Die Röte des Rots (nicht von Technicolor)
Seine Bilder kommen dem Betrachter entgegen; der Blick findet rasch Halt in ihnen. Ein Gutteil von ihnen ist licht, heiter und sommerlich. Er zielt auf das Wohlgefallen. »Jedes Mal, wenn ich auf den Auslöser drücke«, erklärte Joel Meyerowitz einmal, »sage ich 'Ja' zum Leben.«
Solch luftiger Optimismus hat natürlich einen schweren Stand im tiefsinnigen Deutschland, wo von einem Fotokünstler Brüche, Rätsel, Abgründe oder doch zumindest Ironie erwartet werden. Zwar ist Meyerowitz' Spielart humanistischer Fotografie nicht unkompliziert. Aber es nimmt nicht Wunder, dass dem Amerikaner hier zu Lande erst jetzt eine Ausstellung gewidmet wird. Das Berliner Ausstellungshaus C/O leistet mit seiner Schau »Why Color?«, die Arbeiten aus fünf Jahrzehnten umfasst, wieder einmal Schrittmacherdienste (www.co-berlin.org). Eine späte Rehabilitation? Sie hat jedenfalls große Neugierde entfacht. Die Ausstellung war rekordverdächtig gut besucht, als wir vor einigen Tagen dort waren.
Zum ersten Mal begegnete ich Meyerowitz' Namen Anfang der 80er Jahre in einem Artikel über Lawrence Kasdan und »Der große Frust« (The Big Chill). Der Regisseur erzählte, wie er seinem Kameramann John Bailey dessen Bildband »Cape Light« zur Inspiration in die Hand drückte, als Referenz für das Licht, dass er diesem Generationsporträt setzen sollte. Einige Jahre später kam Michael Ballhaus während eines Interviews, das Lars-Olav Beier und ich mit ihm führten, auf den Fotografen zu sprechen: Während der Vorbereitung zu »Broadcast News« hatte James L. Brooks ihm einige Bilder von Meyerowitz gezeigt, weil bei ihm immer ein bestimmter Rot-Ton auftaucht, den er sich auch für seinen Film wünschte. Sie haben dann Requisiten hinzugefügt und sogar eine Treppe in diesem Farbton streichen lassen.
Fotos von ihm sah ich tatsächlich erst 1992 in einer Ausstellung über Edward Hopper und Fotografie im Museum Folkwang Essen. Darunter waren einige offensichtliche Hommagen an den Maler, dennoch eigensinnig und wirklich voller Rot-Akzente. Am stärksten schlug mich aber das erste Foto in den Bann, das er 1976 für »Cape Light« aufgenommen hat, »Hartwig House«. Ich glaubte sofort zu begreifen, was Kasdan so fasziniert hat: die strahlende Helligkeit, die, durch das Fliegengitter der offenen Tür sacht gedämpft, in den Hausflur dringt und vom glatten Holzboden reflektiert wird. Es ist noch immer mein Lieblingsfoto von ihm (wenngleich seitdem einige Favoriten hinzugekommen sind), aber erst mit der Zeit begriff ich, wie komplex seine Komposition mit insgesamt fünf geöffneten Türen ist. Wie stolz war ich, als ich einige Jahre später die Neuauflage von »Cape Light« erstand! Danach entdeckte ich »Redheads«, seinen Band über Rothaarige (darunter die Schauspielerin Joan Cusack) und »Bystander«, seine umfassende Geschichte der Straßenfotografie, die ich oft konsultiere. Natürlich holte ich mir auch »Aftermath«, die monumentale Chronik der Aufräumarbeiten am World Trade Center, traute mich aber bis zum letzten Wochenende nicht, sie auszupacken. Ich fürchtete, er würde sich als traumatisierter Patriot zeigen. Tatsächlich arbeitet er an einem Projekt nationaler Heilung, aber facettenreicher, klüger, als ich erwartet hat. Man unterschätzt ihn leicht. Meine Begleiterin war von der Wucht dieser Bilder beeindruckt.
Für mich waren vor allem seine frühen Jahre eine Entdeckungsreise. Die wenigen eigenen Aufnahmen in »Bystander« bereiteten mich nicht wirklich vor auf den Elan seiner Suchbewegungen. Man spürt, wie entschlossen er sich die Disziplin der Straßenfotografie erobern will. Er nimmt die urbane Energie New Yorks an. Noch sucht er den visuellen Coup, das Zusammentreffen von Anekdote und Komposition: Das Bild des küssenden Paares vor dem Kino, in dem Billy Wilders »Kiss me Stupid« läuft, ist hinreißend. Seine Fotos handeln von Konjunktionen, die den Beteiligten verborgen bleiben. Selten schauen sie sich an oder auch nur in die gleiche Richtung. Aber sie begegnen sich, weil Meyerowitz den Zufall klug abpasst.
