Kritik zu HERRliche Zeiten
Suburbia-Horror im Rheinland. Ein gut situiertes Ehepaar engagiert einen mysteriösen Butler, der sich als mephistophelischer Hardcore-Dienstleister erweist. Eine bitterböse schwarze Komödie und ein Anti-Feelgood-Film, von Oskar Roehler farbig, sinnlich und provokant inszeniert
Man müsste eine kleine Geschichte der bizarren Frauenfrisuren im Kino schreiben. Sie würde reichen von Elsa Lanchesters elektrischem Haardesign in »Frankenstein's Bride« über fetischhafte Cleopatra-Bubiköpfe und Sixties-Haartürme bis zu den befremdlichen Haarkreationen mancher Frauen im Kino des Oskar Roehler. Dazu inspiriert wurde Roehler durch die irrwitzigen Perücken seiner Mutter Gisela Elsner, die er in »Die Unberührbare« porträtiert hat. In seinem neuen Film trägt nun Katja Riemann einen geradezu grotesken Schnitt. Dickes, rötliches Haar, geteilt von einem grausamen Mittelscheitel, fällt in Wellen auf ihre Schultern, einer schweren Bürde gleich. Sie sieht aus wie ein verqueres, gealtertes präraffaelitisches Model oder gar wie ein weiblicher Dürer. Grandios und mutig verkörpert von Katja Riemann, haftet dieser Gartenarchitektin mit dem bieder-makabren Namen Evi Müller-Todt etwas Monströses an: als wären all ihre Energie und Sehnsucht im Haarwuchs verschwunden.
Monster sind fast alle Figuren in »HERRliche Zeiten«, und wie eigentlich alle Monster sind sie zugleich bemitleidenswerte Kreaturen. Dies trifft besonders auf Evis Gatten zu, den Schönheitschirurgen Claus, den Oliver Masucci als veritablen deutschen Noir-Antihelden gibt. Er muss fettleibigen Reichen das Fett absaugen, eine schweißtreibende Arbeit, die manchmal wie ein komischer Koitus wirkt. Das Sexleben mit Evi ist längst erstarrt, sie ist gleichsam eine Unberührbare. Roehler filmt Claus, wenn er schlaflos neben seiner Frau liegt, in einem durchdringenden roten Licht, als befände er sich in einem permanenten seelischen Rotlichtviertel. Etwas wird passieren mit Evi und Claus, etwas Unheimliches im bürgerlichen Heim, einer Villa mit dem Charme der alten BRD vor den Toren einer rheinischen Metropole. Der abgewirtschaftete Claus, ein Mann in der Krise, er möchte endlich überlebensgroß sein, endlich die Sau raus lassen. »Bigger Than Life«, so heißt ein legendärer Film von Nicholas Ray aus den 50er Jahren, ein düster-poetisches Familienmelo, das Roehler durchaus beeinflusst haben dürfte.
»Bigger than life« ist zweifelslos der neu zugezogene Nachbar. Er besitzt das größte Haus der Umgebung, er fährt die schnellsten Sportwagen und feiert so wilde Partys, dass selbst Leonardo di Caprio in »The Wolf of Wall Street« vor Neid erblassen würde. Dieser übermächtige Nachbar ist ein Immigrant, er heißt Mohammed Al Tani, der Spross einer sehr dubiosen arabischen Herrscherfamilie. Im Hobbykeller seiner Bunkervilla hat er eine Folterkammer installiert, nicht nur für erotische Rollenspiele. Ein wenig möchte Claus so sein wie der Nachbar Mohammed, das Leben auskosten jenseits jeglicher Moral. Andererseits möchte sich Mohammed ganz und gar in die deutsche Bourgeoisie integrieren. Dieses Wechselspiel inszeniert Roehler als sinnlich-düstere Satire. Roehlers Film stellt so etwas wie die dunkle Seite zu Flüchtlingskomödien à la »Willkommen bei den Hartmanns« dar. »HERRliche Zeiten« ist in jeglicher Hinsicht ein Film des desperaten Lachens, er erinnert in seiner bösen, komischen, aber auch melancholischen Atmosphäre an die Filme von Rolf Thiele, den heute fast vergessenen Noir-Gesellschaftskritiker der BRD in den 50er und 60er Jahren.
Etwas wird passieren, die Stimmung der Bedrohung wird Realität, als nachts plötzlich ein geheimnisvoller Mann vor dem Anwesen der Müller-Todts auftaucht. Dieser Typ, mit herrlich teuflischem Unterton gespielt von Samuel Finzi, scheint aus einer Twilight Zone zu kommen. Er heißt Bartos und hat sich auf Claus' ironisch gemeinte Annonce »Sklave gesucht« für die Stelle eines Haushälters/Butlers beworben. Bartos ist als Subalterner wiederum »bigger than life«. Er und seine bald hinzukommende Frau Lana und die unzähligen Schwarzarbeiter aus Bulgarien bereiten den Müller-Todts ein Wellness-Paradies, das sogleich zur Hölle wird.
»HERRliche Zeiten« ist ein bitterer Film über das gegenwärtige Deutschland, ein Film über kleinliche Menschen und große Sehnsucht, in seiner überbordenden Verzweiflung nur übertroffen von Roehlers kürzlich erschienenem Roman »Selbstverfickung«. Doch Roehler gelingt ein kleines Wunder. Man verlässt seinen Film nicht mit Selbstmordabsichten, was gewiss der Fall gewesen wäre, hätte ein Österreicher oder ein Vertreter der Berliner Schule dieses Sujet verfilmt. Bei Roehler bleibt ein schöner Aufruhr zurück, weil sein Film mit so viel Vitalität und Kintoppgespür unterfüttert ist. In Katja Riemanns Monsterfrisur spiegelt sich manchmal gar die Sonne.
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