Kritik zu Die brillante Mademoiselle Neïla
Die mittlerweile fünfte Regiearbeit des Schauspielers Yvan Attal erzählt eine Pygmalion-Geschichte mit zeitgenössischen Widerhaken: Ein Juraprofessor soll eine Studentin mit Wurzeln im Maghreb auf einen Rhetorikwettbewerb vorbereiten
Das französische Kino kennt keine Scheu vor der Beredsamkeit; nicht selten ist sie sein vornehmster erzählerischer Impuls. Dabei ist ihm bewusst, dass das Wort nach Raum verlangt. Es braucht Widerhall. In einem visuellen Medium ist dies zunächst eine Pflicht. In Yvan Attals neuem Film gerät sie rasch zur Kür.
Es sind immense, einschüchternde Räume, in die sich die Jurastudentin Neila Salah (Camélia Jordana) eingangs hineinwagt. Sie eilt durch die imposante Eingangshalle der juristischen Fakultät, um rechtzeitig zur Vorlesung zu kommen. Ihre Verspätung stört den Dozenten Pierre Mazard (Daniel Auteuil) gewaltig. Der Professor verwandelt den Hörsaal sogleich in ein Tribunal. Er ist berüchtigt für seine rassistischen und sexistischen Entgleisungen. Die junge Frau mit maghrebinischen Wurzeln scheint dem wortgewandten Provokateur ein dankbares Opfer zu sein. Aus dem Plenum schlägt ihm heftige Empörung entgegen. Es ist eine eminent inklusive Öffentlichkeit, in der sich einige Studenten in Gebärdensprache verständigen. Mazards Verhalten ist skandalös.
Unter dem Druck der sozialen Netzwerke ist er kaum noch tragbar. Doch der Dekan gibt ihm eine letzte Chance: Als Neilas Mentor soll er sie auf einen Debattenwettbewerb vorbereiten. Ein Dialog zwischen beiden scheint unmöglich. Mazards Begriff von französischer Kultur ist elitär und exklusiv: Er ist ein Mensch, der seine Epoche verachtet. Dennoch muss er einwilligen. Der Unterricht lässt sich als eine beiderseitige Zumutung an. Die Frage der Pünktlichkeit wird zu einem Leitmotiv von verhängnisvoller Tragweite. Aber als Mazard seine Studentin auffordert, sich im leeren Hörsaal und später in der lärmenden Enge der Metro Gehör zu verschaffen, ahnt man, dass in ihm ein gewiefter Pädagoge steckt. Das Cinemascope-Format, das Rémy Chevrins Kamera mit Sorgfalt nutzt, gibt den Kontrahenten Raum, in dem sie sich behaupten können.
Die Personenkonstellation erinnert an »Zeit der Prüfungen« von James Bridges, in dem es gilt, die Autorität eines unerbittlich brillanten Professors zu überwinden. Mazard allerdings ist eine Autorität in Bedrängnis. So kann das Drehbuch zunächst eine paternalistische Auffassung vom Glück des Kulturerwerbs propagieren, aber Neila muss ihre eigene Sprache und Kultur nicht verlieren. Der Film legt Wert darauf, ihre Herkunft aus einer Sozialsiedlung nicht als Problem zu beschwören. Sie verfügt, das ist in der gut geölten Dramaturgie des Films keine geringe Tugend, über viel Humor.
Natürlich werden die zwei ihre Vorurteile überwinden und wird Neila schließlich Triumphe feiern. Aber sie dürfen einander überraschen. Es besitzt nicht nur leichtfüßige Geschmeidigkeit, wenn aus dem Duell ein wachsames Spiel wird. Die Lernprozesse müssen wechselseitig sein, was die Montage in eine schöne Parallelführung der Temperamente und Lebensauffassungen übersetzt. Das Erlernte soll überdies seine Alltagstauglichkeit beweisen. Ihr wichtigstes Plädoyer (und das mit dem größten Pathos) wird die Schülerin am Ende für ihren Lehrmeister halten.
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