Er variiert gewisse Motive von Cartier-Bresson, manchmal ist er so schelmisch wie Elliott Erwitt und kraftvoll surreal wie Manuel Alvarez Bravo. Erstaunlicherweise unterscheiden sich seine Straßenszenen radikal von denen Garry Winogrands, mit dem er eng befreundet war und täglich auf Pirsch ging. Bei Meyerowitz sind die Bürgersteige eine Bühne, auf der sich Amerika zuträgt. Besonders interessant sind natürlich die Momente, in denen das Schauspiel vom Plan abweicht. Oft hält er fest, wie Leute stürzen. Manche sitzen im Rollstuhl, andere tragen Augenklappen. Aber immer wieder fällt ihm das Affirmative ins Auge, etwa bei der Schwimmerin, die ihre Krücken von sich wirft. Federico Fellini war sein großer Held in den frühen 60ern, von ihm lernte er, wie sich das Chaos ordnen lässt und die Notwendigkeit, flüchtig zu werrden, etwas hinter sich zu lassen. Das Kino hatte ohnehin prägenden Einfluss auf ihn, schon in der Kindheit in Brooklyn, wo er Serials verschlang. Daher, so zitiert ihn die Ausstellung, stammt auch sein Faible für Bilderzyklen, die »lockere, eher filmische Methode des Sehens und Bearbeitens.«
In der Mitte des Jahrzehnts verbrachte er ein Jahr in Europa, nach dem ihm die USA erst einmal fremd wurden. Er kehrte zurück in ein Land, das nach Kräften verdrängte, dass es seine Söhne nach Vietnam schickte. Beinahe könnte man seine Impressionen einer verpassten Zeitgenossenschaft bezichtigen, so unterschwellig scheint das gesellschaftliche Klima auf. Sie sind bezeichnend auf indirekte Weise. Das passt gut zu »The Big Chill«, wo das Ensemble der Figuren in den 60ern radikalisiert wurde und nun Schuldgefühle hat, arriviert zu sein. 1976 verabschiedet sich Meyerowitz von der Leica (nicht endgültig) und wendet sich Stativ und Plattenkamera zu. Er spricht nun von »Feld-Fotografie«, einem erweiterten, auch vertiefenden Blickwinkel. So entstehen die einflussreichen, präzis komponierten Lichtstudien in Cape Cod. An der Küste nimmt er die Elemente in den Blick, ohne die Menschen verschwinden zu lassen. Die Blicke, die auf der Cocktailparty von 1977 auf den Betrachter zurückfallen, intrigieren mich nach wie vor.
Jahrzehnte lang kehrt er nach Cape Cod zurück. Dort, in der Idylle, überraschen ihn auch die Nachrichten vom 11. September. Die Zwillingstürme hat er in den 80ern oft fotografiert, nun muss er mit ihrer Zerstörung zurechtkommen. Listig erobert er sich den öffentlichen Raum zurück, der nun eine verbotene Zone ist, Hoheitsgebiet von Polizei und Feuerwehr. Sein »Aftermath« ist eine große Erzählung über Verheerung, Verschwinden und Wiederkehr.
Auch davor war er in Deutschland kein ganz Unbekannter. In Vitrinen sind einige Tiefdruckbeilagen der Wochenendausgabe der FAZ zu sehen, deren Redakteure Geschmack fanden an der Lebensbejahung seiner Fotos. Einige seiner Motive fanden Verbreitung als Plattencover, für Pat Metheny, Miroslav Vituosm, Dawn Uspshaw und Everything but the Girl. Und natürlich habe im C/O ständig Ausschau gehalten nach dem Rot-Ton, von dem Michael Ballhaus sprach. Er ist allgegenwärtig, aber gar nicht so bestimmt. (Einige der Vintage Prints haben mittlerweile einen Rotstich angenommen, da verwischt sich also manches.) Seine Leuchtkraft kennt viele Abstufungen und Seelenlagen. Als ich seine Porträts der »Redheads« wiedersah, fiel mir auf, wie stark dieser Zyklus um Abstammung und Verwandtschaft kreist. Seine persönliche Version der »Family of Man«. Ich glaube, Noah Baumbach hat seinen jüngsten Film nicht von ungefähr »The Meyerowitz Stories« genannt.
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