair Lady« besonders gut gefällt.

Gold mochte keinen überladenen Look. Er meinte, ein Plakat solle keine Köpfe zeigen, sondern Geschichten erzählen, ohne jedoch zu viel von ihnen zu verraten. Weniger war für ihn mehr, was nicht zuletzt Clint Eastwood beeindruckte. Gold ist nach Pierre Rissient (»Ein Fährmann« vom 6.5.) der zweite unverzichtbare Verbündete hinter den Kulissen, den er in diesem Monat betrauern muss. Zum ersten Mal arbeiteten sie bei »Dirty Harry« zusammen, wo das Element einer zersplitterten Glasscheibe noch an »Bonnie & Clyde« erinnert. Aber zuvorderst die Kombination von Eastwoods Gesicht mit einer überdimensionierten Waffe war stilbildend für ihre ersten Jahre. Spätestens mit »Erbarmungslos«, dessen Plakat William Munny in Rückenansicht (mit nicht mehr ganz so phallischem Colt) zeigt, kommt eine mythischere Note in die Motive hinein, mit denen Eastwoods Filme nun beworben werden. Mit »Mystic River«, wo nur die Schatten von drei Figuren sich im Wasser des Titel stiftenden Flusses spiegeln, stößt ihre Zusammenarbeit in die Sphäre der Metapher vor. Eigentlich zog sich Gold 2003 aus dem Filmgeschäft zurück, aber Eastwood holte ihn für »J.Edgar« und »Hereafter« noch mal aus dem Ruhestand zurück. Den Filmen hat das kommerziell nicht geholfen, aber die Motive demonstrieren, dass Gold sich noch immer darauf verstand, mit Schauspielerköpfen eine Geschichte zu erzählen, deren Geheimnisse er wahrt.

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